Beschluss vom 08. Mai 2012 - 1 BvR 1065/03
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2012:rs20120508.1bvr106503 |
Citation | BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 08. Mai 2012 - 1 BvR 1065/03 - Rn. (1-57), |
Date | 08 Mayo 2012 |
Judgement Number | 1 BvR 1065/03 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
L e i t s ä t z e
zum Beschluss des Ersten Senats vom 8. Mai 2012
- 1 BvR 1065/03 -
- 1 BvR 1082/03 -
- Die Satzung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder ist tauglicher Beschwerdegegenstand im Sinne des § 90 Abs. 1 BVerfGG
- Richtet sich eine Verfassungsbeschwerde gegen komplexe Regelungen zur Leistungsberechnung, genügt es nicht, nachteilige Ungleichbehandlungen durch einzelne Faktoren zu behaupten; vielmehr bedarf es auch einer Auseinandersetzung mit ihrem Zusammenwirken und dessen Ergebnis. Im Einzelfall kann es zumutbar sein, dabei unterstützende Beratung in Anspruch zu nehmen, um einen Verfassungsverstoß substantiiert rügen zu können
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1065/03 -
- 1 BvR 1082/03 -
über
die Verfassungsbeschwerden
I. | des Herrn W…, |
Soltauer Allee 22, 21335 Lüneburg -
1. | unmittelbar gegen |
a) | das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 17. April 2003 - 12 U 194/02 -, |
b) | das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 12. Juli 2002 - 6 O 462/01 -, |
c) | § 18 BetrAVG in der Neufassung ab 1. Januar 2001 (BGBl I S. 1914), |
2. | mittelbar gegen |
a) | § 18 BetrAVG n.F., |
b) | § 37 Abs. 1 Buchstabe b und Abs. 4, §§ 44, 44a der Satzung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder in der Fassung der 36. Satzungsänderung vom 22. September 1999 (BAnz Nr. 242 vom 22. Dezember 1999) und der 41. Satzungsänderung |
- 1 BvR 1065/03 -,
II. | des Herrn Prof. Dr. S…, |
Soltauer Allee 22, 21335 Lüneburg -
1. | unmittelbar gegen |
a) | das Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 17. April 2003 - 12 U 193/02 -, |
b) | das Urteil des Landgerichts Karlsruhe vom 12. Juli 2002 - 6 O 460/01 -, |
c) | § 18 BetrAVG in der Neufassung ab 1. Januar 2001 (BGBl I S. 1914), |
2. | mittelbar gegen |
a) | § 18 BetrAVG n.F., |
b) | § 37 Abs. 1 Buchstabe b der Satzung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder in der Fassung bis zur 41. Satzungsänderung |
- 1 BvR 1082/03 -
hat das Bundesverfassungsgericht - Erster Senat - unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Vizepräsident Kirchhof,
Gaier,
Eichberger,
Schluckebier,
Masing,
Paulus,
Baer,
Britz
am 8. Mai 2012 beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerden werden zurückgewiesen.
Die Verfassungsbeschwerden betreffen die Berechnung von Versorgungsanwartschaften nach der Satzung der Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder und § 18 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung.
I.
1. Die Versorgungsanstalt des Bundes und der Länder (im Folgenden: Versorgungsanstalt) hat als Zusatzversorgungseinrichtung für Beschäftigte des öffentlichen Dienstes die Aufgabe, den Beschäftigten der an ihr beteiligten Arbeitgeber im Wege privatrechtlicher Versicherung eine Alters-, Erwerbsminderungs- und Hinterbliebenenversorgung zu gewähren. Diese ergänzt die Rente aus der gesetzlichen Rentenversicherung. Zur Gewährleistung der Zusatzversorgung schließen die Arbeitgeber mit der Versorgungsanstalt einen privatrechtlichen Gruppenversicherungsvertrag ab. Den Beschäftigten erwächst gegenüber der Versorgungsanstalt ein versicherungsrechtlicher Zusatzversorgungsanspruch.
2. Dem System der Zusatzversorgung durch die Versorgungsanstalt lag bis zum 31. Dezember 2000 der „Tarifvertrag über die Versorgung der Arbeitnehmer des Bundes und der Länder sowie von Arbeitnehmern kommunaler Verwaltungen und Betriebe“ vom 4. November 1966 (Versorgungs-TV, abgedruckt in: Berger/Kiefer/Langenbrinck, Das Versorgungsrecht für die Arbeitnehmer des öffentlichen Dienstes, Teil A 1
Beschäftigte im öffentlichen Dienst erhielten im Normalfall eine Versorgungsrente nach § 37 Abs. 1 Buchstabe a, §§ 40 bis 43b VBLS a.F. Einen Anspruch darauf hatten Versicherte, die bei Eintritt des Versicherungsfalls die Wartezeit von 60 Umlagemonaten erfüllt hatten (§ 38 Abs. 1 VBLS a.F.) und bei der Versorgungsanstalt pflichtversichert waren (§ 37 Abs. 1 Buchstabe a VBLS a.F.). Der Versicherungsfall trat bei Versicherten der gesetzlichen Rentenversicherung grundsätzlich an dem Tag ein, ab dem sie nach dem Bescheid des Rentenversicherungsträgers eine Vollrente bezogen (§ 39 Abs. 1 Satz 1 VBLS a.F.). Mit der Versorgungsrente garantierte der Arbeitgeber eine Altersversorgung in Höhe eines bestimmten Prozentsatzes des letzten Bruttoentgelts, wobei die Rente aus der gesetzlichen Altersversicherung angerechnet wurde. Die Versicherten sollten dadurch ein Gesamtversorgungsniveau erreichen, das sich an der Beamtenversorgung orientierte. Die Gesamtversorgung war auf einen bestimmten Vomhundertsatz des fiktiv aus dem Bruttoentgelt zu berechnenden Nettoentgelts begrenzt. Die Berechnung beruhte auf dem zuletzt erzielten Durchschnittsentgelt (§ 43 VBLS a.F.), der gesamtversorgungsfähigen Zeit (§ 42 VBLS a.F.) und einem nach der Länge der gesamtversorgungsfähigen Zeit gestaffelten Versorgungssatz (§ 41 Abs. 2 bis Abs. 2b VBLS a.F.). Der Versorgungssatz betrug mindestens 35 % des Bruttoentgelts und 45 % des Nettoentgelts. Er stieg mit fortdauernder gesamtversorgungsfähiger Zeit bis zu einem Höchstsatz von 75 % des Bruttoentgelts beziehungsweise 91,75 % des Nettoentgelts, der nach 40 gesamtversorgungsfähigen Jahren erreicht wurde. Zuvor hatte bis 1991 eine Versorgungsstaffel gegolten, nach der der Höchstsatz bereits nach 35 gesamtversorgungsfähigen Jahren erreicht wurde. Für einen Teil der Versorgungsrentenberechtigten, die am 31. Dezember 1991 bei der Versorgungsanstalt pflichtversichert waren, sah § 98 VBLS a.F. Übergangsregelungen vor, nach denen die alte Versorgungsstaffel eingeschränkt weiter anzuwenden war.
