Urteil vom 25.11.2020 - BVerwG 6 C 7.19

JurisdictionGermany
Judgment Date25 Noviembre 2020
Neutral CitationBVerwG 6 C 7.19
ECLIDE:BVerwG:2020:251120U6C7.19.0
Applied RulesNATO-Truppenstatut Art. II,VwGO § 117 Abs. 2 Nr. 3,Zusatzprotokoll I zu den Genfer Abkommen Art. 51, 57,Zusatzabkommen zum,NATO-Truppenstatut Art. 53 Abs. 1, Art. 81,GG Art. 1 Abs. 2 und 3, Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 24 Abs. 2, Art. 25
Registration Date23 Febrero 2021
Record Number251120U6C7.19.0
Subject MatterSachen, die nicht einem anderen Senat zugewiesen sind
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
CitationBVerwG, Urteil vom 25.11.2020 - 6 C 7.19

BVerwG 6 C 7.19

  • VG Köln - 27.05.2015 - AZ: VG 3 K 5625/14
  • OVG Münster - 19.03.2019 - AZ: OVG 4 A 1361/15

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 25. November 2020
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz, Dr. Möller und Hahn sowie
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Steiner
für Recht erkannt:

  1. Auf die Revision der Beklagten wird das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 19. März 2019 geändert. Die Berufung der Kläger gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Köln vom 27. Mai 2015 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kläger tragen jeweils ein Drittel der Kosten des Verfahrens in allen Rechtszügen.
Gründe I

1 Die Kläger sind jemenitische Staatsangehörige. Die Kläger zu 2. und 3. leben im Jemen in der Ortschaft Khashamer, Provinz Hadramaut. Der Kläger zu 1. lebt in Kanada und in Katar. Die Kläger verlangen von der Beklagten, dass diese sie vor drohenden Beeinträchtigungen ihres Lebens und ihrer körperlichen Unversehrtheit durch bewaffnete Drohneneinsätze schützt, die die USA im Jemen, insbesondere in der Provinz Hadramaut, unter Nutzung technischer Einrichtungen auf der Air Base Ramstein durchführen.

2 Bei der Air Base Ramstein handelt es sich um einen Militärflugplatz in Rheinland-Pfalz, der von den US-Streitkräften auf der Grundlage des Vertrages vom 23. Oktober 1954 über den Aufenthalt ausländischer Streitkräfte in der Bundesrepublik Deutschland, des NATO-Truppenstatuts vom 19. Juni 1951 sowie des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut vom 3. August 1959 genutzt wird. Das Bundesministerium der Verteidigung wurde von den US-Streitkräften im April 2010 und im November 2011 über den geplanten Bau einer Satelliten-Relaisstation auf dem Gelände der Air Base Ramstein zur Steuerung auch waffenfähiger Drohnen im Ausland informiert. Das Ministerium erklärte daraufhin, dass gegen die Verwirklichung des Vorhabens im Truppenbauverfahren keine Bedenken bestünden.

3 Die Kläger haben im Jahr 2014 Klage erhoben und vor dem Verwaltungsgericht beantragt, die Beklagte zu verurteilen, die Nutzung der Air Base Ramstein, insbesondere der Satelliten-Relaisstation, durch die Vereinigten Staaten von Amerika für Einsätze von unbemannten Fluggeräten, von denen aus Raketen zur Tötung von Personen abgeschossen werden, auf dem Gebiet der Republik Jemen (Region Hadramaut), insbesondere im Distrikt Al-Qutn, in der Ortschaft Khashamer, an den Wohnanschriften der Kläger zu 2. und 3. durch geeignete Maßnahmen, insbesondere Einleitung von Konsultationen zur Beilegung von Meinungsverschiedenheiten über die Anwendung der Art. 53, 60 des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut, durch Anwendung diplomatischer Mittel, Einleitung der Streitbeilegungsverfahren nach dem NATO-Truppenstatut und dem Zusatzabkommen hierzu, Zurückziehung der Zuteilung der Funkfrequenzen für den Funkverkehr der Satelliten-Relaisstation auf der Air Base Ramstein, Kündigung der Nutzungsvereinbarung über die Air Base Ramstein, Einleitung der Revision des Zusatzabkommens zum NATO-Truppenstatut, Einleitung der Revision des NATO-Truppenstatuts, zu unterbinden; hilfsweise festzustellen, dass das Unterlassen geeigneter Maßnahmen zur Unterbindung der Nutzung der Air Base Ramstein durch die Vereinigten Staaten von Amerika für Einsätze von unbemannten Fluggeräten, von denen aus Raketen zur Tötung von Personen abgeschossen werden, auf dem Gebiet der Republik Jemen, insbesondere an den vorstehend bezeichneten Orten, rechtswidrig ist. Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen.

4 Auf die Berufung der Kläger hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Beklagte verurteilt, sich durch geeignete Maßnahmen zu vergewissern, dass eine Nutzung der Air Base Ramstein durch die Vereinigten Staaten von Amerika für Einsätze von unbemannten Fluggeräten, von denen Raketen zur Tötung von Personen abgeschossen werden, auf dem Gebiet der Republik Jemen, Provinz Hadramaut, insbesondere im Distrikt Al-Qutn, in der Ortschaft Khashamer, an den Wohnanschriften der Kläger zu 2. und 3., nur im Einklang mit dem Völkerrecht nach Maßgabe der Urteilsgründe stattfindet, sowie erforderlichenfalls auf dessen Einhaltung gegenüber den Vereinigten Staaten von Amerika hinzuwirken. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen.

