Urteil vom 30.11.2022 - BVerwG 6 C 12.20

JurisdictionGermany
Judgment Date30 Noviembre 2022
Neutral CitationBVerwG 6 C 12.20
ECLIDE:BVerwG:2022:301122U6C12.20.0
Record Number301122U6C12.20.0
CitationBVerwG, Urteil vom 30.11.2022 - 6 C 12.20 -
Registration Date13 Febrero 2023
Subject MatterRundfunkrecht einschl. Recht der Rundfunkanstalten, Filmrecht einschl. Filmförderungsrecht, Recht der neuen Medien und Presserecht
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
Applied RulesBGB § 133,GG Art. 5 Abs. 1 Satz 1, Abs. 1 Satz 2, Abs. 2,RStV § 2 Nr. 19, § 11a Abs. 1, § 11d Abs. 1, Abs. 2, Abs. 5 Satz 4, Anlage Nr. 17 Satz 1,VwGO § 43, § 137 Abs. 2

BVerwG 6 C 12.20

  • VG Leipzig - 11.09.2019 - AZ: 1 K 1642/18
  • OVG Bautzen - 16.09.2020 - AZ: 5 A 35/20

In der Verwaltungsstreitsache hat der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 30. November 2022
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Kraft, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Möller, Hahn und Dr. Tegethoff sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gamp
für Recht erkannt:

  1. Auf die Revision des Klägers wird das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 16. September 2020 wie folgt gefasst
  2. "Auf die Berufung des Klägers wird das Urteil des Verwaltungsgerichts Leipzig vom 11. September 2019 dahingehend geändert, dass die Rechtswidrigkeit der Löschung des Kommentars Nr. 13
  3. 'Ob man dabei den Attentäter von Straßburg finden wird??'
  4. festgestellt wird. Im Übrigen wird die Berufung des Klägers zurückgewiesen
  5. Der Kläger trägt die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens zu 12/14 und die Kosten des Berufungsverfahrens zu 12/13; die Beklagte trägt die Kosten des erstinstanzlichen Verfahrens zu 2/14 sowie die Kosten des Berufungsverfahrens zu 1/13."
  6. Im Übrigen wird die Revision zurückgewiesen.
  7. Der Kläger trägt die Kosten des Revisionsverfahrens zu 12/13 und die Beklagte zu 1/13.
Gründe I

1 Der Kläger wendet sich gegen die Löschung von ihm verfasster Kommentare auf der Facebook-Seite des Mitteldeutschen Rundfunks (MDR).

2 Die beklagte Rundfunkanstalt unterhält einen Internetauftritt auf dem sozialen Netzwerk Facebook. Dort veröffentlicht sie sendungsbezogene Beiträge, die angemeldete Facebook-Nutzer kommentieren können. Für die Erstellung von Kommentaren verweist der MDR auf Vorgaben in Form einer sog. Netiquette, die u. a. einen Bezug zu dem Thema der jeweiligen Sendung verlangt.

3 Folgende der vom Kläger auf der Facebook-Seite des MDR geposteten Kommentare wurden durch den Beklagten mangels Sendungsbezugs zu dem Beitrag "Aufarbeitung der Treuhand" gelöscht:
"Hallo Frau G., bei mir hat der MDR - Mitteldeutscher Rundfunk auch Kommentare gelöscht die gegen nichts verstoßen haben. Allerdings habe ich mir diese Zensur nicht gefallen lassen und umgehend meinen Anwalt Herrn S. von der Kanzlei R. informiert. Der MDR - Mitteldeutscher Rundfunk wollte mir auch mit seiner hauseigenen Netiquette kommen ... die jedoch hinfällig sein dürfte als öffentlich-rechtliche Körperschaft!"
"Sehr geehrte Damen und Herren des MDR - Mitteldeutscher Rundfunk, Sie löschen hier permanent meine Kommentare und wie ich Ihnen mitgeteilt habe, habe ich meinen Anwalt, Herrn S. von der Kanzlei R. darüber bereits in Kenntnis gesetzt. Gestern Abend habe ich einen Kommentar von Frau G. kommentiert, doch dieser Kommentar wurde erneut von Ihnen gelöscht, obwohl kein Verstoß vorliegt. Warum? Nennen Sie mir Gründe!! Was Sie hier machen ist Zensur und diese werde ich mir nicht gefallen lassen."
"Z. Meine Kommentare löscht der MDR seit Tagen ohne anständige Begründung, allerdings lasse ich mir das nicht gefallen. Mein Anwalt S. von der Kanzlei R. wurde darüber bereits informiert (auch mit Screenshots der gelöschten Kommentare als Beweis das kein verstoß vorliegt) Der MDR darf allerhöchstens Kommentare löschen, die rechtswidrig sind, alles andere ist nämlich Zensur!!"
"M. Das sieht der MDR jedoch anders und betreibt Zensur, aber mein Anwalt wird sich darum kümmern. Denn auch mein Kommentar von gestern Abend wurde wieder gelöscht von diesen Zensoren!!"

