BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 2076/21 -
- 2 BvR 2113/21 -
über
die Verfassungsbeschwerden
I. |
des Herrn (…), |
- Bevollmächtigte:
-
(…) -
gegen |
a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden |
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vom 28. Oktober 2021 - 3 Ws 95/21 und 3 Ws 96/21 -, |
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b) den Beschluss des Landgerichts Leipzig |
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vom 16. September 2021 - 8 KLs 105 Js 24167/20 - |
und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
- 2 BvR 2076/21 -,
II. |
des Herrn (…), |
- Bevollmächtigte:
-
(…) -
gegen |
a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Dresden |
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vom 28. Oktober 2021 - 3 Ws 95/21 und 3 Ws 96/21 -, |
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b) den Beschluss des Landgerichts Leipzig |
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vom 16. September 2021 - 8 KLs 105 Js 24167/20 - |
und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
- 2 BvR 2113/21 -
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Huber
und die Richterinnen Kessal-Wulf,
Wallrabenstein
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der
Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 16. Dezember 2021 einstimmig beschlossen:
- Die Verfahren werden verbunden
- Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen
- Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerden werden die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG).
A.
Die Beschwerdeführer müssen sich wegen Betäubungsmittelhandelsgeschäften als Mitangeklagte vor dem Landgericht Leipzig verantworten. Sie rügen mit ihren Verfassungsbeschwerden einen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG missachtenden Entzug des gesetzlichen Richters. Sie machen geltend, der Kammervorsitzende habe in verfassungsrechtlich nicht mehr tragfähiger Weise die Verhinderung eines Schöffen angenommen. Im Besetzungsrügeverfahren nach § 222b Abs. 2 und Abs. 3 StPO hätten sowohl das Landgericht Leipzig als auch das Oberlandesgericht Dresden in willkürlicher Weise über ihre Besetzungsrügen entschieden.
I.
1. Die Staatsanwaltschaft Leipzig erhob gegen die inhaftierten Beschwerdeführer im Mai 2021 Anklage zum Landgericht Leipzig. Im Juli eröffnete die turnusmäßig zuständige Strafkammer das Hauptverfahren gegen die Beschwerdeführer und ließ die Anklage zur Hauptverhandlung zu. Der Kammervorsitzende verfügte Termin zur Hauptverhandlung auf den 9. August 2021, 9:00 Uhr, und zunächst vier Termine zur Fortsetzung der Hauptverhandlung bis zum 3. September 2021. Für den ersten Termin war die Vernehmung von vier Zeugen um 11:00 Uhr, 11:30 Uhr, 13:00 Uhr und 13:30 Uhr vorgesehen. Die für 11:30 Uhr, 13:00 Uhr und 13:30 Uhr geladenen Zeugen haben mit Rechtsanwaltsschriftsätzen – jeweils vom 22. Juli 2021 – mitgeteilt, sich vollumfänglich auf ihr Aussageverweigerungsrecht aus § 55 StPO berufen zu wollen, und um Abladung gebeten. Ob der Vorsitzende dem nachgekommen ist, lässt sich der Verfassungsbeschwerde nicht entnehmen.
2. a) Einer der Hauptschöffen und die nach diesem Schöffen zu berufende Hilfsschöffin (in neuer Gesetzesfassung: Ersatzschöffin, vgl. § 42 Abs. 1 Nr. 1 GVG) wurden vom Kammervorsitzenden – von den Beschwerdeführern unbeanstandet – wegen Urlaubs von der Pflicht zum Schöffendienst entbunden. Auf Anordnung des Vorsitzenden lud die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle telefonisch den nächsten Hilfsschöffen. Die Beamtin fertigte eine Aktennotiz über das Gespräch, wonach der Schöffe mitgeteilt habe, er müsse am 9. August 2021 um 8:10 Uhr „einen Termin zur Führerscheinprüfung“ wahrnehmen. Der entsprechende Nachweis werde über die Fahrschule zugesandt.
b) Noch am selben Tag leitete der Schöffe eine E-Mail der Fahrschule weiter, mit der ihm eine Mitarbeiterin einer Fahrschule die angekündigte Bescheinigung der Fahrschule zugesandt hatte. Er versah diese E-Mail mit einer Signaturzeile, die auf seinen Beruf als Prüfingenieur hinwies. Das der E-Mail als Anlage beigefügte Dokument war mit „Entschuldigung“ überschrieben. Dem Schöffen wurde bescheinigt, er nehme am 9. August 2021 von 7:15 Uhr bis 9:20 Uhr „in [der] Fahrschule an der praktischen Fahrprüfung [und] an einer Fahrstunde teil“.
c) Der Vorsitzende ordnete an, diesen Hilfsschöffen ebenfalls abzuladen und den nächsten Schöffen aus der Hilfsschöffenliste heranzuziehen. Der Schöffe habe am ersten Sitzungstag von 7:15 Uhr bis voraussichtlich 9:20 Uhr eine praktische Fahrprüfung zu absolvieren. Ob diese Prüfung zu diesem Zeitpunkt tatsächlich beendet sei, lasse sich aller Erfahrung nach nicht exakt bestimmen. Zudem nehme der Weg vom Prüfungsort zum Landgericht angesichts von Baustellen im Innenstadtbereich des Gerichtsorts erhebliche Zeit in Anspruch, zumal auch nahegelegene öffentliche Verkehrsmittel nicht benutzt werden könnten. Deshalb sei von einer erheblichen Verzögerung des Sitzungsbeginns auszugehen. Dem Schöffen sei es nicht zuzumuten, an der Fahrprüfung nicht teilzunehmen. Der Verfügung nachkommend lud die Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle den nächsten Hilfsschöffen nach den Regelungen der Schöffenliste.
