Beschluss vom 07. September 2011 - 1 BvR 1012/11
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2011:rk20110907.1bvr101211 |
Citation | BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 07. September 2011 - 1 BvR 1012/11 - Rn. (1-23), |
Judgement Number | 1 BvR 1012/11 |
Date | 07 Septiembre 2011 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1012/11 -
über
die Verfassungsbeschwerde
der F… GmbH,
gesetzlich vertreten durch den Geschäftsführer S…
Breite Straße 24, 13187 Berlin -
gegen a) | den Beschluss des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 9. März 2011 - 30 C 342/10 -, |
b) | das Urteil des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 18. Februar 2011 - 30 C 342/10 - |
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Kirchhof
und die Richter Eichberger,
Masing
am 7. September 2011 einstimmig beschlossen:
- Das Urteil des Amtsgerichts Brandenburg an der Havel vom 18. Februar 2011 - 30 C 342/10 - verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Das Urteil wird aufgehoben. Die Sache wird an das Amtsgericht Brandenburg an der Havel zurückverwiesen. Damit wird der Beschluss des Amtsgerichts vom 9. März 2011 - 30 C 342/10 - gegenstandslos.
- Das Land Brandenburg hat der Beschwerdeführerin die ihr im Verfassungsbeschwerdeverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu erstatten.
- Der Wert des Gegenstands der anwaltlichen Tätigkeit im Verfassungsbeschwerdeverfahren wird auf 4.000 € (in Worten: viertausend Euro) festgesetzt.
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die zivilgerichtliche Versagung von Inkassokosten als Verzugsschaden.
1. Die Beschwerdeführerin, Klägerin im Ausgangsverfahren, ist ein privatärztliches Abrechnungsinstitut, welches ärztliche Honorarforderungen gegen Patienten gewerbsmäßig ankauft, sich abtreten lässt und anschließend eigenständig geltend macht. Vorliegend ließ sich die Beschwerdeführerin mehrere ärztliche Honorarforderungen gegen den Beklagten im Ausgangsverfahren abtreten. Trotz Inrechnungstellung und anschließender Mahnung mit jeweils angemessener Fristsetzung bezahlte der Beklagte die geforderten Honorare ohne Angabe von Gründen nicht. Die Beschwerdeführerin beauftragte daher ein Inkassounternehmen mit der Geltendmachung der Forderungen. Auch deren Bemühungen, die Forderungen beizutreiben, blieben aber erfolglos.
2. Die Beschwerdeführerin erhob daher Klage zum Amtsgericht mit dem Antrag, den Beklagten zur Zahlung der Hauptforderungen sowie - nebst weiteren Verzugsschäden - zur Zahlung der Inkassokosten in Höhe der Mindestkosten einer entsprechenden vorgerichtlichen Tätigkeit eines Rechtsanwalts (vorliegend: 39 Euro) zu verurteilen. Begründet wurde die Geltendmachung der Inkassokosten insbesondere auch unter Bezugnahme auf mehrere obergerichtliche Entscheidungen wie unter anderem BGH, Urteil vom 24. Mai 1967 - VIII ZR 278/64 -, juris und OLG Dresden, Urteil vom 4. April 1995 - 13 U 1515/93 -, NJW-RR 1996, S. 1471. Insbesondere trug die Beschwerdeführerin vor, dass die genannten Entscheidungen die grundsätzliche Erstattungsfähigkeit von Inkassokosten ausdrücklich anerkannt hätten, sich die Beschwerdeführerin regelmäßig des beauftragten Inkassounternehmens zur Forderungseinziehung bediene, was auch regelmäßig ohne Inanspruchnahme anwaltlicher Hilfe zum Erfolg führe, und dass auch im konkreten Fall zum Zeitpunkt der Beauftragung keine Anhaltspunkte vorgelegen hätten, dass die Forderungen nur im Falle einer gerichtlichen Titulierung gezahlt werden würden.
3. Das Amtsgericht wies die Beschwerdeführerin im Verfahren nach § 495a ZPO darauf hin, dass es Bedenken bezüglich der Erstattungsfähigkeit der Inkassokosten habe. Hierzu nahm die Beschwerdeführerin erneut ausführlich Stellung. Neben den bereits in der Antragsschrift gemachten Ausführungen trug sie insbesondere noch vor, dass die vom Bundesgerichtshof in seiner Entscheidung vom 24. Mai 1967 genannte Einschränkung der Erstattungsfähigkeit im Falle der Vorhersehbarkeit der Erfolglosigkeit vorliegend nicht gegeben sei, da der Beklagte im Vorfeld gegen die Hauptforderungen keine Einwendungen erhoben habe. Ferner wies sie das Gericht darauf hin, dass im Falle des Abweichens von den genannten obergerichtlichen Entscheidungen die Berufung zwingend zuzulassen sei.
4. Im angegriffenen Urteil gab das Amtsgericht der Beschwerdeführerin in der Hauptsache sowie der sonstig geltend gemachten Verzugsschäden recht, wies die Klage jedoch betreffend der geltend gemachten Inkassokosten ab. Hierzu führte es aus, dass die Einschaltung eines Inkassobüros regelmäßig gegen die Schadensminderungspflicht nach § 254 BGB...
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