Urteil vom 25.01.2023 - BVerwG 6 C 7.21

JurisdictionGermany
Judgment Date25 Enero 2023
Neutral CitationBVerwG 6 C 7.21
ECLIDE:BVerwG:2023:250123U6C7.21.0
Record Number250123U6C7.21.0
Registration Date25 Abril 2023
Subject MatterRundfunkrecht einschl. Recht der Rundfunkanstalten, Filmrecht einschl. Filmförderungsrecht, Recht der neuen Medien
CourtDas Bundesverwaltungsgericht

BVerwG 6 C 7.21

  • VG Chemnitz - 06.05.2020 - AZ: 3 K 2264/19
  • OVG Bautzen - 27.05.2021 - AZ: 5 A 499/20

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 25. Januar 2023
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Möller, Hahn und Dr. Tegethoff sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gamp
für Recht erkannt:

  1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 27. Mai 2021 wie folgt geändert
  2. "Auf die Berufung der Klägerin wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Chemnitz vom 6. Mai 2020 geändert und der Beklagte unter teilweiser Aufhebung seines entgegenstehenden Bescheides vom 28. Februar 2020 verpflichtet, die Klägerin im Zeitraum vom 18. Juli 2018 bis zum 30. April 2019 von der Rundfunkbeitragspflicht für ihre Zweitwohnung in L. zu befreien
  3. Die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens tragen die Klägerin zu 3/4 und der Beklagte zu 1/4."
  4. Der Beklagte trägt die Kosten des Berufungs- und Revisionsverfahrens
Gründe I

1 Die verheiratete Klägerin begehrt die Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht für ihre Nebenwohnung im Zeitraum vom 18. Juli 2018 bis zum 30. April 2019 vor dem Hintergrund der Übergangsregelung, die das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u. a. - (BVerfGE 149, 222) zu § 2 Abs. 1 und 3 RBStV getroffen hat. Die Klägerin wohnt mit ihrem Ehemann in C., hierbei handelt es sich melderechtlich um ihre gemeinsame Hauptwohnung. Die Wohnung war im streitigen Zeitraum unter dem Namen ihres Ehemannes als Rundfunkbeitragspflichtigem angemeldet. Vom 15. Januar 2016 bis zum 30. April 2019 unterhielt die Klägerin außerdem eine Nebenwohnung in L., für die sie sich beim Beklagten als Rundfunkbeitragspflichtige anmeldete. Am 28. Juli 2018 beantragte sie unter Hinweis auf das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2018 die rückwirkende Befreiung von der Rundfunkbeitragspflicht zum 1. Januar 2016. Mit Schreiben vom 9. November 2018 teilte ihr der Beitragsservice von ARD, ZDF und Deutschlandradio mit, die erforderlichen Voraussetzungen dafür lägen nicht vor. In der Folge wandte sich die Klägerin noch mehrfach vergeblich an den Beklagten.

2 Nachdem die Klägerin am 11. Dezember 2019 Klage mit dem Begehren erhoben hat, den Beklagten zu verpflichten, sie rückwirkend ab dem 1. Januar 2016 von der Rundfunkbeitragspflicht für ihre Nebenwohnung in L. zu befreien, ist der Beklagte dem mit Bescheid vom 28. Februar 2020 im Hinblick auf die Änderung seiner Verwaltungspraxis im Vorgriff auf den 23. Rundfunkänderungsstaatsvertrag ab dem 1. November 2019 nachgekommen. Eine Befreiung vor dem 1. November 2019 komme jedoch mangels Rechtsgrundlage nicht in Betracht. Gegen diesen Bescheid erhob die Klägerin am 9. März 2020 während des Klageverfahrens Widerspruch. Nach übereinstimmender Erklärung der Erledigung des Rechtsstreits in der Hauptsache für den Zeitraum ab Mai 2019 hat die Klägerin ihren Klageantrag im Übrigen aufrechterhalten. Das Verwaltungsgericht hat mit Urteil vom 6. Mai 2020 das Verfahren eingestellt, soweit die Beteiligten es übereinstimmend für erledigt erklärt haben und die Klage im Übrigen abgewiesen.

3 Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung der Klägerin zugelassen, soweit die Vorinstanz die Klage auch für den Zeitraum vom 18. Juli 2018 bis 30. April 2019 abgewiesen hat, und sie mit Urteil vom 27. Mai 2021 zurückgewiesen. Soweit die Klage Gegenstand des Berufungsverfahrens sei, sei sie zwar zulässig, aber unbegründet. Für ihre Zulässigkeit könne dahinstehen, ob die Mitteilung des Beklagten im Schreiben vom 9. November 2018 einen Verwaltungsakt darstelle oder der Befreiungsantrag der Klägerin (erst) mit Bescheid vom 28. Februar 2020 abgelehnt worden sei. Im ersten Fall habe die Klägerin mit Schreiben vom 18. November 2018 und im zweiten Fall am 9. März 2020 fristgerecht Widerspruch eingelegt. Die Durchführung eines Vorverfahrens vor Klageerhebung sei gemäß § 75 Satz 1 Alt. 1 VwGO entbehrlich gewesen. Keiner der möglichen Ablehnungsbescheide verletze die Klägerin in ihren Rechten. Sie habe keinen Anspruch auf die begehrte Befreiung für den Zeitraum vom 18. Juli 2018 bis zum 30. April 2019. Die Voraussetzungen der einzig als Rechtsgrundlage in Betracht kommenden Überleitungsregelung im Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 18. Juli 2018 - 1 BvR 1675/16 u. a. - lägen nicht vor. Aus dem Wortlaut sowie dem Sinn und Zweck der Überleitungsregelung folge, dass ein Ehegatte die Befreiung von dem Rundfunkbeitrag für eine von ihm gehaltene Nebenwohnung nicht verlangen könne, wenn nicht er, sondern der andere Ehegatte den Rundfunkbeitrag für die gemeinsame Hauptwohnung entrichte.