3. a) Mit einheitlichem Schriftsatz vom 7. August 2021 erhoben die Verteidigerinnen beider Beschwerdeführer Besetzungsrüge. Sie machten geltend, die Entbindung des zweiten Hilfsschöffen vom Schöffendienst lasse sich nicht mit der Garantie der Entscheidung durch den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG in Einklang bringen. Ein Hinderungsgrund im Sinne des § 54 Abs. 1 GVG habe nicht vorgelegen. Darin, dass der Hilfsschöffe nur am ersten der geplanten Hauptverhandlungstage zwischen 7:15 Uhr und voraussichtlich 9:20 Uhr eine Fahrprüfung als Prüfer für eine Fahrschule zu absolvieren habe, könne eine ausreichende Verhinderung nicht gesehen werden. Der Inhalt des Entschuldigungsschreibens widerspreche ohnehin schon dem zunächst telefonisch vorgetragenen Sachverhalt. Der Schöffe habe zunächst nur von einer Fahrprüfung um 8:10 Uhr gesprochen. Fahrprüfungen dauerten jedoch selten länger als 45 Minuten. Aber selbst wenn man davon ausgehe, der Schöffe sei bis 9:20 Uhr eingebunden, führte das zu keiner Verzögerung, die eine Entbindung des Schöffen rechtfertige. Vom Prüfungsort sei man innerhalb von 13 bis 18 Minuten am Landgericht. Es entstünde damit am ersten Verhandlungstag allenfalls eine Verzögerung von 35 Minuten, was angesichts dessen, dass nur ein Zeuge geladen sei, die Hauptverhandlung weder zeitlich noch inhaltlich erheblich verzögern würde. Sogar die vom Vorsitzenden großzügig hochgerechnete Verzögerung böte keinen Grund dafür, eine Verhinderung des Schöffen anzunehmen. Es sei nicht ersichtlich, warum nicht über 17:00 Uhr hinaus verhandelt werden könne, um den am Vormittag eventuell eingetretenen Zeitverlust wieder aufzuholen. Die Abwägung zwischen einer zeitlichen Verschiebung von einer guten halben Stunde bis Stunde und dem Verzicht auf den grundrechtlich garantierten gesetzlichen Richter könne niemals so ausfallen, dass die Verzögerung gegenüber der Verhinderung überwiege. Jedenfalls liege der Vorsitzende falsch, wenn er davon ausgehe, dem Schöffen könne ein Verzicht auf die durchzuführende Führerscheinprüfung nicht zugemutet werden. Der Schöffe mache nicht die Verhinderung als Prüfling, sondern als Prüfer geltend. Das folge deutlich aus der Signatur, wonach der Schöffe Prüfingenieur sei. Warum dem Schöffen ein Verzicht auf die Erbringung seiner normalen Arbeit nicht zugemutet werden könne, sei unklar, denn sein Arbeitgeber müsse ihn freistellen. Die Wahrnehmung von beruflichen Terminen eines angestellten und freizustellenden Arbeitnehmers führe nicht zu einer Verhinderung im Sinne des § 54 Abs. 1 Satz 2 GVG.
b) Mit angegriffenem Beschluss vom 16. September 2021 erachtete das Landgericht die Besetzungsrüge als unbegründet und legte die Sache nach § 222b Abs. 3 Satz 1 StPO dem Oberlandesgericht zur Entscheidung vor. Die Kammer führte aus, die Entscheidung eines Vorsitzenden, einen Schöffen oder Hilfsschöffen vom Schöffendienst zu entbinden, sei nach § 54 Abs. 3 Satz 2 GVG aktenkundig zu machen, jedoch nach § 54 Abs. 3 Satz 1 GVG grundsätzlich nicht anfechtbar. Dass der Vorsitzende hier nicht nach pflichtgemäßem Ermessen, sondern willkürlich entschieden habe, sei nicht ersichtlich. Der Hauptschöffe und die erste Hilfsschöffin seien wegen Urlaubs verhindert gewesen. Der nächste Hilfsschöffe habe mitgeteilt und durch die Vorlage einer Entschuldigung einer Fahrschule belegt, am ersten Sitzungstag von 7:15 Uhr bis voraussichtlich 9:20 Uhr an einer Fahrprüfung und einer Fahrstunde teilzunehmen. Auch insoweit sei die Entbindung nach pflichtgemäßen Ermessen erfolgt. Angesichts der Verkehrslage und der Parkplatzsituation am Gericht wäre nicht, wie vorgetragen, lediglich mit einer Verzögerung von etwa 35 Minuten zu rechnen gewesen. Eine Pflicht, die Terminierung mit Rücksicht auf die zeitweise Verhinderung eines Schöffen zu ändern, bestehe nicht.
c) Die Generalstaatsanwaltschaft beantragte am 24. September 2021, den Besetzungseinwand zurückzuweisen. Mit gemeinsam verfasstem Schreiben vom 6. Oktober 2021 nahmen die drei Verteidigerinnen für beide Beschwerdeführer jeweils Stellung zu dem Beschluss des Landgerichts und vertieften ihren Vortrag zur Besetzungsrüge.
4. a) Nach Eingang der Verfahrensakten beim Oberlandesgericht hielt der...