Beschluss vom 13. April 2022 - 1 BvR 1021/17
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2022:rk20220413.1bvr102117 |
Date | 13 Abril 2022 |
Judgement Number | 1 BvR 1021/17 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1021/17 -
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn (…), |
- Bevollmächtigte:
-
HÄRTING Rechtsanwälte PartGmbB,
Chausseestraße 13, 10115 Berlin -
gegen |
a) |
den Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden |
vom 20. März 2017 - 14 W 1025/16 -, |
||
b) |
den Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden |
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vom 29. Dezember 2016 - 14 W 1025/16 - |
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Paulus,
Christ
und die Richterin Härtel
am 13. April 2022 einstimmig beschlossen:
- Der Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 29. Dezember 2016 - 14 W 1025/16 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht Dresden zurückverwiesen.
- Damit wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden vom 20. März 2017 gegenstandslos.
- Das Land Sachsen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Auslegung eines auf Urheberrecht beruhenden zivilgerichtlichen Verbotstitels durch einen Ordnungsgeldbeschluss.
1. Die Vollstreckungsgläubigerin, die Klägerin des zugrunde liegenden Erkenntnisverfahrens, ist eine indirekte Tochtergesellschaft eines amerikanischen Unternehmens, das Computerspiele entwickelt und vertreibt. Dazu gehören auch die beiden verfahrensgegenständlichen Online-Rollenspiele, die über das Internet gespielt werden und bei denen zahlreiche Spieler mit ihren Figuren zugleich in der virtuellen Spielwelt aktiv werden und dabei verschiedenartige Aufgaben lösen und mit anderen Figuren interagieren. Der Beschwerdeführer ist Geschäftsführer einer Gesellschaft, die Software als Zubehör für solche Online-Spiele entwickelte und vertrieb. Diese Software führt bestimmte Handlungen innerhalb eines Spiels automatisiert durch (sogenannte „Bot“-Software).
2. In dem rechtskräftig abgeschlossenen Erkenntnisverfahren, das dem beschwerdegegenständlichen Vollstreckungsverfahren zugrunde liegt, nahm die Klägerin den Beschwerdeführer erfolgreich auf Unterlassung, Auskunft und Feststellung der Schadensersatzpflicht wegen Urheberrechtsverletzung in Anspruch. Nach weitgehender Zurückweisung der Revision des Beschwerdeführers durch den Bundesgerichtshof (Urteil vom 6. Oktober 2016 - I ZR 25/15 -, GRUR 2017, S. 266 – World of Warcraft I) ist der Unterlassungstitel des Landgerichts dadurch in dem Umfang rechtskräftig geworden, dass es dem Beschwerdeführer unter Androhung der gesetzlichen Ordnungsmittel untersagt ist, „selbst oder durch Dritte (einschließlich einer von ihm vertretenen juristischen Person) die Client-Software für die Online-Spiele […] ganz oder teilweise, dauerhaft oder vorübergehend zu gewerblichen Zwecken zu vervielfältigen, insbesondere indem er selbst oder durch Dritte Teile der Client-Software für die Online-Spiele […] auf die Festplatte eines PC kopiert und/oder in den Arbeitsspeicher lädt […], um zu gewerblichen Zwecken eine Automatisierungssoftware für diese Spiele herzustellen und/oder zu bearbeiten“.
Der Beschwerdeführer habe das Urheberrecht an der Client-Software für die streitgegenständlichen Online-Spiele verletzt. Indem der Beschwerdeführer oder die Mitarbeiter der GmbH die Client-Software dauerhaft auf den Festplatten gespeichert und bei der Teilnahme an den Online-Spielen vorübergehend in die Arbeits- und Grafikspeicher des betroffenen Computers geladen hätten, sei es zu Vervielfältigungen der urheberrechtlich geschützten Spiele-Software im Sinne von § 69c Nr. 1, § 15 Abs. 1 Nr. 1, § 16 UrhG gekommen, was durch das vertraglich eingeräumte Nutzungsrecht lediglich zu privaten Zwecken nicht gedeckt sei. Der Beschwerdeführer hafte für eigene Verletzungen sowie als Geschäftsführer der GmbH für Verletzungshandlungen durch deren Mitarbeiter, weil er das Geschäftsmodell des Unternehmens entworfen und das rechtsverletzende Verhalten der Mitarbeiter veranlasst habe.