4 Den Beitrag "Hasskommentare im Netz", der eine Umfrage zur Betroffenheit von Nutzern sozialer Medien von Hasskommentaren thematisiert hatte, kommentierte der Kläger wie folgt:
"Erklären Sie mir doch erneut, was hier gegen die Netiquette von MDR - Mitteldeutscher Rundfunk verstößt? Was genau ist denn Hassrede??? Mittlerweile wurde ja sogar die Unabhängigkeitserklärung von Amerika als Hassrede eingestuft. Merkt da noch jemand etwas???"

5 Zu dem Beitrag "Fast jeder zweite Rentner erhält unter 800 € Rente" verfasste der Kläger den Kommentar:
"Niedrige Renten aber die Diäten für die Politik-Darsteller werden automatisch erhöht!! Da sieht man genau wo das Land steht."

6 Den Beitrag "Viele Ost-Rentner von Armut bedroht" kommentierte der Kläger wie folgt:
"MDR - Mitteldeutscher Rundfunk warum bevormunden Sie die Menschen so?? Was stimmt nicht bei Ihnen im Haus??"

7 Zu dem Beitrag "Massensterben bei Amseln durch Usutu-Virus", der eine Infektion durch ein auf Amseln übertragenes Virus thematisiert hatte, verfasste der Kläger folgende Kommentare:
"Schon erstaunlich, was mittlerweile durch Zugvögel alles so eingeschleppt werden soll. Bis vor 3 Jahren, wurde da noch nix durch Zugvögel eingeschleppt!!"
"Warum löschen Sie erneut Kommentare von mir MDR - Mitteldeutscher Rundfunk?? Ich habe gegen nichts verstoßen, allerdings verstößt hier der MDR gegen die Meinungsfreiheit."
"Unterlassen Sie das penetrante löschen meiner Kommentare MDR - Mitteldeutscher Rundfunk. Mein Anwalt hat Sie bereits darüber informiert, das meine Kommentare gegen nichts verstoßen. Sie betreiben hier Zensur!! Sie müssen die Meinungsfreiheit ertragen, ob ihnen das passt oder nicht!! Sie können ja nicht mal begründen, warum Sie meine Kommentare löschen. Schämen Sie sich!!"

8 Zu einem Kommentar, der sich mit der Diskussionskultur insbesondere in sozialen Netzwerken unter Bezugnahme auf die Buchveröffentlichung "Hass im Netz" auseinandersetzte, schrieb der Kläger:
"MDR - Mitteldeutscher Rundfunk, ihr zensiert!! Nicht umsonst habe ich deswegen einen Anwalt eingeschaltet. Anständige Kommentare, die gegen nichts verstoßen, auch nicht gegen Eure sogenannte Netiquette, werden von Euch gelöscht. Jeder der sich vom MDR zensiert fühlt, sollte sich damit an einen Anwalt wenden. Der MDR darf nur Kommentare löschen, die gegen deutsches Recht verstoßen oder strafbaren Inhalt haben alles andere ist ein Verstoß vom MDR gegen die Meinungsfreiheit!!"