5 Zur Begründung hat das Oberverwaltungsgericht ausgeführt: Die Kläger hätten einen aus ihrem Grundrecht auf Leben und körperliche Unversehrtheit gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folgenden Anspruch auf das im Tenor beschriebene Tätigwerden der Beklagten. Dieser ergebe sich zwar nicht schon aus der abwehrrechtlichen Dimension des Grundrechts. Beeinträchtigungen, die durch etwaige völkerrechtswidrige Drohneneinsätze der USA im Jemen unter Einbindung der Air Base Ramstein verursacht würden, seien der Beklagten nicht als Folgen eigenen Handelns zurechenbar. Die Bestimmung des Ziels und des Zeitpunkts sowie die Durchführung der Drohneneinsätze seien ihrem Einfluss entzogen. Einer Nutzung der Air Base Ramstein für völkerrechtswidrige Drohneneinsätze habe sie nicht zugestimmt. Die den USA durch den Aufenthaltsvertrag, das NATO-Truppenstatut und das hierzu abgeschlossene Zusatzabkommen erteilte generelle Gestattung der militärischen Nutzung der Liegenschaften rechtfertige ebenfalls keine Zurechnung. Gleiches gelte für den Umstand, dass der Beklagten die Pläne zur Errichtung einer Satelliten-Relaisstation in Ramstein für bewaffnete Drohneneinsätze bekannt gewesen seien und sie gegenüber der US-Seite erklärt habe, gegen das Vorhaben im Truppenbauverfahren bestünden keine Bedenken.

6 Aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG folge jedoch ein Anspruch der Kläger darauf, dass die Beklagte sie vor drohenden Beeinträchtigungen ihres Lebens und ihrer körperlichen Unversehrtheit durch bewaffnete US-Drohneneinsätze in der jemenitischen Provinz Hadramaut schütze, soweit solche Einsätze unter Nutzung der Air Base Ramstein durchgeführt würden und gegen völkerrechtliche Vorgaben mit engem Bezug zu den Schutzgütern des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verstießen. Die Möglichkeit einer auslandsbezogenen grundrechtlichen Schutzpflicht setze einen hinreichend engen Bezug zum deutschen Staat voraus. Dieser komme auch in Betracht, wenn Ausländer im Ausland betroffen seien. Im Ausland eintretende Beeinträchtigungen der Schutzgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG wiesen einen engen Bezug zum deutschen Staat auf, wenn der andere Staat sein beeinträchtigendes Handeln in wesentlicher Hinsicht vom deutschen Staatsgebiet und mithin aus dem originären Zuständigkeits- und Verantwortungsbereich der deutschen Staatsgewalt heraus vornehme. In diesem Verantwortungsbereich seien die deutschen Staatsorgane im Einklang mit dem in Art. 1 Abs. 2 GG niedergelegten Bekenntnis des deutschen Volkes zu unverletzlichen und unveräußerlichen Menschenrechten verpflichtet, das Völkerrecht zur Geltung zu bringen, wenn das Handeln des anderen Staates damit nicht in Einklang stehe. Zu den völkerrechtlichen Normen, die einen engen Bezug zu den Schutzgütern des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG aufwiesen und in Bezug auf welche daher im Fall von Verstößen die Schutzpflicht bestehe, gehörten das Verbot willkürlicher Tötungen, das gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 3 des Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte gleichermaßen für die Bundesrepublik Deutschland wie für die USA und den Jemen gelte, sowie das Verbot des gezielten oder unterschiedslosen Angriffs auf Zivilpersonen und das dem zugrunde liegende Unterscheidungsgebot in bewaffneten Konflikten nach dem humanitären Völkerrecht. Die Schutzpflicht werde nicht erst ausgelöst, wenn eine künftige Beeinträchtigung der Schutzgüter des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG durch das Handeln eines anderen Staates in Deutschland und die Völkerrechtswidrigkeit dieses Handelns gewiss seien, sondern schon bei einer dem Grundrechtsträger drohenden Gefahr völkerrechtswidriger Beeinträchtigungen von Leib und Leben.

7 Es bestünden gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die USA unter Verwendung technischer Einrichtungen auf der Air Base Ramstein und dort stationierten eigenen Personals bewaffnete Drohneneinsätze im Jemen zur Terrorismusbekämpfung durchführten. Die Luftangriffe richteten sich gegen Operationen, Einrichtungen und Führungsmitglieder der Gruppierung "al-Qaida in the Arabian Peninsula" (AQAP) sowie der Gruppe des sogenannten islamischen Staates (ISIS). Der Datenstrom zur Fernsteuerung der Drohnen werde in Echtzeit aus den USA über eine Satelliten-Relaisstation in Ramstein geleitet, die insoweit als notwendiges Bindeglied zwischen den Piloten in den USA und den Drohnen im Einsatzgebiet im Jemen fungiere. Darüber hinaus bestünden gewichtige tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass die Einbindung der Air Base Ramstein in die Drohneneinsätze auch eine Auswertung von Informationen einschließe.

8 Ferner bestünden gewichtige Anhaltspunkte dafür, dass jedenfalls ein Teil der bewaffneten Drohneneinsätze der USA im Jemen gegen Völkerrecht verstoße. Zwar fänden die Einsätze mit Zustimmung der jemenitischen Regierung statt und verletzten deshalb nicht das auch völkergewohnheitsrechtlich geltende Gewaltverbot gemäß Art. 2 Nr. 4 UN-Charta. Auch sei die Zulässigkeit der Drohneneinsätze gegenwärtig nach humanitärem Völkerrecht zu beurteilen, da sie im Zusammenhang mit einem nicht internationalen bewaffneten Konflikt zwischen der von den USA unterstützten jemenitischen Regierung und AQAP stünden, der trotz einer erheblichen organisatorischen Schwächung...

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