BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1404/20 -
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn (…), |
- Bevollmächtigte:
-
(…) -
gegen |
a) |
das Urteil des Bundesgerichtshofs |
vom 18. Juni 2020 - 4 StR 482/19 -, |
||
b) |
das Urteil des Landgerichts Berlin |
|
vom 26. März 2019 - (532 Ks) 251 Js 52/16 (9/18) - |
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Huber
und die Richterinnen Kessal-Wulf,
Wallrabenstein
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der
Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 7. Dezember 2022 einstimmig beschlossen:
- Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen
Die Verfassungsbeschwerde betrifft den als „Ku’damm-Raser-Fall“ bekanntgewordenen Sachverhalt. Sie richtet sich gegen ein Urteil des Landgerichts Berlin vom 26. März 2019 und ein Urteil des Bundesgerichtshofs vom 18. Juni 2020.
I.
1. Im Februar 2017 verurteilte das Landgericht Berlin den Beschwerdeführer und einen Mitangeklagten im ersten Rechtsgang unter anderem wegen Mordes zu lebenslangen Freiheitsstrafen. Auf die Revisionen beider Angeklagten hob der Bundesgerichtshof das Urteil im März 2018 auf und verwies die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung zurück (BGH, Urteil des 4. Strafsenats vom 1. März 2018 - 4 StR 399/17 -, BGHSt 63, 88).
2. Im zweiten Rechtsgang verurteilte eine andere als Schwurgericht eingerichtete Strafkammer des Landgerichts den Beschwerdeführer und seinen Mitangeklagten mit dem mit der Verfassungsbeschwerde angegriffenen Urteil vom 26. März 2019 erneut wegen Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung und vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs zu lebenslangen Freiheitsstrafen.
a) Nach den Feststellungen des Schwurgerichts fuhr der Beschwerdeführer Anfang des Jahres 2016 nachts mit seinem hochmotorisierten Kraftfahrzeug den Berliner Kurfürstendamm entlang. Er kam an einer roten Ampel zufällig neben dem späteren Mitangeklagten zum Stehen, der ihm flüchtig bekannt war. Die Männer vereinbarten spontan, ein Wettrennen bis zur nächsten roten Ampel – ein in der Raser-Szene sogenanntes Stechen – auszutragen. Der Kontrahent des Beschwerdeführers verfügte über das deutlich stärker motorisierte Fahrzeug und gewann das erste Stechen. Auch ein zweites Stechen entschied er für sich, denn er erreichte als erster die nächste rote Ampel.
Der unterlegene Beschwerdeführer hielt an dieser Ampel nicht an, sondern überfuhr sie trotz des Haltesignals, um seinen Kontrahenten zu einer Wettfahrt über eine größere Distanz zu bewegen. Verärgert darüber, dass der Beschwerdeführer seine Niederlage nicht akzeptierte, setzte der Mitangeklagte ihm nach. Beide Männer waren sich nun einig, ein Autorennen in der Berliner Innenstadt auszutragen. Dementsprechend fuhren sie mit hohen Geschwindigkeiten für etwa eineinhalb Kilometer mehrspurige Hauptverkehrsstraßen entlang. Der Kontrahent des Beschwerdeführers ging in Führung und konnte sich in einer langgezogenen Kurve etwas absetzen. Beide Männer durchfuhren diese Kurve nahezu mit der dafür maximal möglichen Geschwindigkeit, wobei sie das Haltesignal einer Ampel missachteten. Als die Männer kurz nach dieser Kurve auf eine weitere ampelgeregelte, für sie nicht einsehbare Kreuzung (der von ihnen befahrenen Straße) mit einer anderen mehrspurigen Straße zufuhren, zeigte auch diese Ampel für sie Rotlicht. Dennoch setzten sie das Rennen fort.
Vor dieser Kreuzung erkannte der Beschwerdeführer, dass er das Rennen nur durch eine weitere Beschleunigung und damit noch risikoreichere Fahrt als bislang würde gewinnen können. Um zu seinem Kontrahenten aufzuschließen, beschleunigte er sein Fahrzeug, indem er das Gaspedal voll durchtrat. Obwohl er wusste, dass er noch vor der Ampel habe anhalten können, beschloss er, das Haltesignal zu ignorieren und die Kreuzung zu durchfahren. Dabei erkannte er die Möglichkeit, dass Personenkraftwagen aus der Querstraße bei Grünlicht in die Kreuzung einfahren könnten, da trotz der Nachtzeit Fahrzeugverkehr in der Berliner Innenstadt herrschte. Er wusste zudem, dass er möglichen Querverkehr an der Kreuzung aufgrund der Sichtverhältnisse vor Ort erst würde wahrnehmen können, wenn es ihm selbst nicht mehr möglich sein würde, auf den Querverkehr durch Fahrmanöver zu reagieren und eine als möglich erachtete Kollision abzuwenden. Er erkannte weiter die Möglichkeit, dass die Insassen der querenden Fahrzeuge im Kollisionsfall zu Tode kommen könnten. Das nahm er jedoch in Kauf, um das Rennen zu gewinnen und das von einem Sieg ausgehende Gefühl der Überlegenheit und der Selbstwertsteigerung zu verspüren. Für sich selbst, den Mitangeklagten und dessen Beifahrerin erkannte er zwar im Falle einer Kollision mit querenden Personenkraftwagen ebenfalls die Möglichkeit einer Verletzung, rechnete jedoch im Hinblick auf die moderne Sicherheitsausstattung beider Fahrzeuge und auf die als möglich erkannte Unfallkonstellation – einen Aufprall der Fahrzeuge mit der Front in die weniger geschützte Seite querender Fahrzeuge – mit eher leichten Verletzungen.