3. Im Vollstreckungsverfahren, dem Ausgangsverfahren der Verfassungsbeschwerde, begehrte die Klägerin als Vollstreckungsgläubigerin gemäß § 890 ZPO die Festsetzung von Ordnungsmitteln gegen den Beschwerdeführer wegen Verstößen gegen das titulierte Unterlassungsgebot. Der Beschwerdeführer habe Veränderungen an der Bot-Software vorgenommen, die zwingend das Ablaufenlassen der Client-Software voraussetze. Der Beschwerdeführer machte insbesondere geltend, dass seine inländischen Mitarbeiter schriftlich angewiesen worden seien, die Client-Software des Spiele-Betreibers nicht weiter zu verwenden. Zudem hielten sich weitere Mitarbeiter, die in die Entwicklung der Bot-Software eingebunden seien, nicht in Deutschland, sondern im Ausland auf.
a) Das Landgericht wies die Anträge auf Verhängung von Ordnungsmitteln zunächst zurück. Zwar kam es aufgrund der durchgeführten Beweisaufnahme zu der Überzeugung, dass der Beschwerdeführer die Client-Software für die Online-Spiele zur Bearbeitung seiner Bot-Software vervielfältigen lasse. Es stehe aber nicht fest, dass die Vervielfältigungshandlungen auch im Inland begangen worden seien. Alleine die Anpassung der Bot-Software führe nicht zu einer Verletzungshandlung in Deutschland. Der urheberrechtliche Unterlassungstitel enthalte kein selbstständiges Verbot, die Bot-Software zu bearbeiten, sondern umschreibe nur den Zweck des Vervielfältigens. Die aus dem Unterlassungsgebot resultierende Handlungspflicht beziehe sich auch nur darauf, Urheberrechtsverletzungen im Inland zu unterbinden.
b) Auf die sofortige Beschwerde der Vollstreckungsgläubigerin hat das Oberlandesgericht mit dem angegriffenen Beschluss ein Ordnungsgeld gegen den Beschwerdeführer festgesetzt.
Zwar komme nach dem Territorialitätsprinzip die Verletzung eines inländischen Schutzrechts durch eine Auslandshandlung grundsätzlich nicht in Betracht. Hier liege aber keine reine Auslandshandlung vor. Im Rahmen des Vollstreckungsverfahrens sei nicht auf eine Verletzungshandlung gegen das inländische Schutzrecht, sondern auf eine Zuwiderhandlung gegen das auf das Inland begrenzte Verbot des Titels abzustellen. Zudem genüge es, wenn ein Teil der Handlung im Inland begangen sei. Im Streitfall sei die Zuwiderhandlung gegen den Titel im Inland erfolgt. Der Umfang des Verbotstitels erstrecke sich auch auf eine im Inland begangene Beteiligung an einer Vervielfältigung durch Dritte. Dass die Vervielfältigung ihrerseits unterbunden werden könne, was im Ausland nicht der Fall sei, setze das Titelverbot einer Beteiligung nicht voraus. Der Titel verlange vom Schuldner nicht nur, im Inland alles zu unterlassen, sondern im Inland auch alles zu tun, was im konkreten Fall erforderlich war, um künftige Vervielfältigungen der Client-Software des Spiels durch Dritte – und sei es auch im Ausland – zu verhindern. Der Beschwerdeführer könne sich nicht darauf berufen, dass der Verstoß ohne sein Zutun erfolgt sei, sondern müsse auch auf Dritte einwirken, soweit deren Handeln in seinem Einflussbereich liege und ihm wirtschaftlich zugutekomme. Dem habe der Beschwerdeführer nicht genügt. So sei bereits nicht ersichtlich, dass er vom Inland aus alle Mitarbeiter seines Unternehmens ausreichend belehrt und angewiesen habe. Hinzukomme, dass der Beschwerdeführer über eine im Inland registrierte und abrufbare Internetdomäne Daten und Informationen für die Weiterentwicklung seiner verfahrensgegenständlichen Bots im Falle von Softwareänderungen der Gläubigerin habe bereitstellen lassen, ohne hiergegen, wie vom Titel verlangt, einzuschreiten. Bei diesen Änderungen sei die Client-Software der Klägerin durch Dritte, die dem Einfluss des Beschwerdeführers unterlägen, vervielfältigt worden. Die Rechtsbeschwerde hat das Oberlandesgericht nicht zugelassen.
c) Die vom Beschwerdeführer eingelegte Gehörsrüge hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Der Unterlassungstenor verbiete Zuwiderhandlungen im Inland gegen den auf das Inland begrenzten Titel und nicht nur Vervielfältigungen im Inland. Eine solche sei keine Voraussetzung für einen Verstoß. Der Beschwerdeführer habe nicht vom Inland aus darauf hingewirkt, den von ihm herbeigeführten Störungszustand zu beseitigen und Vervielfältigungen auch durch Dritte im Ausland zu unterbinden.
II.
Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer die Verletzung der Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG, des Willkürverbots aus Art. 3 Abs. 1 GG, seines Anspruchs auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG sowie des Bestimmtheitsgebots aus Art. 103 Abs. 2 GG, hilfsweise aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
Das Oberlandesgericht lege den Unterlassungstitel so aus, dass der Beschwerdeführer auch im Inland alles Erforderliche und Zumutbare tun müsse, um künftige Vervielfältigungen der Client-Software durch Dritte auch im Ausland zu verhindern. Aus der Begründung des angegriffenen Beschlusses betreffend die Gehörsrüge werde deutlich, dass es der Auffassung sei, sogar Änderungen der Bot-Software des Beschwerdeführers und die Verwertung...
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