Beschluss vom 15. April 2021 - 2 BvR 547/21
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2021:rs20210415.2bvr054721 |
Citation | BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 15. April 2021 - 2 BvR 547/21 -, Rn. 1-112, |
Date | 15 Abril 2021 |
Judgement Number | 2 BvR 547/21 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 547/21 -
über
die Verfassungsbeschwerde
1. |
des Herrn Prof. Dr. L…, |
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2. |
der Frau N…, |
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3. |
des Herrn Prof. Dr. C…, |
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4. |
des Herrn Prof. Dr. K.., |
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5. |
des Herrn Prof. Dr. H…, |
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sowie 2.276 weiterer Beschwerdeführer |
- Bevollmächtigter:
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Prof. Dr. Hans-Detlef Horn,
Universitätsstraße 6, 35037 Marburg -
gegen |
das Gesetz zum Beschluss des Rates vom 14. Dezember 2020 über das Eigenmittelsystem der Europäischen Union und zur Aufhebung des Beschlusses 2014/335/EU, Euratom (Eigenmittelbeschluss-Ratifizierungsgesetz – ERatG) (Bundestagsdrucksache 19/26821) |
hier: | Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat -
unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Vizepräsidentin König,
Huber,
Hermanns,
Müller,
Kessal-Wulf,
Maidowski,
Langenfeld,
Wallrabenstein
am 15. April 2021 beschlossen:
- Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
- Die einstweilige Anordnung vom 26. März 2021 wird damit gegenstandslos.
A.
Die Antragsteller wenden sich gegen das Gesetz zum Beschluss des Rates vom 14. Dezember 2020 über das Eigenmittelsystem der Europäischen Union und zur Aufhebung des Beschlusses 2014/335/EU, Euratom (Eigenmittelbeschluss-Ratifizierungsgesetz – ERatG), mit dem der Ermächtigung der Europäischen Kommission im Eigenmittelbeschluss vom 14. Dezember 2020, zur Finanzierung des temporären Aufbauinstruments „Next Generation EU“ (NGEU) Mittel bis zu einem Betrag von 750 Milliarden Euro am Kapitalmarkt aufzunehmen, zugestimmt werden soll.
I.
1. Auf der Tagung des Europäischen Rates vom 17. bis 21. Juli 2020, die unter dem Eindruck der COVID-19-Pandemie stattfand, vereinbarten die Staats- und Regierungschefs der Mitgliedstaaten der Europäischen Union den zukünftigen Mehrjährigen Finanzrahmen MFR 2021-2027 und das temporäre Aufbauinstrument NGEU (vgl. Außerordentliche Tagung des Europäischen Rates – Schlussfolgerungen, EUCO 10/20 vom 21. Juli 2020). Mit dem Mehrjährigen Finanzrahmen soll der Rahmen für die Haushalte der Europäischen Union in den nächsten Jahren geschaffen werden. Mit dem Aufbauinstrument NGEU sollen die gravierenden wirtschaftlichen und sozialen Auswirkungen der Pandemie in den Mitgliedstaaten eingedämmt und gemildert werden. Der Eigenmittelbeschluss regelt die Grundlagen der Finanzierung dieser Maßnahmen.
Am 14. Dezember 2020 nahm der Rat der Europäischen Union den Beschluss (EU, Euratom) 2020/2053 des Rates über das Eigenmittelsystem der Europäischen Union und zur Aufhebung des Beschlusses 2014/335/EU, Euratom (ABl EU Nr. L 424 vom 15. Dezember 2020, S. 1 ff. – im Folgenden: Eigenmittelbeschluss 2020) an. Darin wird die Europäische Kommission – ausschließlich zur Bewältigung der Folgen der COVID-19-Pandemie – ermächtigt, an den Kapitalmärkten im Namen der Europäischen Union Mittel bis zu einem Betrag von 750 Milliarden Euro zu Preisen von 2018 aufzunehmen. Dieser Beschluss tritt nach Art. 311 Abs. 3 Satz 3 AEUV und Art. 106a Abs. 1 Euratom-Vertrag erst nach Zustimmung der Mitgliedstaaten im Einklang mit ihren jeweiligen verfassungsrechtlichen Vorschriften in Kraft (vgl. auch Art. 12 Eigenmittelbeschluss 2020).
Der Beschluss enthält folgende Erwägungsgründe:
(1) Das Eigenmittelsystem der Union muss gewährleisten, dass die Union über angemessene Mittel für eine geordnete Entwicklung ihrer Politikbereiche verfügt; dabei ist eine strikte Haushaltsdisziplin zu wahren. Die Entwicklung des Eigenmittelsystems kann und sollte auch in größtmöglichem Umfang zur Entwicklung der Politikbereiche der Union beitragen.
(…)
(6) Um die Finanzierungsinstrumente der Union besser auf deren politische Prioritäten abzustimmen, der Rolle des Gesamthaushaltsplans der Union (im Folgenden „Unionshaushalt“) für das Funktionieren des Binnenmarkts besser Rechnung zu tragen, die Ziele der Unionspolitiken stärker zu unterstützen und die Beiträge der Mitgliedstaaten auf der Grundlage des Bruttonationaleinkommens (BNE) zum Jahreshaushalt der Union zu verringern, ist der Europäische Rat auf seiner Tagung vom 17. bis 21. Juli 2020 übereingekommen, dass die Union in den kommenden Jahren auf eine Reform des Systems der Eigenmittel hinarbeiten und neue Eigenmittel einführen wird.
