Beschluss vom 01.12.2020 - BVerwG 2 B 50.20

Judgment Date01 Diciembre 2020
ECLIDE:BVerwG:2020:011220B2B50.20.0
Neutral CitationBVerwG 2 B 50.20
Record Number011220B2B50.20.0
Registration Date16 Febrero 2021
Subject MatterAllgemeines Beamenrecht
CourtDas Bundesverwaltungsgericht

BVerwG 2 B 50.20

  • VG Oldenburg - 15.06.2016 - AZ: VG 6 A 3759/14
  • OVG Lüneburg - 10.03.2020 - AZ: OVG 5 LB 50/18

In der Verwaltungsstreitsache hat der 2. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 1. Dezember 2020
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Domgörgen,
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Hartung und die Richterin
am Bundesverwaltungsgericht Hampel
beschlossen:

  1. Das Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 10. März 2020 wird aufgehoben, soweit es unter Abänderung des Urteils des Verwaltungsgerichts Oldenburg vom 15. Juni 2016 den Bescheid der Beklagten vom 12. Mai 2014 und den Widerspruchsbescheid vom 28. Oktober 2014 insoweit aufgehoben hat, als es die Beklagte verpflichtet hat, dem Kläger für die im Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Mai 2016 über seine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit hinaus geleistete Dienstzeit als "Organisatorischer Leiter Rettungsdienst" im Umfang von 819 Stunden eine Entschädigung über einen Betrag in Höhe von 11 409,62 € zu gewähren.
  2. Im Übrigen wird die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts zurückgewiesen.
  3. Die Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Beklagte zu 73 Prozent und der Kläger zu 27 Prozent. Die in den beiden Vorinstanzen entstandenen Kosten tragen der Kläger zu 62 Prozent und die Beklagte zu 38 Prozent.
  4. Der Streitwert für das Beschwerdeverfahren wird auf 15 653,29 € festgesetzt.
Gründe

1 Die Beschwerde der Beklagten hat im tenorierten Umfang Erfolg. Im Übrigen ist sie teilweise unzulässig und ansonsten unbegründet.

2 1. Der im Jahr 1975 geborene Kläger steht im Amt eines Oberbrandmeisters (Besoldungsgruppe A 8) im feuerwehrtechnischen Dienst der Beklagten. Er begehrt einen zeitlichen oder finanziellen Ausgleich für den seit Januar 2014 über die regelmäßige Wochenarbeitszeit hinaus geleisteten Dienst als "Organisatorischer Leiter Rettungsdienst" (im Folgenden: OrgL-Dienst).

3 Der OrgL-Dienst bei der Feuerwehr der beklagten Stadt wird in 24-Stunden-Schichten von jeweils 8:00 Uhr bis 8:00 Uhr des Folgetages abgeleistet und umfasst die Koordinierung der Versorgung der Verletzten bei Großschadenslagen mit einer Vielzahl von Verletzten. Während des OrgL-Dienstes sind die Beamten mit einem Funkgerät, einem Diensthandy und einem Dienstfahrzeug, das über eine akustische und optische Sondersignalanlage (Blaulicht und Martinshorn) verfügt, ausgestattet. Im Falle der Alarmierung haben sie sich mit diesem Dienstfahrzeug zur Rettungswache am Klinikum zu begeben, dort den Leitenden Notarzt abzuholen, mit diesem zum Einsatzort zu fahren und die örtliche Einsatzleitung zu übernehmen. Seit dem 1. Januar 2012 werden die OrgL-Dienste mit einem pauschalen Satz in Höhe von 12,5 Prozent als Freizeit oder entsprechend finanziell vergütet, wobei die tatsächlichen Einsatzzeiten als Dienstzeit angerechnet werden.

4 Im Dezember 2013 beantragte der Kläger, die über die reguläre Wochenarbeitszeit hinaus wahrgenommenen OrgL-Dienste als Arbeitszeit anzuerkennen und die Zeiten durch Gewährung von Freizeit oder hilfsweise einer finanziellen Entschädigung auszugleichen. Die nach erfolglos durchgeführtem Widerspruchsverfahren erhobene Klage, mit der der Kläger sein Begehren für den Zeitraum ab Januar 2010 weiterverfolgte, hat das Verwaltungsgericht abgewiesen. Auf die nur bezogen auf den Zeitraum ab Januar 2014 zugelassene Berufung hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Beklagte verpflichtet, dem Kläger für die im Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Mai 2016 über die regelmäßige Arbeitszeit hinaus geleisteten OrgL-Dienste im Umfang von 819 Stunden eine Entschädigung in Höhe von 15 653,29 € zu gewähren. Die weitergehende Berufung hat es zurückgewiesen. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt:

