Beschluss vom 03.08.2021 - BVerwG 9 B 49.20

Judgment Date03 Agosto 2021
Neutral CitationBVerwG 9 B 49.20
ECLIDE:BVerwG:2021:030821B9B49.20.0
CitationBVerwG, Beschluss vom 03.08.2021 - 9 B 49.20 -
Record Number030821B9B49.20.0
Registration Date27 Septiembre 2021
Applied RulesFlurbG § 34 Abs. 1,LwAnpG § 63 Abs. 2,ZPO § 557 Abs. 2,VwGO § 5 Abs. 3 Satz 2, § 9 Abs. 3, § 42 Abs. 2, § 54 Abs. 1, §§ 99, 100, § 138 Nr. 1,GG Art. 101 Abs. 1 Satz 2, Art. 103 Abs. 1
Subject MatterFlurbereinigungsrecht und Recht des ländlichen Grundstücksverkehrs
CourtDas Bundesverwaltungsgericht

BVerwG 9 B 49.20

  • OVG Bautzen - 04.09.2020 - AZ: OVG 7 C 9/19.F

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 3. August 2021
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Bick, den Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Dieterich und
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Schübel-Pfister
beschlossen:

  1. Das Urteil des Sächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 4. September 2020 wird aufgehoben. Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen
  2. Die Entscheidung über die Kosten des Beschwerdeverfahrens bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten
  3. Der Wert des Streitgegenstandes für das Beschwerdeverfahren wird auf 5 000 € festgesetzt
Gründe I

1 Die Kläger sind Teilnehmer eines Bodenordnungsverfahrens (Anordnungsbeschluss vom 11. Oktober 2007). Zum Verfahrensgebiet gehört ein ca. 11 000 m2 großes Flurstück, das im Eigentum zur gesamten Hand der Kläger in ungeteilter Erbengemeinschaft steht. Auf dem Grundstück stehen Gebäude des ehemaligen Rinderkombinats S., die sich im (Gebäude-)Eigentum der ... Agrar AG befinden (im Folgenden: Gebäudeeigentümerin).

2 Die Kläger wenden sich gegen einen auf § 63 Abs. 2 LwAnpG i.V.m. § 34 Abs. 1 FlurbG gestützten Bescheid, mit dem der Beklagte nachträglich Maßnahmen zur Sturmschädenbeseitigung an verschiedenen, näher bezeichneten Gebäuden der Gebäudeeigentümer auf dem Grundstück der Kläger (zwei Ställe, zwei Bergeräume und ein Lager) genehmigt hat. Der Bescheid stellt ausdrücklich fest, dass die durchgeführten wertbeeinflussenden Maßnahmen bei der Ermittlung des Abfindungswertes im Bodenordnungsverfahren unberücksichtigt bleiben (Ziff. 2 des Tenors); dies soll auch für Änderungen gelten, die von dem nachgenehmigten Umfang nicht erfasst werden (Ziff. 3 Satz 1 des Tenors).

3 Im Gerichtsverfahren begehrten die Kläger Akteneinsicht, um ihre Klage näher begründen zu können. Hierzu wies der Beklagte auf Folgendes hin: Die Akten seien dem Gericht bereits in einem anderen Verfahren der Kläger zum Az. 7 C 6/19.F vorgelegt worden (vgl. hierzu Beschluss vom heutigen Tage im Verfahren BVerwG 9 B 48.20 ); es sei aber nur ein Teil dieser Akten für den Ausgangsbescheid herangezogen worden; hinsichtlich der übrigen Aktenteile bestehe kein Einsichtsrecht. Der Berichterstatter des Flurbereinigungsgerichts schloss sich dieser Auffassung an und teilte den Klägern mit, dass "die Akteneinsicht auch bei Gericht auf die Aktenbestandteile beschränkt wird, die die Klage betreffen".

4 Nachdem die Kläger konkrete Termine zur Akteneinsicht für den Juni 2020 vorgeschlagen hatten, bat der Beklagte Anfang Juni 2020 im Verfahren mit dem Az. 7 C 6/19.F um die zeitnahe Rücksendung eines Teils der vorgelegten Akten; am 9. Juni 2020 wurden einem Vertreter des Beklagten dann ausweislich des Empfangsbekenntnisses 30 Heftungen Behördenakten auf der Geschäftsstelle ausgehändigt, darunter allerdings nicht die Akten zur Nachgenehmigung des Sturmschadens. Diese verblieben als Verwaltungsvorgang beim dortigen Verfahren; die Kläger nahmen am 16. Juni 2020 insoweit Akteneinsicht. Erst im Nachgang informierte der zuständige Berichterstatter des Flurbereinigungsgerichts die Kläger über die Rückgabe der anderen Akten (vgl. Verfügung vom 2. Juli 2020). Zugleich setzte er ihnen eine Frist nach § 87b Abs. 1 Satz 1 VwGO zur Angabe von Tatsachen und wies ausdrücklich auf die Möglichkeit einer Entscheidung nach § 87b Abs. 3 Satz 1 VwGO hin.

