Beschluss vom 10. September 2009 - 1 BvR 814/09
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2009:rk20090910.1bvr081409 |
Date | 10 Septiembre 2009 |
Judgement Number | 1 BvR 814/09 |
Citation | BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 10. September 2009 - 1 BvR 814/09 - Rn. (1-28), |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 814/09 -
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn M...
gegen a) | den Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 2. März 2009 - 5 S 3047/08 -, |
b) | das Urteil des Verwaltungsgerichts Karlsruhe vom 8. Oktober 2008 - 4 K 1514/08 - |
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Papier
und die Richter Eichberger,
Masing
am 10. September 2009 einstimmig beschlossen:
Der Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 2. März 2009 - 5 S 3047/08 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an den Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer die Hälfte seiner notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
I.
1. Im Ausgangsverfahren geht es um die durch Zeichen 241 zu § 41 StVO angeordnete Pflicht zur Benutzung eines Radwegs und um ein Verbot für Radfahrer nach Zeichen 254. Die Verkehrszeichen wurden 1991 oder 1992 aufgestellt.
2. Mit Schreiben vom 21. Juli 2007 erhob der Beschwerdeführer gegen diese Verkehrszeichen Widerspruch, den er unter anderem darauf stützte, dass sie nicht zwingend geboten im Sinne des § 45 Abs. 9 StVO seien. Mit Widerspruchsbescheid vom 17. April 2008 wies das Regierungspräsidium den Widerspruch zurück.
3. Der Beschwerdeführer erhob hiergegen Klage, die das Verwaltungsgericht Karlsruhe mit dem angegriffenen Urteil überwiegend abwies. Die Klage gegen die durch die Verkehrszeichen verkörperten Verwaltungsakte sei unzulässig, da der Widerspruch nicht innerhalb der Widerspruchsfrist erhoben worden und damit seinerseits unzulässig sei. Für die Bekanntgabe eines Verkehrszeichens gelte nach überwiegender Meinung, dass diese durch die Anbringung des Verkehrszeichens selbst stattfinde. Dabei komme es nicht mehr darauf an, dass sich der Einzelne erst dem Schild nähern und dieses subjektiv wahrnehmen müsse, damit es ihm gegenüber als bekannt gegeben gelte. Eine öffentliche Bekanntgabe solle unabhängig von der Kenntnisnahme des Individuums stattfinden. Ansonsten führte die Auffassung des Beschwerdeführers dazu, dass für jeden Einzelnen individuelle Widerspruchsfristen liefen und die Bestandskraft des Verkehrsschildes kaum je angenommen werden könnte.
4. Der Beschwerdeführer stellte gegen dieses Urteil einen Antrag auf Zulassung der Berufung, den der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg mit dem angegriffenen Beschluss vom 2. März 2009 ablehnte. Zur Begründung heißt es: Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angegriffenen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ließen sich der Antragsbegründung nicht entnehmen. Soweit der Beschwerdeführer beanstande, dass das Verwaltungsgericht seine Klage bereits wegen eines - aufgrund der nicht gewahrten einjährigen Widerspruchsfrist - nicht ordnungsgemäß durchgeführten Vorverfahrens als unzulässig abgewiesen habe, führten seine hierzu gemachten Ausführungen auf keine ernstlichen Zweifel. Die Argumentation des Beschwerdeführers, dass Verkehrszeichen - entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts - nicht in Bestandskraft erwachsen könnten, weil die jeweilige - einjährige - Widerspruchsfrist nicht vor einer individuellen Betroffenheit des jeweiligen Verkehrsteilnehmers zu laufen beginne, beruhe auf der früheren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, welche ersichtlich noch von der Notwendigkeit einer Einzelbekanntgabe von Verkehrszeichen ausgegangen sei, berücksichtige indes nicht hinreichend die neuere, von den Obergerichten ganz überwiegend übernommene Rechtsprechung dieses Gerichts, wonach Verkehrszeichen bereits durch ihre Aufstellung als eine besondere Form der öffentlichen Bekanntgabe bekannt gegeben würden. Davon ausgehend stelle das angegriffene Urteil lediglich eine konsequente Anwendung dieser neueren Rechtsprechung dar. Denn Sinn und Zweck einer öffentlichen Bekanntgabe bestünden gerade darin, dass sie für und gegen jedermann wirke und zwar auch in die Zukunft gegenüber erst später betroffenen Personen. Sei aber von einer durch ordnungsgemäße Aufstellung der Verkehrszeichen bereits erfolgten wirksamen (öffentlichen) Bekanntgabe auszugehen, habe auch die nach § 70 Abs. 2, § 58 Abs. 2 VwGO einjährige Widerspruchsfrist des § 70 Abs. 1 Satz 1 VwGO zu laufen begonnen. Diese beginne mit der Bekanntgabe eines Verwaltungsakts und nicht mit dem Zeitpunkt einer etwa erst späteren, erstmaligen (konkreten) Betroffenheit. Dass diese vom Verwaltungsgericht gezogene - letztlich zwingende - Konsequenz mit der Garantie effektiven Rechtsschutzes unvereinbar wäre, vermöge der Senat nicht zu erkennen.
Die Rechtssache weise auch keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) auf. Allein der Umstand, dass die Interpretation der vom Beschwerdeführer angeführten Urteile des Bundesverwaltungsgerichts offenbar Mühe zu machen scheine, vermöge noch auf keine besonderen rechtlichen Schwierigkeiten der vorliegenden Rechtssache zu führen. Auch die erhobene Divergenzrüge (§ 124 Abs. 2 Nr. 4 VwGO) rechtfertige eine Zulassung der Berufung nicht.
II.
1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die Ablehnung des Zulassungsantrags seien nicht erfüllt. Die Verneinung des Vorliegens einer Divergenz verkenne die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts. Unhaltbar sei die Behauptung, besondere rechtliche Schwierigkeiten lägen nicht vor. Das folge schon daraus, dass die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu der hier maßgeblichen Frage von verschiedenen Obergerichten unterschiedlich interpretiert und auch im Schrifttum diskutiert...
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