Urteil vom 27.02.2014 - BVerwG 2 C 19.12

JurisdictionGermany
Judgment Date27 Febrero 2014
Neutral CitationBVerwG 2 C 19.12
ECLIDE:BVerwG:2014:270214U2C19.12.0
CitationBVerwG, Urteil vom 27.02.2014 - 2 C 19.12
Registration Date12 Junio 2014
Applied RulesGG Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 1 und 3, Art. 33 Abs. 5, Art. 79 Abs. 3,,WRV Art. 137 Abs. 3 und 5,Art. 140,VwGO § 40 Abs. 1 Satz 1
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
Record Number270214U2C19.12.0

BVerwG 2 C 19.12

  • VG Düsseldorf - 16.07.2010 - AZ: VG 1 K 714/08
  • OVG Münster - 18.09.2012 - AZ: OVG 5 A 1941/10

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 27. Februar 2014
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen
sowie die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Heitz, Dr. von der Weiden,
Dr. Hartung und Dollinger
für Recht erkannt:

  1. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18. September 2012 wird aufgehoben, soweit es das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 16. Juli 2010 geändert hat. Die Berufung des Klägers wird auch insoweit zurückgewiesen.
  2. Der Kläger trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe I

1 Der Kläger beansprucht, im Kirchendienst der Beklagten, einer evangelischen Landeskirche, weiterbeschäftigt zu werden oder zumindest eine Abfindung zu erhalten.

2 Der 1960 geborene Kläger bestand im Jahr 1992 die Zweite Theologische Prüfung. Von Oktober 1992 bis Ende März 1994 stand er als Pastor im Hilfsdienst in einem Dienstverhältnis zur Beklagten. Mit Wirkung vom 1. Juli 1994 ernannte ihn die Beklagte erstmals für die Dauer von fünf Jahren unter Berufung in das Kirchenbeamtenverhältnis auf Zeit zum Pastor im Sonderdienst. Er wurde in einer Kirchengemeinde eingesetzt und mit Aufgaben der Krankenhausseelsorge betraut. Im Juli 1999 wurde das Kirchenbeamtenverhältnis um fünf Jahre verlängert. Nach diesem Zeitraum versicherte die Beklagte den Kläger in der gesetzlichen Rentenversicherung nach und zahlte ihm ein Übergangsgeld.

3 Nach Ablauf des Dienstverhältnisses beantragte der Kläger bei der Beklagten, ihn unbefristet, hilfsweise erneut auf die Dauer von fünf Jahren befristet in ein Kirchenbeamtenverhältnis zu berufen, weiter hilfsweise ihm eine Abfindung zu gewähren, die sachlich den Regelungen für Wahlbeamte auf Zeit entspreche. Die Beklagte lehnte diese Anträge ab; die Klage vor dem kirchlichen Verwaltungsgericht blieb ohne Erfolg.

4 Im Anschluss hieran hat der Kläger das staatliche Verwaltungsgericht angerufen. Dieses hat die Klage als unzulässig abgewiesen, weil der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten nicht eröffnet sei. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberverwaltungsgericht die Beklagte verpflichtet, über die Rechtsschutzbegehren des Klägers unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden. Im Übrigen hat es die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

5 Der Rechtsweg zu den staatlichen Verwaltungsgerichten sei eröffnet. Zum einen übten Religionsgesellschaften, die als öffentlich-rechtliche Körperschaften anerkannt seien, gegenüber ihren Geistlichen und Beamten öffentliche Gewalt aus. Zum anderen stehe dem Kläger ein verfassungsrechtlich verbürgter Justizgewährungsanspruch zu. Die Beklagte habe das Grundrecht des Klägers auf freie Berufswahl verletzt. Danach seien einer Religionsgesellschaft mit Körperschaftsstatus Schutzpflichten gegenüber ihren Seelsorgern auferlegt. Sie dürften Dienstverhältnisse nicht ohne gewichtigen Grund befristen und müssten ihre Bediensteten für den Fall des Ausscheidens aus dem Kirchendienst angemessen absichern. Die Schutzvorkehrungen dürften nicht deutlich von den typusprägenden Grundsätzen des staatlichen Beamtenrechts und den allgemeinen Regelungen des Arbeitsrechts abweichen.

6 Hiergegen richtet sich die Revision der Beklagten, mit der sie beantragt, das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 18. September 2012 aufzuheben, soweit es das Urteil des Verwaltungsgerichts Düsseldorf vom 16. Juli 2010 geändert hat, und die Berufung auch insoweit zurückzuweisen.

7 Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

II

8 Die Revision der Beklagten ist begründet. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts verletzt Bundesrecht, nämlich Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 3 WRV (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Es erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 144 Abs. 4 VwGO). Aus dem Bundesrecht ergeben sich keine Ansprüche des Klägers auf unbefristete oder befristete Weiterbeschäftigung im Dienst der Beklagten oder auf weitere Abfindungsleistungen.

