BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 2440/16 -
- 1 BvR 2441/16 -
über
die Verfassungsbeschwerden
des Herrn S…, |
- Bevollmächtigte:
-
Kurth Rechtsanwälte,
Keithstraße 14, 10787 Berlin -
1. gegen |
a) |
den Beschluss des Amtsgerichts Spandau vom 17. Oktober 2016 - 70a II RB 389/16 -, |
b) |
den Beschluss des Amtsgerichts Spandau vom 14. September 2016 - 70a II RB 389/16 -, |
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c) |
den Beschluss des Amtsgerichts Spandau vom 22. August 2016 - 70a II RB 389/16 -, |
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d) |
den Beschluss des Amtsgerichts Spandau vom 24. März 2016 - 70a II RB 389/16 -, |
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e) |
den Beschluss des Amtsgerichts Spandau vom 29. Februar 2016 - 70a II RB 389/16 - |
und | Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts |
- 1 BvR 2440/16 -,
2. gegen |
a) |
den Beschluss des Amtsgerichts Spandau vom 17. Oktober 2016 - 70a II RB 458/16 -, |
b) |
den Beschluss des Amtsgerichts Spandau vom 14. September 2016 - 70a II RB 458/16 -, |
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c) |
den Beschluss des Amtsgerichts Spandau |
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vom 22. August 2016 - 70a II RB 458/16 -, |
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d) |
den Beschluss des Amtsgerichts Spandau vom 24. März 2016 - 70a II RB 458/16 -, |
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e) |
den Beschluss des Amtsgerichts Spandau vom 29. Februar 2016 - 70a II RB 458/16 - |
und | Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts |
- 1 BvR 2441/16 -
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Kirchhof,
den Richter Schluckebier
und die Richterin Ott
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung
vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 9. November 2017 einstimmig beschlossen:
- Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen
- Die Anträge auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts werden abgelehnt
Die beiden Verfassungsbeschwerden wenden sich gegen mehrere amtsgerichtliche Entscheidungen in zwei Beratungshilfeverfahren, mit denen dem Beschwerdeführer Verfahrenskostenhilfe für Gehörsrügen sowie Kostenerstattung versagt wurden.
I.
1. Das Gesetz über die Rechtsberatung und Vertretung für Bürger mit geringem Einkommen vom 18. Juni 1980 (Beratungshilfegesetz - BerHG, BGBl I S. 689), zuletzt geändert durch Art. 140 der Zehnten Zuständigkeitsanpassungsverordnung vom 31. August 2015 (BGBl I S. 1474), regelt die Gewährung von Hilfe für die Wahrnehmung von Rechten außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens und im obligatorischen Güteverfahren nach § 15a EGZPO. Beratungshilfe wird gemäß § 1 Abs. 1 BerHG auf Antrag gewährt, wenn erstens der Rechtsuchende die erforderlichen Mittel nach seinen persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen nicht aufbringen kann, zweitens nicht andere Möglichkeiten für eine Hilfe zur Verfügung stehen, deren Inanspruchnahme dem Rechtsuchenden zuzumuten ist, und drittens die Inanspruchnahme der Beratungshilfe nicht mutwillig erscheint.
2. Der Beschwerdeführer ist nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch - Sozialhilfe - (SGB XII) leistungsberechtigt. In den beiden Ausgangsverfahren beantragte er beim Amtsgericht Beratungshilfe, um im Wege des Widerspruchs gegen zwei Bescheide eines Berliner Bezirksamts vorzugehen. Mit diesen Bescheiden wurde ihm die einmalige Gewährung bestimmter Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch Zwölftes Buch versagt. In dem einen Verfahren verlangte er die Übernahme von Kosten in Höhe von 50 € für eine Akteneinsicht durch einen Rechtsanwalt in zwei staatsanwaltschaftliche Ermittlungsakten, denen Strafanzeigen des Beschwerdeführers gegen Mitarbeiter der Staatsanwaltschaft zugrunde lagen. In dem anderen Verfahren erstrebte er die Übernahme von Kosten in Höhe von 19 € für die Übersetzung eines Führungszeugnisses, das der beabsichtigten Auswanderung des Beschwerdeführers nach Thailand dienen sollte.
3. Das Amtsgericht wies die Anträge des Beschwerdeführers auf Gewährung von Beratungshilfe zunächst zurück. Die Erinnerungen des Beschwerdeführers blieben ebenfalls erfolglos. Wegen dieser ablehnenden Beschlüsse wurde dem Beschwerdeführer jeweils Beratungshilfe für die Angelegenheit „Beratung hinsichtlich der Möglichkeiten der Rechtsverfolgung durch die Obergerichte (hier BVerfG)“ bewilligt. Der Beschwerdeführer erhob - nun anwaltlich vertreten - in beiden Ausgangsverfahren jeweils eine Gehörsrüge gegen die bisher ergangenen Entscheidungen und beantragte zugleich, ihm dafür Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen. Das Amtsgericht hob daraufhin seine Entscheidungen auf beziehungsweise änderte sie ab und bewilligte dem Beschwerdeführer Beratungshilfe.