Die von der Versorgungsrente zu unterscheidende Versicherungsrente war gemäß § 37 Abs. 1 Buchstabe b VBLS a.F. die Rentenart für diejenigen, die bei Eintritt des Versorgungsfalls nicht mehr pflichtversichert, also typischerweise vorzeitig aus dem öffentlichen Dienst ausgeschieden waren. Für die Berechnung verwies § 37 Abs. 1 Buchstabe b VBLS a.F. einerseits auf § 44 VBLS a.F., andererseits auf § 44a VBLS a.F. Die Beschwerdeführer greifen diese Vorschriften mittelbar an. Der Beschwerdeführer zu 1) greift zudem mittelbar § 37 Abs. 4 VBLS a.F. an, wonach für bestimmte Fälle des unverschuldeten, vorzeitigen Ausscheidens eine bestehende Pflichtversicherung zum Zeitpunkt des Eintritts des Versorgungsfalls fingiert wurde.
§ 44a VBLS a.F. regelte den Anspruch auf „Versicherungsrente auf Grund des Betriebsrentengesetzes“ und war § 18 des Gesetzes zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung in der Fassung vom 19. Dezember 1974 (§ 18 BetrAVG a.F., BGBl I S. 3610) nachgebildet. Das Bundesverfassungsgericht erklärte § 18 BetrAVG a.F. mit Beschluss vom 15. Juli 1998 (BVerfGE 98, 365) für mit Art. 3 Abs. 1 und Art. 12 Abs. 1 GG unvereinbar. Daraufhin wandte die Versorgungsanstalt § 44a VBLS a.F. nicht mehr an (bestätigt durch BGH, Urteil vom 14. Januar 2004 - IV ZR 56/03 -, VersR 2004, S. 453). Stattdessen berechnete sie Zusatzrenten nach § 18 BetrAVG in der Neufassung vom 21. Dezember 2000 (BGBl I S. 1914), die mit den vorliegenden Verfassungsbeschwerden angegriffen wird.
3. Das Gesetz zur Verbesserung der betrieblichen Altersversorgung schützt Beschäftigte, deren Arbeitsverhältnis vor Eintritt des Versorgungsfalls endet, vor dem Verlust der betrieblichen Altersversorgung. Nach § 1b BetrAVG entsteht unter dort näher geregelten Voraussetzungen eine unverfallbare Anwartschaft auf eine Rente.
Die Höhe der unverfallbaren Anwartschaft wird bei Beschäftigten in der privaten Wirtschaft ratierlich gemäß § 2 BetrAVG berechnet. Ausgangspunkt war nach der hier maßgeblichen Fassung vom 26. Juni 2001 (BGBl I S. 1310) grundsätzlich die Höhe der Betriebsrente, die erreicht worden wäre, wenn das Arbeitsverhältnis bis zur Vollendung des 65. Lebensjahrs fortbestanden hätte. Dieser Betrag wurde durch die mögliche Gesamtarbeitszeit bis zur Vollendung des 65. Lebensjahrs geteilt und mit der Zeit der tatsächlichen Betriebszugehörigkeit multipliziert.
Für den Teil des öffentlichen Dienstes, in dem die Zusatzversorgung durch einen der in § 18 Abs. 1 Nr. 1 und 2 BetrAVG genannten Zusatzversorgungsträger organisiert ist, gelten etwas andere Regeln. Wer vor Eintritt des Versorgungsfalls - dem Versicherungsfall im Sinne der jeweiligen Versorgungsregelung - aus dem öffentlichen Dienst ausscheidet, erhält eine Zusatzrente gemäß § 18 Abs. 2 BetrAVG. Ausgangspunkt dieser Berechnung ist die nach dem jeweiligen Versorgungssystem fiktiv höchstmögliche Versorgungsleistung auf Grundlage des Entgelts bei Ausscheiden (Voll-Leistung). Eine Versorgungsrente wird in Höhe eines Vomhundertsatzes dieser Voll-Leistung gewährt, der sich aus der Multiplikation der Zahl der Jahre der Pflichtversicherung aufgrund des Arbeitsverhältnisses mit dem festen Faktor 2,25 pro Jahr ergibt; abweichend von § 2 Abs. 1 BetrAVG wird also nicht auf die Dauer der Betriebszugehörigkeit abgestellt, sondern auf die Zeit der Pflichtversicherung.
Bei der Berechnung der Voll-Leistung muss...
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