Beschluss vom 14.06.2016 - BVerwG 4 B 45.15

JurisdictionGermany
Judgment Date14 Junio 2016
Neutral CitationBVerwG 4 B 45.15
ECLIDE:BVerwG:2016:140616B4B45.15.0
CitationBVerwG, Beschluss vom 14.06.2016 - 4 B 45.15
Registration Date13 Julio 2016
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
Record Number140616B4B45.15.0

BVerwG 4 B 45.15

  • OVG Münster - 03.06.2015 - AZ: OVG 20 D 16/14.AK

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
am 14. Juni 2016
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und Dr. Külpmann
beschlossen:

  1. Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem auf die mündliche Verhandlung vom 2. und 3. Juni 2015 ergangenen Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Verfahrens tragen die Kläger zu je 1/5. Außergerichtliche Kosten der Beigeladenen sind nicht erstattungsfähig.
  3. Der Streitwert wird auf 75 000 € festgesetzt.
Gründe

1 Die Kläger wohnen innerhalb der Nacht-Schutzzone des Flughafens Köln/Bonn. Sie wenden sich gegen die vom Flugbetrieb auf ihre Wohngrundstücke einwirkenden Immissionen, namentlich zur Nachtzeit. Ihre Klage ist im Hauptantrag u.a. auf die Feststellung gerichtet, dass der Flughafen Köln/Bonn nicht nach § 71 Abs. 2 Satz 1 i.V.m. Abs. 1 Satz 1 LuftVG als im Plan festgestellt gilt, weil insbesondere die Hauptstart- und -landebahn zum maßgeblichen Stichtag, dem 31. Dezember 1958, nicht angelegt gewesen sei, und sie deshalb nicht verpflichtet seien, die von der Nutzung des Flughafens auf ihre Wohngrundstücke einwirkenden Immissionen zu dulden. Hilfsweise verlangen sie u.a. eine Verpflichtung des Beklagten, der Beigeladenen den Nachtflugbetrieb zu untersagen. Das Oberverwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen.

2 Die auf alle Nichtzulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.

3 I. Die Kläger machen das Vorliegen absoluter Revisionsgründe nach § 138 VwGO geltend. Diese Rügen führen nicht zur Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.

4 1. Die Beschwerde hält das erkennende Gericht für nicht vorschriftsmäßig besetzt und daher den absoluten Revisionsgrund des § 138 Nr. 1 VwGO für gegeben. Die Kläger beanstanden die Behandlung ihrer Befangenheitsanträge durch das Oberverwaltungsgericht. Damit zeigen sie keinen Revisionszulassungsgrund auf.

5 Die Ablehnung eines Befangenheitsantrags ist eine nach § 146 Abs. 2 VwGO nicht mit der Beschwerde anfechtbare Entscheidung und daher nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 557 Abs. 2 ZPO der revisionsgerichtlichen Kontrolle entzogen. Das Revisionsgericht hat allein zu prüfen, ob die Ablehnung des Befangenheitsantrags den absoluten Revisionsgrund des § 138 Nr. 1 VwGO erfüllt. Dies ist der Fall, wenn objektive Anhaltspunkte dafür bestehen, dass die Entscheidung über ein Befangenheitsgesuch auf willkürlichen oder manipulativen Erwägungen beruht (stRspr, BVerwG, Beschlüsse vom 10. Mai 2006 - 10 B 56.05 - Buchholz 401.84 Benutzungsgebühren Nr. 101 Rn. 8 und vom 31. Oktober 2012 - 2 B 33.12 - NVwZ-RR 2013, 115 Rn. 22).

