Beschluss vom 16. Februar 2005 - 2 BvR 581/03
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2005:rk20050216.2bvr058103 |
Judgement Number | 2 BvR 581/03 |
Citation | BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 16. Februar 2005 - 2 BvR 581/03 - Rn. (1-31), |
Date | 16 Febrero 2005 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 581/03 -
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn H ...
Markgrafenstraße 1, 51063 Köln -
gegen a) | den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 26. Februar 2003 - 2 StR 2/03 -, |
b) | das Urteil des Landgerichts Köln vom 8. August 2002 - B.110-17/02 -, |
c) | mittelbar § 66 Abs. 1 StGB |
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Hassemer,
die Richterin Osterloh
und den Richter Mellinghoff
gemäß § 93c in Verbindung mit § 93a Absatz 2 Buchstabe b BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 16. Februar 2005 einstimmig beschlossen:
- Das Urteil des Landgerichts Köln vom 8. August 2002 - B.110-17/02 - und der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 26. Februar 2003 - 2 StR 2/03 - verletzen die Rechte des Beschwerdeführers aus Artikel 101 Absatz 1 Satz 2 des Grundgesetzes. Die Entscheidungen werden aufgehoben. Die Sache wird an eine andere Strafkammer des Landgerichts Köln zurückverwiesen.
- Das Land Nordrhein-Westfalen und die Bundesrepublik Deutschland haben dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen je zur Hälfte zu erstatten.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Änderung eines Geschäftsverteilungsplans gemäß § 21e Abs. 3 GVG, von der ausschließlich ein bereits anhängiges Verfahren erfasst wird.
I.
Das Landgericht (10. Strafkammer) verurteilte den Beschwerdeführer nach dreitägiger Hauptverhandlung zu einer vierjährigen Freiheitsstrafe und ordnete seine Unterbringung in der Sicherungsverwahrung an. Zum Zeitpunkt der Anklageerhebung ist gemäß dem Geschäftsverteilungsplan des Landgerichts die 13. Strafkammer zuständig gewesen. Mit Beschluss vom 20. Juni 2002 stellte das Präsidium des Landgerichts die Überlastung der 13. Strafkammer fest und übertrug die in der Zeit vom 1. bis 14. Juni 2002 bei ihr eingegangenen Anklagen in Haftsachen, wovon allein dieses Verfahren betroffen war, im Einvernehmen mit den Vorsitzenden der betroffenen Strafkammern auf die 10. Strafkammer. Eine Begründung ist nicht erfolgt.
In der Hauptverhandlung rügte der Beschwerdeführer vor Beginn seiner Vernehmung, das Gericht sei unter anderem deshalb nicht vorschriftsmäßig besetzt, weil die Änderung des Geschäftsverteilungsplans für bereits anhängige Verfahren gegen das Recht auf den gesetzlichen Richter verstoße. Das Landgericht wies die Rüge als unbegründet zurück, weil eine Umverteilung auch bereits anhängige Verfahren erfassen dürfe.
Gegen das Urteil der 10. Strafkammer legte der Beschwerdeführer Revision ein, mit der er die allgemeine Sachrüge und unter anderem die Verfahrensrüge, das Gericht sei nicht vorschriftsmäßig besetzt gewesen, erhob. Zur Begründung der Verfahrensrüge wiederholte er sein Vorbringen vor dem Landgericht; insbesondere wies er darauf hin, dass von der Umverteilung nur sein Verfahren erfasst worden sei.
Der Generalbundesanwalt beantragte, die Revision als offensichtlich unbegründet zu verwerfen. Er war der Auffassung, dass eine Änderung der Geschäftsverteilung nach § 21e Abs. 3 GVG bereits anhängige Verfahren erfassen dürfe. Dies gelte auch, wenn sie nur ein Verfahren betreffe, sofern dies aufgrund objektiver und sachgerechter Kriterien erfolge. Ausweislich der Überlastungsanzeige des Vorsitzenden sei dies der Fall gewesen. Der Bundesgerichtshof verwarf die Revision gemäß § 349 Abs. 2 StPO durch Beschluss ohne weitere Begründung.
II.
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich unmittelbar gegen das Urteil des Landgerichts und den Beschluss des Bundesgerichtshofs sowie mittelbar gegen § 66 StGB. Die Anordnung der Sicherungsverwahrung "neben" der Verhängung einer zeitigen Freiheitsstrafe verstoße gegen Art. 103 Abs. 3 GG.
Das Recht auf den gesetzlichen Richter gemäß Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG sei verletzt, weil die nachträgliche Änderung der Geschäftsverteilung für bereits anhängige Verfahren unzulässig sei.
III.
Das Bundesverfassungsgericht hat den Äußerungsberechtigten die Möglichkeit zur Äußerung gegeben.
1. Die Bundesregierung und die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen haben von einer Stellungnahme zur Verfassungsbeschwerde abgesehen.
2. Der Bundesgerichtshof hat auf seine Rechtsprechung verwiesen (vgl. BGHSt 44, 161; Urteil vom 2. Dezember 2003 - 1 StR 102/03 -, veröffentlicht in JURIS, jeweils m.w.N.), wonach eine Änderung der Geschäftsverteilung während des Geschäftsjahres unter den Voraussetzungen des § 21e Abs. 3 GVG auch bereits anhängige Verfahren erfassen dürfe. Die Notwendigkeit der Umverteilung auch bereits anhängiger Verfahren folge aus dem Gebot der beschleunigten Verfahrensförderung in Haftsachen und aus dem Umstand, dass von der Justiz zu verantwortende Verfahrensverzögerungen rechtsstaatswidrig sein können. Dieser Anspruch des Angeklagten auf eine Entscheidung in angemessener Zeit stehe im Spannungsfeld mit der Garantie des gesetzlichen Richters, die in ihrer Wirkkraft beachtet werden müsse. Die prozedurale Ansiedlung der Geschäftsverteilungsbefugnis beim Präsidium biete hinreichende Gewähr dafür, dass willkürliche Änderungen der Geschäftsverteilung unterblieben.
3. Das Bundesverwaltungsgericht hat die Stellungnahmen mehrerer Senate übersandt, die insgesamt kein einheitliches Bild liefern. Zum...
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