Als die beiden Männer, das Haltesignal der Ampel ignorierend, in die Kreuzung einfuhren, fuhr der leicht in Führung liegende Mitangeklagte mit einer Geschwindigkeit von etwa 130 km/h auf dem linken Fahrsteifen. Der Beschwerdeführer fuhr mit wenigstens 160 km/h auf dem rechten Fahrstreifen. Zur gleichen Zeit fuhr ein deutlich geringer motorisierter Geländewagen auf der den Fahrweg der beiden Männer querenden Straße mit einer Geschwindigkeit von 30 bis 50 km/h bei Grünlicht in die Kreuzung ein. Mit wenigstens 160 km/h stieß der Beschwerdeführer ungebremst mit der Mitte der Fahrzeugfront seines Kraftwagens gegen diesen Geländewagen und drang wenigstens 50 cm tief in das Fahrzeug ein. Der Geländewagen drehte sich um die eigene Achse, hob ab und flog etwa 25 Meter durch die Luft. Er schlug mit der hinteren linken Ecke des Daches auf der Fahrbahn auf, wobei das Dach in den Fahrzeuginnenraum gedrückt wurde, rutschte auf der linken Fahrzeugseite liegend die Fahrbahn entlang und blieb 72 Meter vom Kollisionsort entfernt liegen. Das Fahrzeug des Beschwerdeführers wurde durch die Kollision mit dem Geländewagen abgelenkt und streifte das Fahrzeug des Mitangeklagten. Dessen Fahrzeug kollidierte in der Folge mit einem Ampelmast und danach mit der Granitumfassung eines Hochbeets, das auf einem Grünstreifen in der Fahrbahnmitte angelegt war. Das Fahrzeug des Beschwerdeführers kollidierte ebenfalls mit dieser Umfassung.
Der Fahrer des Geländewagens starb noch an der Unfallstelle an den durch den Unfall verursachten inneren Verletzungen. Der Beschwerdeführer erlitt eine stark blutenden Kopfplatzwunde. Sein Mitangeklagter verspürte nach dem Unfall Schmerzen im Arm. Die Beifahrerin des Mitangeklagten erlitt unter anderem eine Lungenkontorsion, Prellungen und eine Kopfplatzwunde.
b) Das Schwurgericht zeigte sich davon überzeugt, der Beschwerdeführer habe mit bedingtem Tötungsvorsatz gehandelt, als er ab dem Ausgang der langgezogenen Kurve maximal beschleunigt und die Fahrt bis zum Unfall kontinuierlich mit voll durchgetretenem Gaspedal fortgesetzt habe. Ihm sei bewusst gewesen, dass die Gefährlichkeit seiner Handlungen kaum noch zu steigern gewesen sei, da ihm seine Geschwindigkeit und die baulichen Gegebenheiten vor Ort bekannt gewesen seien. Für ein Risikobewusstsein des Beschwerdeführers sprächen überdies seine Angaben gegenüber einer als sachverständige Zeugin vernommenen Verkehrspsychologin, der er berichtete, er vermeide es tagsüber an der Unfallstelle, bei Rotlicht in die Kreuzung einzufahren, nachts gehe er das Risiko aber ein. Dass der Beschwerdeführer sich des Unfallrisikos auch zur Nachtzeit bewusst gewesen sei, ergebe sich schon daraus, dass er als Ortskundiger wisse, dass es sich bei der als Rennstrecke genutzten Straßen um zentrale innerstädtische Hauptverkehrsadern Berlins handele. Die Verkehrslage habe der Beschwerdeführer überdies daran erkannt, dass er kurz vor der Kurve an einem Taxi vorbeigefahren sei, das an einer roten Ampel gewartet habe. Zudem seien die Ampeln nicht aus Gründen des mangelnden Verkehrsaufkommens zur Nachtzeit abgeschaltet gewesen. Ein als Sachverständiger gehörter Diplom-Ingenieur und ein als Zeuge vernommener Polizeibeamter hätten weiter bestätigt, dass Personenkraftwagen auch zu dieser Uhrzeit die als Rennstrecke genutzte Straße querten.
Für den Beschwerdeführer habe es außerdem auf der Hand gelegen, dass die Wahrscheinlichkeit sehr hoch gewesen sei, ein Unfall werde für die Insassen des querenden Fahrzeugs tödlich enden. Es dränge sich förmlich auf, dass das Rasen mit hoher Geschwindigkeit über eine Kreuzung bei rotem Ampellicht bei einem frontalen Anprall des Fahrzeugs auf die relativ ungeschützte Fahrerseite eines von rechts querenden Fahrzeugs zu tödlichen Folgen für dessen Insassen führen könne. Dagegen seien keine tatsachenfundierten Umstände ersichtlich, die darauf schließen ließen, der Beschwerdeführer habe auf das Ausbleiben des von ihm als möglich erachteten tatbestandlichen Erfolgs ernsthaft vertraut. Die Gefährlichkeit der Tathandlung sei auch als Indiz für das Willenselement des bedingten Vorsatzes heranzuziehen. Weiter sei zu sehen, dass der Beschwerdeführer – wie von der vernommenen Verkehrspsychologin nachvollziehbar dargelegt – seinen Selbstwert über sein Kraftfahrzeug und seine Fahrweise definiere. Seine Ziele, durch den...