4 Der dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zugrundeliegende Fall habe einen abweichenden Sachverhalt betroffen. Dort sei das Beitragskonto für die Hauptwohnung auf den Namen der die Nebenwohnung bewohnenden Person geführt worden. Aus dem Wortlaut des Urteilstenors zu 1 ergäbe sich, dass derjenige seiner Rundfunkbeitragspflicht nachkomme, der "zur Leistung von Rundfunkbeiträgen herangezogen", mithin auf Zahlung in Anspruch genommen werde. Wer herangezogen werde, bestimmten die Inhaber der Wohnung durch ihre Anmeldung gemäß § 8 Abs. 1 Satz 1 RBStV selbst. Erst nach erfolgloser Inanspruchnahme des angemeldeten Wohnungsinhabers dürfe die Rundfunkanstalt die Daten weiterer Inhaber erheben und jene heranziehen. Bei Mehrpersonenhaushalten werde daher nur diejenige Person herangezogen, auf deren Namen das Beitragskonto geführt werde. Dem Urteil lasse sich weiter entnehmen, dass "Entrichten" gleichbedeutend sei mit "Nachkommen" und es sich hierbei um das perspektivische Gegenstück zur "Heranziehung" handele. Dabei sei nicht erforderlich, dass die herangezogene Person den Beitrag selbst entrichte. Ausreichend sei die Zahlung durch Dritte auf Rechnung der herangezogenen Person ("Fürzahler"), wobei es sich dann nach dem objektiven Empfängerhorizont um die Tilgung der Beitragsschuld der herangezogenen Person handele.

5 Auf das Rechtsverhältnis der in Mehrpersonenhaushalten lebenden Personen untereinander komme es nicht an. Es sei unerheblich, ob im Innenverhältnis Ausgleichsansprüche gemäß § 426 Abs. 1 BGB bestünden. Diese wirkten sich nicht auf die Frage aus, wer der Beitragspflicht nachkomme. Die gegenteilige Ansicht übersehe die Bedeutungsgleichheit von "nachkommen", "entrichten" und "herangezogen werden". Die Bezugnahme in der Überleitungsregelung auf § 2 Abs. 3 RBStV müsse so verstanden werden, dass sie sich nur auf einen gesamtschuldnerisch haftenden Beitragsschuldner beziehe, auf dessen Rechnung der Rundfunkbeitrag für die angemeldete Hauptwohnung entrichtet werde. Hierfür sprächen auch Sinn und Zweck der Überleitungsregelung, die eine gegen Art. 3 Abs. 1 GG verstoßende Belastung von Zweitwohnungsinhabern mit einem weiteren Rundfunkbeitrag abzuwenden suche. Der dem Vorteilsausgleich und der Kostendeckung für eine Inanspruchnahme öffentlicher Einrichtungen dienende Beitrag werde für die Möglichkeit erhoben, öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu empfangen. Wenn der Rundfunkbeitrag auf Rechnung des einen Ehegatten für die Hauptwohnung entrichtet werde, schöpfe dies allein bei ihm den Vorteil der Empfangsmöglichkeit in jener Wohnung ab. Entrichte der andere Ehepartner den Beitrag für die Nebenwohnung auf seine Rechnung, werde wiederum nur bei diesem der Vorteil abgeschöpft, dort öffentlichen Rundfunk zu empfangen. Deswegen fehle es an einer - verfassungswidrigen - mehrfachen Abschöpfung desselben Vorteils.

6 Zwar führe die Entrichtung eines Rundfunkbeitrags durch einen Beitragspflichtigen eines Mehrpersonenhaushalts im Außenverhältnis zur Rundfunkanstalt zum Erlöschen der Beitragspflicht der übrigen gemäß § 2 Abs. 1, Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 Satz 1 RBStV i. V. m. § 44 AO gesamtschuldnerisch haftenden Haushaltsmitglieder (§ 44 Abs. 2 Satz 1 AO). Es sei unerheblich, welcher Bewohner als Beitragsschuldner angemeldet sei, weil jeder bis zur vollständigen Bezahlung den Beitrag schulde. Da aber die Rundfunkanstalt erst nach erfolgloser Inanspruchnahme des angemeldeten Beitragsschuldners weitere Inhaber heranziehen dürfe, hätten die nicht leistenden Gesamtschuldner den Vorteil der Rundfunkempfangsmöglichkeit im Außenverhältnis unentgeltlich. Dieses Verständnis werde im Übrigen von § 4a RBStV n. F. bestätigt und sei...

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