9 1. Das Oberverwaltungsgericht hat den Rechtsweg zu den staatlichen Verwaltungsgerichten zu Recht für eröffnet erachtet. Dies folgt aber entgegen seiner Auffassung nicht bereits aus Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG, sondern aus der verfassungsrechtlich gewährleisteten staatlichen Justizgewährungspflicht, mit der ein subjektives Recht korrespondiert.

10 a) Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG eröffnet den Zugang zu den staatlichen Gerichten nur gegen Akte der öffentlichen Gewalt. Akte der öffentlichen Gewalt im Sinne dieser Bestimmung sind aber lediglich Maßnahmen grundrechtsverpflichteter Staatsfunktionen, mithin alle Staatsgewalt. Danach üben Religionsgesellschaften keine öffentliche Gewalt i.S.d. Art. 19 Abs. 4 GG aus (BVerfG, Kammerbeschluss vom 9. Dezember 2008 - 2 BvR 717/08 - NJW 2009, 1195 Rn. 2 m.w.N.; BVerwG, Urteile vom 25. November 1982 - BVerwG 2 C 21.78 - BVerwGE 66, 241 und vom 30. Oktober 2002 - BVerwG 2 C 23.01 - BVerwGE 117, 145 = Buchholz 11 Art. 140 GG Nr. 68 S. 14).

11 Auch die Zuerkennung des Status einer öffentlich-rechtlichen Körperschaft nach Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 5 WRV ändert nichts daran, dass es sich bei kirchlichen Maßnahmen nicht um Akte staatlicher Gewalt handelt (BVerfG, Kammerbeschluss vom 9. Dezember 2008, a.a.O. Rn. 5; BVerwG, Urteil vom 30. Oktober 2002, a.a.O. S. 147). Im religiös-weltanschaulich neutralen Staat des Grundgesetzes, der keine Staatskirche oder Staatsreligion kennt (Art. 140 GG i.V.m. Art. 137 Abs. 1 WRV), bedeutet diese zusammenfassende Kennzeichnung der Rechtsstellung einer Religionsgesellschaft keine Gleichstellung mit anderen öffentlich-rechtlichen Körperschaften, die in den Staat eingegliedert sind. Der Status einer Körperschaft des öffentlichen Rechts soll die Eigenständigkeit und Unabhängigkeit der Religionsgesellschaften unterstützen. Mit dem Körperschaftsstatus werden ihnen bestimmte hoheitliche Befugnisse gegenüber ihren Mitgliedern übertragen, etwa das Besteuerungsrecht und die Dienstherrnfähigkeit. Dies erleichtert es der Religionsgesellschaft, ihre Organisation und ihr Wirken nach den Grundsätzen ihres religiösen Selbstverständnisses zu gestalten und die hierfür erforderlichen Ressourcen, etwa in Form finanzieller Mittel, zu erlangen. Mit der Zuerkennung des Körperschaftsstatus wird die Religionsgesellschaft aber keiner besonderen Hoheit des Staates oder einer gesteigerten Staatsaufsicht unterworfen (BVerfG, Urteil vom 19. Dezember 2000 - 2 BvR 1500/97 - BVerfGE 102, 370 m.w.N.).

12 b) Der Rechtsweg zu den staatlichen Gerichten ist aber auch in dienstrechtlichen Streitigkeiten zwischen Geistlichen und Kirchenbeamten und ihrer Religionsgesellschaft aufgrund des verfassungsrechtlich gewährleisteten staatlichen Justizgewährungsanspruchs eröffnet, wenn und insoweit die Verletzung staatlichen Rechts geltend gemacht wird (Urteil vom 28. Februar 2002 - BVerwG 7 C 7.01 - BVerwGE 116, 86 = Buchholz 11 Art. 140 GG Nr. 67; Morlok, in: Dreier, GG, 2. Aufl. 2008, Art. 137 WRV Rn. 73). Seine entgegenstehende Rechtsprechung (Urteil vom 30. Oktober 2002 - BVerwG 2 C 23.01 - BVerwGE 117, 145 = Buchholz 11 Art. 140 GG Nr. 68 S. 15) gibt der Senat auf.

13 Das Grundgesetz garantiert Rechtsschutz vor den staatlichen Gerichten nicht nur gemäß Art. 19 Abs. 4 GG, sondern darüber hinaus im Rahmen des allgemeinen Justizgewährungsanspruchs, der aus dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) in Verbindung mit den Grundrechten, insbesondere Art. 2 Abs. 1 GG, folgt (BVerfG, Beschluss vom 20. Juni 1995 - 1 BvR 166/93 - BVerfGE 93, 99 ). Diese grundgesetzliche Garantie des Rechtsschutzes umfasst den Zugang zu den staatlichen Gerichten, die Prüfung des Streitbegehrens in einem förmlichen Verfahren sowie den Erlass einer verbindlichen gerichtlichen Entscheidung (BVerfG, Beschluss vom 12. Februar 1992...

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