5 Im Zusammenhang mit den vorbeschriebenen Vorgängen lehnten die Kläger den Berichterstatter und seine ebenfalls tätig gewordene Stellvertreterin wegen der Besorgnis der Befangenheit ab. Hierüber entschied das Flurbereinigungsgericht jeweils in der Besetzung mit zwei Berufsrichtern ohne Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter; die jeweils abgelehnten Richter wirkten ebenfalls nicht mit. Am 4. September 2020, dem Tag der mündlichen Verhandlung, lehnten die Kläger, nachdem sie Kenntnis von den vorgenannten Beschlüssen erlangt hatten, die beiden Berufsrichter erneut ab, diesmal mit der Begründung, dass über ihre Befangenheitsanträge entgegen der gesetzlichen Regelung in § 139 FlurbG ohne die ehrenamtlichen Richter entschieden worden sei. Über dieses Befangenheitsgesuch entschied das Flurbereinigungsgericht in seiner vollen Besetzung, also einschließlich der drei ehrenamtlichen Richter, aber unter Mitwirkung der beiden abgelehnten Richter. Das Gericht wies das Gesuch als rechtsmissbräuchlich zurück und führte anschließend die mündliche Verhandlung in der genannten Besetzung durch. Die Klage gegen den Genehmigungsbescheid wurde, soweit sie sich nicht gegen die Höhe der im Widerspruchsbescheid festgesetzten Kosten richtete, als unzulässig abgewiesen. Den Klägern fehle die Klagebefugnis für die Anfechtung der Genehmigung, weil die Vorschrift des § 34 FlurbG in der Regel - und so auch hier - nur die Flurbereinigungsbehörde schütze. Die Revision wurde nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Nichtzulassungsbeschwerde der Kläger.

II

6 Die zulässige Beschwerde ist begründet. Zwar führt sie nicht zur Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache (A); es liegen jedoch mehrere von der Beschwerde geltend gemachte Verfahrensmängel vor (B), auf denen das Urteil beruht (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Dies führt zu seiner Aufhebung und zur Zurückverweisung der Rechtssache an die Vorinstanz nach § 133 Abs. 6 VwGO (C).

7 A. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen.

8 1. Die Frage,
ob eine Klagebefugnis aufgrund eines anderen Besitzstandes grundsätzlich in einem Bodenordnungsverfahren nach dem Landwirtschaftsanpassungsgesetz ausgeschlossen werden kann, obwohl sich die Beteiligten gemeinsam im Bodenordnungsverfahren befinden,
zielt auf die Frage, ob der Grundstückseigentümer klagebefugt ist, wenn er sich gegen Genehmigungen nach § 63 Abs. 2 LwAnpG, § 34 Abs. 1 Nr. 1 und 2 FlurbG wendet, die dem Gebäudeeigentümer erteilt worden sind. Sie lässt sich auch ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens in bejahendem Sinne - und damit entgegen der dem Urteil des Flurbereinigungsgerichts zugrunde gelegten Auffassung - beantworten:

9 Zwar schützt im Flurbereinigungsverfahren das Genehmigungserfordernis nach § 34 Abs. 1 FlurbG grundsätzlich nicht andere Teilnehmer des Verfahrens; dies schließt aber auch dort die Möglichkeit von Ausnahmen im Einzelfall ein (stRspr, BVerwG, Urteil vom 25. April 1989 - 5 C 24.86 - Buchholz 424.01 § 34 FlurbG Nr. 3; Beschluss vom 19. November 2020 - 9 B 46.19 - NVwZ 2021, 570). Die Regelung korrespondiert mit dem das Flurbereinigungsrecht beherrschenden Prinzip, dass jeder Teilnehmer eine seiner Einlage entsprechende wertgleiche Abfindung beanspruchen, aber nicht verlangen kann, in bestimmter Lage abgefunden zu werden. Durch die Genehmigungserteilung wird die an ihrer Einlage ausgerichtete Rechtsposition der anderen Teilnehmer der Flurbereinigung grundsätzlich nicht verschlechtert.

10 In bestimmten Fallgruppen ist Drittschutz jedoch anerkannt worden, beispielsweise dann, wenn Grundstücke nur unter den Voraussetzungen des § 45 FlurbG verändert oder einem anderen zugeteilt werden dürfen (BVerwG, Beschluss vom 12. Oktober 1979 - 5 C 3.77 - Buchholz 424.01 § 34 FlurbG Nr. 2) oder wenn durch ein Vorhaben im Sinne des § 34 Abs. 1 Nr. 2 FlurbG der Wert der Einlage eines anderen Teilnehmers in flurbereinigungsrechtlich beachtlicher Weise beeinträchtigt würde (BVerwG, Urteil vom 25. April 1989 - 5 C 24.86 - Buchholz 424.01 § 34 FlurbG Nr. 3 S. 2 f.).

11 Mit der letztgenannten Fallgruppe vergleichbar ist das hier betroffene Verhältnis zwischen Grundstückseigentümer und Gebäudeeigentümer im Bodenordnungsverfahren. Sowohl bei der Feststellung der Ergebnisse der Wertermittlung (§ 63 Abs. 2 LwAnpG i.V.m. §§ 27 ff. FlurbG) als auch bei der Aufstellung des Bodenordnungsplans (§ 59 LwAnpG) ist die Restnutzungsdauer der Gebäude des Gebäudeeigentümers gemäß dem Rechtsgedanken des § 31 Abs. 1 SachenRBerG zu berücksichtigen. Soweit dem Gebäudeeigentümer nicht ein Nutzungsrecht zusteht, das ihn zu einem Neubau berechtigen würde, führt eine geringe Restnutzungsdauer zu einer Erhöhung des Bodenwertes, die im Rahmen der Wertfestsetzung dem Bodeneigentümer zugutekommt (BVerwG, Urteil vom 25. Januar 2017 - 9 C 29.15 - BVerwGE 157, 194 Rn. 15).

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