6 a) Das Oberverwaltungsgericht hat mit Beschluss vom 28. Mai 2015 den Befangenheitsantrag gegen eine ehrenamtliche Richterin zurückgewiesen, den die Kläger unter anderem mit der beruflichen Tätigkeit dieser Richterin für einen Landtagsabgeordneten und ihrer aktiven Mitgliedschaft in einer politischen Partei begründet hatten. Der Beschluss würdigt diese Tatsachen, verneint aber selbst bei einer angenommenen Zustimmung der ehrenamtlichen Richterin zur Verkehrspolitik der Landesregierung des Beklagten einen Zusammenhang zwischen dieser Politik und dem vorliegenden Prozessstoff. Dass diese Würdigung auf willkürlichen oder manipulativen Erwägungen beruht, zeigt die Beschwerde nicht auf. Sie kritisiert zwar einzelne Obersätze und wirft dem Oberverwaltungsgericht eine Überspannung der Anforderungen vor, setzt sich aber mit den die Entscheidung tragenden Sachargumenten nicht auseinander. Dies reicht nicht für die Annahme aus, dass die Entscheidung über das Befangenheitsgesuch auf willkürlichen oder manipulativen Erwägungen beruht.

7 b) Die Kläger dringen auch mit ihrer Kritik an dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 17. Juni 2015 nicht durch, der ihre Befangenheitsanträge vom 3. Juni 2015, 8. Juni 2015 und 12. Juni 2015 gegen einzelne oder alle Berufsrichter zurückgewiesen hat. Die Anträge waren gestützt auf die Behandlung eines Vertagungsantrags sowie auf einzelne Beobachtungen zur nonverbalen Kommunikation der Berufsrichter in der mündlichen Verhandlung.

8 Das Oberverwaltungsgericht ist zutreffend (vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Februar 2009 - 1 BvR 165/09 - BVerfGK 15, 102 ; Schmidt, in: Eyermann, VwGO, 14. Aufl. 2014, § 54 Rn. 14; Meissner, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand: Oktober 2015, § 54 Rn. 42) davon ausgegangen, dass selbst ein - unterstellter - Verfahrensfehler eine Befangenheit nur begründen könnte, wenn die beanstandete gerichtliche Entscheidung als willkürlich und auf sachfremden Erwägungen beruhend erscheine. Das Vorliegen dieser Voraussetzungen hat es unter Würdigung der konkreten Prozesssituation, insbesondere der Beweisanträge und der Gründe für ihre Ablehnung verneint. Damit setzt sich die Beschwerde inhaltlich nicht auseinander. Revisionsgerichtlich nicht zu beanstanden ist auch die Zurückweisung der Befangenheitsanträge, die auf Beobachtungen zur nonverbalen Kommunikation gestützt waren. Das Oberverwaltungsgericht hat den klägerischen Vortrag zur Mimik und Gestik der Berufsrichter gewürdigt. Diese Würdigung beruht ersichtlich nicht auf willkürlichen oder manipulativen Erwägungen. Auch die Beschwerde zeigt dies mit ihren Hinweisen auf einzelne Formulierungen des Beschlusses nicht auf.

9 2. Die Beschwerde rügt, die Verhandlung der Vorinstanz sei unter Verstoß gegen § 55 VwGO i.V.m. § 169 Satz 1 GVG nicht öffentlich gewesen und gelte als auf diesem Verfahrensmangel beruhend nach § 138 Nr. 5 VwGO.

10 a) Die mündliche Verhandlung am 2. und 3. Juni 2015 sei insgesamt zehnmal unterbrochen worden. Die Unterbrechungen hätten zwischen zehn Minuten bis zu zwei Stunden gedauert. Wann die Verhandlung fortgesetzt werde, habe das Gericht nicht vorab mitgeteilt. Weil der vor dem Sitzungssaal befindliche Flur für den Aufenthalt der Prozessbeteiligten und ihre Bevollmächtigten, der Zuhörer und Pressevertreter nicht geräumig genug gewesen sei, seien die Wartenden gezwungen gewesen, sich während der Unterbrechungen auch in einem Wartebereich in einem anderen Gebäudeteil, der sogenannten großen Halle, aufzuhalten. Wegen Mängeln der Lautsprecheranlage seien die Durchsagen zur Fortsetzung der mündlichen Verhandlung dort, aber auch in der öffentlichen Bibliothek nicht zu hören gewesen.

