Beschluss vom 07. Februar 2019 - 2 BvR 2406/16
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2019:rk20190207.2bvr240616 |
Citation | BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 07. Februar 2019 - 2 BvR 2406/16 - Rn. (1-36), |
Judgement Number | 2 BvR 2406/16 |
Date | 07 Febrero 2019 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 2406/16 -
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn D…, |
gegen |
a) |
den Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 12. Oktober 2016 - 2 Ws 176/16 -, |
b) |
den Beschluss des Landgerichts Lüneburg vom 8. September 2016 - 161 StVK 47/16 - |
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterin Hermanns,
den Richter Müller
und die Richterin Langenfeld
am 7. Februar 2019 einstimmig beschlossen:
- Der Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 12. Oktober 2016 - 2 Ws 176/16 - und der Beschluss des Landgerichts Lüneburg vom 8. September 2016 - 161 StVK 47/16 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes
- Der Beschluss des Oberlandesgerichts Celle vom 12. Oktober 2016 - 2 Ws 176/16 - wird aufgehoben. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung über die Kosten und die notwendigen Auslagen des Beschwerdeführers an das Oberlandesgericht Celle zurückverwiesen
- Das Land Niedersachsen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anordnung der Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus.
I.
1. Gegen den Beschwerdeführer wurde durch Urteil des Landgerichts Verden vom 18. Dezember 2000 wegen eines im Zustand der Schuldunfähigkeit begangenen Totschlags die Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Nachdem gegen den Beschwerdeführer seit dem 25. Juni 2000 die Untersuchungshaft und seit dem 7. Juli 2000 die vorläufige Unterbringung gemäß § 126a StPO vollzogen worden waren, wird die Maßregel seit dem 28. April 2001 vollstreckt.
2. Nach Einholung einer Stellungnahme der behandelnden Klinik vom 19. Juli 2016 sowie nach Anhörung des Beschwerdeführers und der behandelnden Oberärztin ordnete das Landgericht Lüneburg mit angegriffenem Beschluss vom 8. September 2016 die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus an.
Die Unterbringung sei fortzusetzen, weil derzeit noch nicht zu erwarten sei, dass der Beschwerdeführer außerhalb des Maßregelvollzugs keine Straftaten mehr begehen werde. Dies folge aus der Stellungnahme der behandelnden Klinik, auf die zur Vermeidung von Wiederholungen wegen der Einzelheiten Bezug genommen werde, ergänzt durch die Angaben der Oberärztin im Rahmen ihrer Anhörung. Zusammengefasst heiße es dort, dass es bei Aussetzung der Maßregel zu einem vollständigen Verlust der Tagesstruktur käme und mangels Kontakt- und Beziehungsfähigkeit zu massivsten erruptiven Aggressionen, die zu erheblichen Straftaten (Tötungsdelikte) führen könnten. Die Kammer schließe sich dem nach dem Eindruck, den sie in der Anhörung vom „Verurteilten“ gewonnen habe, nach eigener kritischer Würdigung an. Es bestehe weiterhin die Gefahr erheblicher Straftaten mit schweren seelischen und körperlichen Schäden im Sinne von § 67d Abs. 6, Abs. 3 Satz 1 StGB in der seit dem 1. August 2016 geltenden Fassung. Angesichts der fortbestehenden Gefährlichkeit des Beschwerdeführers stehe der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit der Fortdauer der Unterbringung derzeit noch nicht entgegen. Allerdings sei der „Verurteilte“ zeitnah durch weitere Lockerungen zu erproben.
3. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde verwarf das Oberlandesgericht Celle mit ebenfalls angegriffenem Beschluss vom 12. Oktober 2016 als unbegründet. Die Gründe des angefochtenen Beschlusses träfen zu. Das Beschwerdevorbringen greife ihnen gegenüber nicht durch.
4. Nach Erhebung der vorliegenden Verfassungsbeschwerde wurde die Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers in einem psychiatrischen Krankenhaus mit rechtskräftigem Beschluss des Landgerichts Lüneburg vom 16. April 2018 erneut angeordnet.
II.
Der anwaltlich nicht vertretene Beschwerdeführer rügt eine Verletzung seines Freiheitsrechts.
Die Fortdauer des Maßregelvollzugs sei unverhältnismäßig. Das Gewicht seines Freiheitsgrundrechts steige, je länger der Freiheitsentzug andauere. Auch befinde er sich seit dem 5. August 2016 mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft in der offen geführten therapeutischen Wohngemeinschaft auf dem offenen Krankenhausgelände. Die behandelnde Klinik habe hiergegen keine Sicherheitsbedenken geäußert. Aufsichtspersonal werde in der Wohngemeinschaft nicht eingesetzt. Da ein ärztlicher Kontakt nur alle 14 Tage veranlasst werde, stehe fest, dass nur noch eine geringe Gefährlichkeit vermutet werde.
III.
1. Der Generalbundesanwalt beim Bundesgerichtshof hält die Verfassungsbeschwerde nicht für aussichtsreich. Sie sei schon nicht zulässig erhoben worden, jedenfalls aber unbegründet. Der Beschwerdeführer habe sich nicht in hinreichender Weise inhaltlich mit den angegriffenen Entscheidungen auseinandergesetzt. Außerdem genügten die angegriffenen Entscheidungen noch den verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Anordnung einer Fortdauer der Unterbringung des Beschwerdeführers und deren Begründung. Zwar sei der Beschluss des Landgerichts, auf den das Oberlandesgericht verweise, knapp gehalten und redaktionell nicht durch Sorgfalt ausgezeichnet. Jedoch werde die Art und der Grad der Wahrscheinlichkeit der vom Beschwerdeführer drohenden Straftaten ausreichend bestimmt. Auch sei vor diesem Hintergrund nicht zu beanstanden, dass bei der nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit gebotenen Abwägung den Sicherungsinteressen der Allgemeinheit der Vorrang eingeräumt worden sei.
2. Das Justizministerium Niedersachsen hat von einer Stellungnahme abgesehen.
IV.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt. Die Voraussetzungen für eine stattgebende Kammerentscheidung nach § 93c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 93a Abs. 2 BVerfGG sind erfüllt. Das Bundesverfassungsgericht hat die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen – insbesondere die sich aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebenden Anforderungen an die Anordnung der Fortdauer langandauernder Unterbringungen in einem psychiatrischen Krankenhaus – bereits entschieden (§ 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG; vgl. BVerfGE 70, 297; zuletzt auch BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 23. Mai 2018 - 2 BvR 1161/16 -, juris). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch zur Durchsetzung des Grundrechts des Beschwerdeführers aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die zulässige...
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