Die Anträge des Beschwerdeführers, ihm für die Gehörsrügen Verfahrenskostenhilfe zu bewilligen, wies das Amtsgericht aber zurück: Die Beratungshilfe entspreche außerhalb eines gerichtlichen Verfahrens der Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe; es sei anerkannt, dass für das Prozess- oder Verfahrenskostenhilfeverfahren keine Prozess- oder Verfahrenskostenhilfe bewilligt werden könne. Dagegen erhob der Beschwerdeführer jeweils eine weitere Gehörsrüge und beantragte dafür wiederum die Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe. Ferner beantragte er unter Hinweis auf den Erfolg der beiden ersten Gehörsrügen, dem Land die Kosten der Verfahren aufzuerlegen. Das Amtsgericht wies die Kostenanträge, die weiteren Gehörsrügen und die Anträge auf Verfahrenskostenhilfe zurück. Hinsichtlich der Entscheidungen über die Kostenanträge erhob der Beschwerdeführer jeweils noch eine weitere Gehörsrüge. Diese Gehörsrügen verwarf das Amtsgericht als unzulässig.
II.
Die beiden Verfassungsbeschwerden richten sich gegen die jeweils fünf amtsgerichtlichen Entscheidungen, die in jedem der beiden Beratungshilfeverfahren ergingen. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung der Garantie der Rechtswahrnehmungsgleichheit aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 1 und Abs. 3, Art. 19 Abs. 4 GG, des Willkürverbots nach Art. 3 Abs. 1 GG, des Anspruchs auf ein faires Verfahren nach Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG, des Anspruchs auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG, des Anspruchs auf wirkungsvollen Rechtsschutz aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip und des Anspruchs auf rechtliches Gehör nach Art. 103 Abs. 1 GG.
1. Die Versagung der Verfahrenskostenhilfe sei verfassungswidrig erfolgt. Dem Beschwerdeführer habe ein Anspruch auf Bewilligung von Verfahrenskostenhilfe zugestanden, sowohl für die Gehörsrügen in den Beratungshilfe-Hauptsachen als auch für die Gehörsrügen gegen die ihm die Verfahrenskostenhilfe versagenden Beschlüsse. Das Beratungshilfeverfahren stelle ein gerichtliches Hauptsacheverfahren nach § 114 ZPO dar. Anders als das Prozess- und Verfahrenskostenhilfeverfahren bestehe das Beratungshilfeverfahren nicht aus einem Haupt- und einem Nebenverfahren. Auch handele es sich bei den Gehörsrügen um Rechtsverfolgung beziehungsweise Rechtsverteidigung gemäß § 114 Abs. 1 ZPO.
Das Bundesverfassungsgericht habe zwar anerkannt, dass der Grundsatz, wonach keine Prozesskostenhilfe für das Prozesskostenhilfeverfahren gewährt werde, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sei. Allerdings sei der vorliegende Fall anders gelagert. Zum einen handele es sich um ein Beratungshilfeverfahren, das ähnlich dem Sozialverwaltungsverfahren sei. Zum anderen begehre der Beschwerdeführer Prozesskostenhilfe für ein Rechtsbehelfsverfahren. Der Grundsatz „Keine PKH für PKH“ gelte nur für das Prozesskostenhilfeverfahren. Für das Beschwerdeverfahren sei dort § 127 Abs. 4 ZPO einschlägig. Für die Gehörsrüge fehle es an einer entsprechenden Rechtsgrundlage.
Falls das Bundesverfassungsgericht zu der Auffassung gelange, dass der Grundsatz „Keine PKH für PKH“ auch in der Beratungshilfe und auch für das Gehörsrügeverfahren gelte, könne dieser jedoch nur Anwendung finden, wenn der Beschwerdeführer einen Kostenerstattungsanspruch materiell-rechtlicher Natur gegen das Land habe. Gerügt werden müsse daher auch die faktische Benachteiligung des Beschwerdeführers, indem ihm trotz des Vorliegens der Voraussetzungen für die Gewährung von Beratungshilfe in der Hauptsache und damit trotz erfolgreicher Gehörsrügen die eigenen Verfahrenskosten auferlegt worden seien. Die Rechtsverfolgung werde damit faktisch erschwert, weil sie schlichtweg wirtschaftlich nachteilig sei.
2. Die angegriffenen Entscheidungen verstießen gegen das Willkürverbot aus Art. 3 Abs. 1 GG. Das Amtsgericht habe das durch alle Gesetze wirkende Prinzip der Kostenfreiheit für den Obsiegenden verkannt, was eine nicht zu rechtfertigende falsche Rechtsanwendung darstelle.
3. Die angegriffenen Beschlüsse des Amtsgerichts verletzten den Beschwerdeführer auch in seinen Ansprüchen auf ein faires Verfahren aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG und auf effektiven und wirkungsvollen Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG sowie aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip. Vertrete das Gericht schon im Vorhinein die Auffassung, dass Kosten eines erfolgreichen Rechtsbehelfsverfahrens nicht erstattbar seien, habe es auf diesen Umstand vor der Einlegung des Rechtsbehelfs hinzuweisen.
4. Schließlich sei der Anspruch des Beschwerdeführers auf rechtliches Gehör gemäß Art. 103 Abs. 1 GG verletzt. Das Amtsgericht...