11 Es bedarf keiner Entscheidung, ob die Kläger einen Verstoß gegen § 55 VwGO i.V.m. § 169 Satz 1 GVG rügen können oder insoweit ein Rügeverlust nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 295 Abs. 1 ZPO eingetreten ist (diese Möglichkeit bejahend BVerwG, Beschlüsse vom 4. November 1977 - 4 C 71.77 - Buchholz 303 § 295 ZPO Nr. 1 S. 2 f. und vom 30. November 2004 - 10 B 64.04 - juris Rn. 2; a.A. Neumann, in: Sodan/Ziekow, VwGO, 4. Aufl. 2014, § 138 Rn. 209a). Ebenso kann offen bleiben, ob die Öffentlichkeit der Sitzung bereits mit der Bezeichnung der Sitzung als "Öffentliche Sitzung" in dem Protokoll der mündlichen Verhandlung protokolliert ist, so dass gegen das Protokoll und seinen diese Förmlichkeiten betreffenden Inhalt nur der Nachweis der Fälschung nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 165 Satz 2 ZPO zulässig ist (BAG, Beschluss vom 13. November 2007 - 3 AZN 414/07 - NJW 2008, 1021 Rn. 4).

12 Denn die Beschwerde zeigt mit ihrem Vorbringen keinen Verstoß gegen § 55 VwGO i.V.m. § 169 Satz 1 GVG auf. Eine Verhandlung ist im Sinne dieser Vorschriften öffentlich, wenn sie in Räumen stattfindet, die während der Dauer der mündlichen Verhandlung jedermann zugänglich sind (BVerwG, Beschlüsse vom 23. November 1989 - 6 C 29.88 - Buchholz 310 § 133 VwGO Nr. 91 S. 38 und vom 15. März 2012 - 4 B 11.12 - BauR 2012, 1097 Rn. 3). Das Merkmal der Öffentlichkeit setzt keine an jedermann gerichtete Bekanntgabe voraus, wann und wo eine Gerichtsverhandlung stattfindet (BVerwG, Beschlüsse vom 15. September 1994 - 1 B 170/93 - Buchholz 300 § 169 GVG Nr. 8 und vom 25. Juni 1998 - 7 B 120.98 - Buchholz 300 § 169 GVG Nr. 9). Denn der Grundsatz der Öffentlichkeit gebietet es nicht, dass jedermann weiß, wann und wo ein erkennendes Gericht eine Hauptverhandlung abhält (BVerfG, Beschluss vom 10. Oktober 2001 - 2 BvR 1620/01 - NJW 2002, 814), und auch nicht, dass die mündliche Verhandlung in jedem Fall durch Aushang bekannt gemacht werden muss (BVerwG, Beschluss vom 17. November 1989 - 4 C 39.89 - juris Rn. 3). Damit bedurfte es keiner Ankündigung im Wartebereich der großen Halle oder etwa der Bibliothek des Oberverwaltungsgerichts, dass die Verhandlung fortgesetzt werde, um § 55 VwGO i.V.m. § 169 Satz 1 GVG zu genügen. Ausreichend war, dass die unterbrochene Verhandlung in einem Raum fortgesetzt wurde, welcher der Öffentlichkeit zugänglich war.

13 Weder aus dem Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 5. Oktober 1976 - 2 BvR 558/75 - (BVerfGE 42, 364 ) noch aus dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 2. Oktober 1984 - IX R 129/83 - (juris) folgt etwas Anderes. Die dort formulierten Anforderungen an den Aufruf einer Sache betreffen das Gebot rechtlichen Gehörs und das Recht auf eine prozessuale Vertretung nach den Vorschriften der jeweiligen Prozessordnung, aber nicht das Gebot der Öffentlichkeit der mündlichen Verhandlung. Dies ist zu unterscheiden (vgl. BFH, Beschluss vom 25. Juli 1994 - X R 51/93 - juris Rn. 9). Dass der Aufruf zur Sache nicht ordnungsgemäß gewesen sei, behauptet die Beschwerde erstmals mit ihrem nach Ablauf der Beschwerdebegründungsfrist...

Um weiterzulesen

FORDERN SIE IHR PROBEABO AN

VLEX uses login cookies to provide you with a better browsing experience. If you click on 'Accept' or continue browsing this site we consider that you accept our cookie policy. ACCEPT