Urteil vom 25.01.2023 - BVerwG 6 A 1.22

JurisdictionGermany
Judgment Date25 Enero 2023
ECLIDE:BVerwG:2023:250123U6A1.22.0
Neutral CitationBVerwG 6 A 1.22
CitationBVerwG, Urteil vom 25.01.2023 - 6 A 1.22 -
Record Number250123U6A1.22.0
Registration Date03 Abril 2023
Subject MatterRecht der Verfassungsschutzbehörden und Nachrichtendienste, einschließlich der gegen diese Behörden gerichteten oder ihre Akten betreffenden Informations-, Auskunfts- und Einsichtsansprüche von Betroffenen
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
Applied RulesG10 §§ 3, 5, 11 Abs. 1a, § 13,GG Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1, Art. 10,VwGO § 50 Abs. 1 Nr. 4

BVerwG 6 A 1.22

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 25. Januar 2023
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Möller, Hahn und Dr. Tegethoff sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gamp
für Recht erkannt:

  1. Die Klage wird abgewiesen
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens
Gründe I

1 Der Kläger, ein eingetragener Verein mit Sitz in Berlin, ist Teil eines internationalen Netzwerks, das sich zum Ziel gesetzt hat, Verstöße gegen die Presse- und Informationsfreiheit zu dokumentieren sowie Journalisten zu helfen, die aufgrund ihrer Recherchen in Notlagen geraten sind. Er begehrt mit seiner auf vorbeugenden Rechtsschutz gerichteten Klage, dass der Bundesnachrichtendienst es unterlässt, seine mit Dritten über Messenger-Dienste oder auf andere Weise geführte Telekommunikation unter Anwendung des § 11 Abs. 1a Satz 1 bis 3 G10 zu überwachen oder aufzuzeichnen.

2 Sein Unterlassungsbegehren machte der Kläger zunächst zum Gegenstand eines Antrags auf Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes. Das Bundesverwaltungsgericht lehnte den Antrag mit Beschluss vom 22. November 2021 (6 VR 4.21 ) ab, da der Kläger sein Begehren zuvor an den Bundesnachrichtendienst hätte richten müssen.

3 Im Nachgang hat der Kläger die vorbeugende Unterlassungsklage erhoben. Zur Begründung führt er an, er müsse vorbeugenden Rechtsschutz in Anspruch nehmen können, da aufgrund seiner Aktivitäten eine Überwachung seiner Telekommunikation unter Einsatz der Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) drohe. Er stehe vor allem in Kontakt mit ausländischen Journalisten, die als Korrespondenten für seine Dachorganisation und gleichzeitig oftmals auch als Investigativjournalisten tätig seien. Mit ihrer Unterstützung sammle er Informationen über die örtliche Sicherheitslage und die Arbeitsbedingungen lokaler Medienschaffender, analysiere diese und bringe sie in nationale oder internationale Gerichtsverfahren etwa gegen Führungspersonen der jeweiligen ausländischen Regime ein. Die mit ihm in Verbindung stehenden Journalisten seien gefährdet. Ihre Bedrohungslage ergebe sich oft aus deren Recherchen zu Korruption, organisierter Kriminalität und Missständen in Regierungskreisen, staatlichen Behörden und bei Sicherheitskräften. In Einzelfällen komme es auch zum Kontakt mit Unterstützung suchenden Personen aus dem Umfeld extremistischer Vereinigungen und Organisationen im In- und Ausland, mit denen er als Quellen auf sicherem Wege kommunizieren können müsse. Seine Aktivitäten, die sich u. a. auf Länder wie Mexiko, Russland, Belarus und Saudi-Arabien erstreckten, deckten sich hiernach sowohl thematisch als auch räumlich mit denjenigen Bereichen, in denen der Bundesnachrichtendienst seine Aufklärungsarbeit betreibe. Es sei daher zumindest hinreichend wahrscheinlich, dass der Bundesnachrichtendienst die Quellen-TKÜ auf den vereinseigenen Geräten einsetzen und die Kommunikation unmittelbar überwacht und aufgezeichnet werde. Jedenfalls bestehe die Gefahr, dass seine Telekommunikation mittelbar überwacht werde, weil die Quellen-TKÜ bei seinen Kommunikationspartnern eingesetzt werden könnte. Dies gelte vor allem für seine Quellen aus dem Umfeld extremistischer Vereinigungen und Organisationen, die die Tatbestandsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 G10 erfüllten.