5 Der Kläger könne für die im vorbezeichneten Zeitraum geleisteten OrgL-Dienste auf der Grundlage des aus dem Grundsatz von Treu und Glauben hergeleiteten beamtenrechtlichen Ausgleichsanspruchs eine finanzielle Entschädigung verlangen. Der Beklagten sei es aus dienstlichen Gründen nicht möglich, Freizeitausgleich zu gewähren. Zwar stelle der vom Kläger geleistete OrgL-Dienst nach den vom Bundesverwaltungsgericht entwickelten Maßstäben keinen Bereitschaftsdienst und damit keine Arbeitszeit dar. Der Kläger habe sich während des OrgL-Dienstes nicht - wie vom Bundesverwaltungsgericht gefordert - an einem vom Dienstherrn bestimmten Ort außerhalb des Privatbereichs, sondern gerade in seinem Privatbereich für eine etwaige Dienstaufnahme bereitgehalten. Auch die weitere, vom Bundesverwaltungsgericht geforderte Voraussetzung, dass erfahrungsgemäß mit einer dienstlichen Inanspruchnahme zu rechnen sein müsse, liege nicht vor. Während des OrgL-Dienstes sei es nicht typischerweise oder regelmäßig zu Einsätzen gekommen. Allerdings sei diese Rechtsprechung nach der jüngeren Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (Urteil vom 21. Februar 2018 - C-518/15, Matzak - NJW 2018, 1073) nicht mehr heranzuziehen. Es komme vielmehr für die Einstufung von Dienst als Arbeitszeit maßgeblich darauf an, ob sich der Beamte während des Dienstes an einem vom Dienstherrn bestimmten Ort aufhalten und diesem zur Verfügung stehen müsse, um gegebenenfalls sofort die geeigneten Leistungen erbringen zu können. Daran gemessen seien die vom Kläger über die reguläre Arbeitszeit hinaus geleisteten OrgL-Dienste als Arbeitszeit in Form von Bereitschaftsdienst zu qualifizieren. Die den Dienst ausgestaltenden technischen und (dienst-)rechtlichen Vorgaben für die Nutzung des Einsatzfahrzeugs hätten bei typisierender Betrachtung eine faktische Aufenthaltsbeschränkung des OrgL-Dienst leistenden Beamten auf seinen privaten häuslichen Bereich bewirkt. Der Beamte sei während dieses Dienstes mit einem Dienstfahrzeug ausgestattet gewesen, das dauerhaft an eine vom Dienstherrn "freigegebene" häusliche Steckdose anzuschließen gewesen sei, um die Ladung der im Fahrzeug befindlichen Geräte zu erhalten. Das Dienstfahrzeug habe nach den dienstrechtlichen Vorgaben nicht zu privaten Zwecken genutzt werden dürfen. Im Falle der Alarmierung habe der Beamte innerhalb von 20 Minuten am Klinikum eintreffen und den Leitenden Notarzt aufnehmen müssen. Aus diesen Vorgaben habe sich eine Aufenthaltsbeschränkung für die mit dem Dienstfahrzeug eine "Einheit" bildenden Beamten auf ihren häuslichen Bereich ergeben.

6 2. Die Beschwerde ist begründet, soweit sie als verfahrensfehlerhaft (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) rügt, dass das Berufungsgericht mit dem auf den Hilfsantrag des Klägers tenorierten Umfang des beamtenrechtlichen Ausgleichsanspruchs das in § 88 VwGO i.V.m. § 125 Abs. 1 VwGO bestimmte Gebot verletzt hat, nicht über das Klagebegehren hinauszugehen. Das Berufungsgericht hat dem Kläger eine Entschädigung nach Maßgabe der für die Besoldungsgruppen A 9 bis A 12 geltenden Stundensätze der Mehrarbeitsvergütungsbestimmungen zugesprochen. Damit hat es sich verfahrensfehlerhaft über das Klagebegehren hinweggesetzt. Der Kläger hat im Berufungsverfahren hilfsweise beantragt, ihm für die im Zeitraum vom 1. Januar 2014 bis zum 31. Mai 2016 über seine regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit hinaus geleisteten OrgL-Dienste eine entsprechende finanzielle Entschädigung nach den jeweils geltenden Stundensätzen der Mehrarbeitsvergütungsbestimmungen unter Abzug der bereits in Freizeit oder finanziell ausgeglichenen Dienstzeit zu gewähren. Bei sachgerechtem Verständnis hat er eine Entschädigung nach Maßgabe der Besoldungsgruppe des innegehaltenen Amtes eines Oberbrandmeisters, Besoldungsgruppe A 8, beantragt. Davon ausgehend ergibt sich für den nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts bis zum 31. Mai 2015 geleisteten OrgL-Dienst im Umfang von 612 Stunden und der geltenden Mehrarbeitsvergütung von 13,81 €/Stunde ein Betrag in Höhe von 8 451,72 € sowie für den nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts bis zum 31. Mai 2016 geleisteten OrgL-Dienst im Umfang von 324 Stunden und der geltenden Mehrarbeitsvergütung von 14,16 €/Stunde ein Betrag in Höhe von 4 587,84 € (vgl. § 60 Abs. 3 Satz 3 NBG i.V.m. § 1 Abs. 2, § 12 i.V.m. Anlage 18 des Niedersächsischen Besoldungsgesetzes vom 7. November 2008 i.d.F. des Art. 6 des Haushaltsbegleitgesetzes NI 2014 vom 16. Dezember 2013 bzw. des Art. 5 des Haushaltsbegleitgesetzes NI 2015 vom 18. Dezember 2014 ). Unter Berücksichtigung der pauschalen Abzugsregelung von 12,5 Prozent beträgt der Stundenumfang 819 Stunden und damit die Entschädigungssumme lediglich 11 409,62 €.

7 3. Das übrige Beschwerdevorbringen rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision.

8 a) Die Revision ist nicht wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen.

9 Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine Frage des revisiblen Rechts von allgemeiner, über den Einzelfall hinausreichender Bedeutung aufwirft, die im konkreten Fall entscheidungserheblich ist. Ein derartiger Klärungsbedarf besteht nicht, wenn die Rechtsfrage bereits geklärt ist oder auf der Grundlage der bestehenden bundesgerichtlichen Rechtsprechung mit Hilfe der anerkannten Auslegungsregeln auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens eindeutig beantwortet werden kann (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 24. Januar 2011 - 2 B 2.11 - NVwZ-RR 2011, 329 Rn. 4, vom 9. April 2014 - 2 B 107.13 - Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 20 Rn. 9 und vom 16. April 2020 - 2 B 5.19 - NVwZ-RR 2020, 933 Rn. 6).

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