9 Ein Beitrag des Beklagten, der ein Video von der Pressekonferenz nach dem Todesfall eines 22-Jährigen im September 2018 mit dem Innenminister und der Justizministerin von Sachsen-Anhalt zum Gegenstand hatte, wurde vom Kläger wie folgt kommentiert:
"MDR - Mitteldeutscher Rundfunk, Ihr zensiert!! Ihr greift radikal in jede anständige Unterhaltung ein und zersetzt so den Zusammenhang und die Meinungsfreiheit. Wenn Kommentare gelöscht werden, die weder gegen deutsches Recht verstoßen noch sonstige Strafbarkeiten beinhalten, dann ist das Zensur!!"

10 Zu dem Beitrag des Beklagten "Bundesweite Razzia gegen Neonazis" verfasste der Kläger die folgenden Kommentare:
"Ob man dabei den Attentäter von Straßburg finden wird??"
"Sie betreiben wieder Zensur??"

11 Der auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Löschung gerichteten Klage hat das Verwaltungsgericht hinsichtlich des Kommentars Nr. 5 stattgegeben und die Klage im Übrigen abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen.

12 Es hat ausgeführt, die Löschung der Kommentare sei als Eingriff in das Grundrecht der Meinungsäußerungsfreiheit durch die Netiquette sowie das virtuelle Hausrecht des Beklagten gerechtfertigt. Zu den allgemeinen Gesetzen im Sinne des Art. 5 Abs. 2 GG zählten u. a. die das Telemedienangebot des öffentlich-rechtlichen Rundfunks betreffenden Regelungen des damals noch geltenden Rundfunkstaatsvertrags (§ 11d RStV i. V. m. Nr. 17 der Anlage zu § 11d Abs. 5 Satz 4 RStV - Negativliste i. d. F. des 21. Rundfunkänderungsstaatsvertrags). Danach seien Foren und Chats ohne Sendungsbezug unzulässig. Diese Vorgaben habe der Beklagte in den als Netiquette bezeichneten Benutzungsregelungen gesetzeskonform ausgestaltet. Bei der Auslegung der gesetzlichen Vorgaben sei zu berücksichtigen, dass der Beklagte Träger des Grundrechts der Rundfunkfreiheit in der Ausprägung der Programmfreiheit sei. Bei der Abwägung zwischen den betroffenen Grundrechtspositionen seien die dem Beklagten gesetzlich obliegenden Aufgaben und Beschränkungen sowie der journalistisch-redaktionelle Charakter des Eingriffs angemessen zu berücksichtigen. Die noch im Streit stehenden Kommentare des Klägers hätten keinen Bezug zu den Themen der jeweiligen Beiträge des MDR aufgewiesen. Der Sendungsbezug fehle auch bei der in der Netiquette ausgeschlossenen Diskussion über gelöschte Kommentare.

13 Hiergegen wendet sich der Kläger mit der vom Oberverwaltungsgericht zugelassenen Revision. Er rügt, § 11d RStV i. V. m. Nr. 17 der Anlage erfasse nur die Auswahl der Inhalte, die von dem Beklagten auf seiner Unternehmensseite eingestellt werden sollten. Weder die Unternehmensseite des Beklagten als solche noch die einzelnen darauf veröffentlichten Beiträge oder die Kommentierungsfunktion stellten Foren oder Chats i. S. d. Negativliste dar. Deshalb sei für die Kommentierungsmöglichkeit kein Sachbezug erforderlich und die Netiquette insoweit unbeachtlich. Dem Beklagten fehle die Befugnis zur Löschung als Moderationsmaßnahme; keinesfalls sei er zur Löschung sachfremder, nicht strafrechtlich relevanter Inhalte berechtigt. Denn die Schlussfolgerung von der in § 11d Abs. 1 RStV geregelten Aufgabe der öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten auf eine gesetzliche Befugnis zur Löschung sei nicht gerechtfertigt.

14 Der Beklagte verteidigt das angefochtene Urteil.

II

15 Die zulässige Revision des Klägers hat nur hinsichtlich der Löschung des Kommentars Nr. 13 Erfolg; insoweit ist die zulässige Feststellungsklage (1.) begründet. Mit Blick auf die übrigen Löschungsmaßnahmen...

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