4 Für die angesichts dessen zulässige Klage sei der Rechtsweg nicht ausgeschlossen. Das Erfordernis einer vorherigen Antragstellung sei eine bloße Förmelei. Es sei davon auszugehen, dass der Bundesnachrichtendienst die geforderte Unterlassungserklärung nicht abgeben werde. Im Gegenteil habe dieser erklärt, von den Befugnissen nach § 11 Abs. 1a G10 Gebrauch machen zu wollen. Das für die vorbeugende Unterlassungsklage erforderliche qualifizierte Rechtsschutzbedürfnis ergebe sich aus der Heimlichkeit der Überwachungsmaßnahme. Er, der Kläger, könne eine Überwachung seiner Messenger-Dienste nicht erkennen und damit nicht um nachträglichen Rechtsschutz nachsuchen, zumal seine Benachrichtigung nicht zwingend sei. Eine Verweisung auf nachträglichen Rechtsschutz mache seine auf Vertrauen mit seinen Kommunikationspartnern beruhende Zusammenarbeit unmöglich, erschwere sie jedenfalls und gefährde sie. Da die Überwachung seiner Kommunikation hinreichend wahrscheinlich sei, sei er auch klagebefugt. Bei der Beurteilung der Zulässigkeitsvoraussetzungen sei schließlich die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte zur Rechtsschutzgewährung bei heimlichen Überwachungsmaßnahmen der Nachrichtendienste zu berücksichtigen.

5 Sein Unterlassungsanspruch ergebe sich aus der Verfassungswidrigkeit des § 11 Abs. 1a Satz 1 bis 3 G10 sowie der Regelungen für die Anordnung und die Reichweite von Beschränkungsmaßnahmen nach den §§ 3 ff. G10. Die Normen seien mit Art. 10 Abs. 1 GG für die Überwachung der laufenden Kommunikation bzw. mit dem aus Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG hergeleiteten Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme für die Überwachung der ruhenden Kommunikation unvereinbar. Zudem werde er wegen des nur relativen Schutzes seiner journalistischen Tätigkeit in seinen Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 Satz 2 und Art. 12 GG verletzt.

6 Der Kläger beantragt,
dem Beklagten wird es untersagt, Chats und andere Kommunikation, die Organe oder Mitarbeiter des Klägers im Auftrag des Klägers mit Dritten über Messenger-Dienste oder auf andere Weise führen, unter Anwendung des § 11 Abs. 1a Satz 1 bis 3 Artikel 10-Gesetz zu überwachen oder aufzuzeichnen.

7 Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.

8 Sie verweist darauf, dass der Kläger auch im Nachgang zum Beschluss des Senats vom 22. November 2021 keinen Antrag beim Bundesnachrichtendienst gestellt habe. Ein Verwaltungsvorgang existiere daher mangels Vorbefassung des Bundesnachrichtendienstes mit dem Unterlassungsbegehren nicht. Die Klage sei unzulässig. Der Kläger sei nicht klagebefugt. Er werde bisher und momentan weder unmittelbar noch mittelbar überwacht. Der Bundesnachrichtendienst habe nicht erklärt, von den Befugnissen gegenüber dem Kläger Gebrauch machen zu wollen. Dessen Aktivitäten ließen es nicht als hinreichend wahrscheinlich erscheinen, zukünftig von Maßnahmen der Quellen-TKÜ betroffen zu sein. Die Quellen-TKÜ erfordere einen Zugriff auf das Endgerät einer Person. Sie komme nur im Rahmen einer gezielten Überwachungsmaßnahme und nicht im Rahmen der strategischen Fernmeldeüberwachung zum Einsatz. Der Kläger benenne weder die Vertrauens- oder Kontaktpersonen noch stelle er einen konkreten möglichen Zusammenhang mit einer tatsächlichen Überwachungsmaßnahme des Bundesnachrichtendienstes her, sodass nicht erkennbar sei, dass seine Kommunikation durch den Einsatz der Quellen-TKÜ überwacht werden könnte. Auch fehle das qualifizierte Rechtsschutzbedürfnis für die Klage. Die Rechte des Klägers seien durch die vorhandenen gesetzlichen Prüfungs- und Kontrollmechanismen ausreichend geschützt.

9 Hilfsweise, für den Fall der unterstellten Zulässigkeit der Klage, sei jedenfalls von deren Unbegründetheit auszugehen. Der Kläger wende sich nicht gegen die Rechtswidrigkeit einer konkreten Beschränkungsmaßnahme oder deren Anordnung, sondern stelle lediglich auf die behauptete, aber nicht gegebene Verfassungswidrigkeit der die Quellen-TKÜ regelnden Normen ab.

10 Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Niederschrift über die mündliche Verhandlung vom 25. Januar 2023 und den Schriftverkehr im gerichtlichen Verfahren Bezug genommen.

II

11 Die...

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