(…)
(9) Der Europäische Rat hat auf seiner Tagung vom 17. bis 21. Juli 2020 festgestellt, dass die allgemeinen Ziele der Einfachheit, Transparenz und Gerechtigkeit – einschließlich einer fairen Lastenteilung – Richtschnur für die Eigenmittelvereinbarungen sein sollte. Ferner sollte für den Zeitraum 2021-2027 der jährliche BNE-basierte Beitrag Dänemarks, der Niederlande, Österreichs und Schwedens und – im Rahmen der Unterstützung für Aufbau und Resilienz auch Deutschlands – durch Pauschalkorrekturen ermäßigt werden.
(…)
(11) Mit der Einbeziehung des Europäischen Entwicklungsfonds in den Unionshaushalt sollten die in diesem Beschluss festgesetzten Obergrenzen der Eigenmittel erhöht werden. Zudem ist zwischen der Obergrenze für die Mittel für Zahlungen und der Eigenmittelobergrenze ein ausreichender Spielraum einzuplanen, damit die Union unter allen Umständen ihren finanziellen Verpflichtungen nachkommen kann, selbst in Zeiten wirtschaftlichen Abschwungs.
(12) Damit die Union alle ihre in einem bestimmten Jahr fällig werdenden finanziellen Verpflichtungen und Eventualverbindlichkeiten decken kann, sollten ausreichende Spielräume im Rahmen der Obergrenzen der Eigenmittel gewährleistet werden. Der Gesamtbetrag der Eigenmittel, der der Union für die jährlichen Mittel für Zahlungen zur Verfügung steht, sollte 1,40 % der Summe der BNE aller Mitgliedstaaten nicht überschreiten. Der Gesamtbetrag der jährlichen Mittel für Verpflichtungen, die in den Unionshaushalt eingesetzt werden, sollte 1,46 % der Summe der BNE aller Mitgliedstaaten nicht übersteigen.
(…)
(14) Die wirtschaftlichen Folgen der COVID-19-Krise verdeutlichen, wie wichtig es ist, dass die Union im Falle wirtschaftlicher Schocks über ausreichende finanzielle Kapazitäten verfügt. Die Union muss sich zur Erreichung ihrer Ziele mit den erforderlichen Mitteln ausstatten. Finanzmittel in außerordentlicher Höhe werden benötigt, um die Folgen der COVID-19-Krise zu bewältigen‚ ohne den Druck auf die Finanzen der Mitgliedstaaten in einer Zeit zu erhöhen, in der ihre Haushalte aufgrund der Finanzierung ihrer nationalen wirtschaftlichen und sozialen Maßnahmen im Zusammenhang mit der Krise bereits einem enormen Druck ausgesetzt sind. Daher sollte auf Unionsebene eine außerordentliche Reaktion erfolgen. Aus diesem Grund ist es angemessen, die Kommission ausnahmsweise zu ermächtigen, im Namen der Union an den Kapitalmärkten vorübergehend Mittel in Höhe von bis zu 750 Mrd. EUR zu Preisen von 2018 aufzunehmen. Bis zu 360 Mrd. EUR der aufgenommenen Mittel zu Preisen von 2018 würden für Darlehen und bis zu 390 Mrd. EUR zu Preisen von 2018 der aufgenommenen Mittel würden für Ausgaben, beide zum ausschließlichen Zweck der Bewältigung der Folgen der COVID-19-Krise, verwendet werden.
(15) Diese außerordentliche Reaktion sollte zur Bewältigung der Folgen der COVID-19-Krise dienen und deren Wiederauftreten verhindern. Daher sollte die Unterstützung zeitlich begrenzt sein und der Großteil der Mittel unmittelbar nach der Krise bereitgestellt werden, was bedeutet, dass die rechtlichen Verpflichtungen für ein Programm, das aus diesen zusätzlichen Mitteln finanziert wird, bis zum 31. Dezember 2023 eingegangen werden sollten. Die Genehmigung von Zahlungen im Rahmen der Aufbau- und Resilienzfazilität wird an die zufriedenstellende Erfüllung der einschlägigen Etappenziele und Zielvorgaben des Aufbau- und Resilienzplans geknüpft werden, die nach dem einschlägigen Verfahren gemäß der Verordnung zur Einrichtung einer Aufbau- und Resilienzfazilität bewertet wird, welche die Schlussfolgerungen des Europäischen Rates vom 17. bis 21. Juli 2020 widerspiegelt.
(16) Um die Haftung im Zusammenhang mit der geplanten Mittelaufnahme tragen zu können, ist eine außerordentliche und vorübergehende Anhebung der Eigenmittelobergrenzen erforderlich. Daher sollten die Obergrenze der Mittel für Zahlungen und die Obergrenze der Mittel für Verpflichtungen zum alleinigen Zweck der Deckung sämtlicher Verbindlichkeiten der Union, die sich aus ihrer Mittelaufnahme zur Bewältigung der Folgen der COVID-19-Krise ergeben, um jeweils 0,6 Prozentpunkte angehoben werden. Die Ermächtigung der Kommission, im Namen der Union zum alleinigen und ausschließlichen Zweck der Finanzierung der Maßnahmen zur Bewältigung der Folgen der COVID-19-Krise Mittel an den Kapitalmärkten aufzunehmen, steht in engem Zusammenhang mit der in diesem Beschluss vorgesehenen Anhebung der Eigenmittelobergrenzen und letztlich mit dem Funktionieren des Eigenmittelsystems der Union. Folglich sollte diese Ermächtigung in den vorliegenden Beschluss aufgenommen werden. Der beispiellose Charakter dieses Vorhabens und die außerordentliche Höhe der aufzunehmenden Mittel erfordern, dass Gewissheit über die Gesamthöhe der Haftung der Union und die wesentlichen Merkmale der Rückzahlung besteht und dass eine...
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