Beschluss vom 18. August 2017 - 2 BvR 424/17
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2017:rk20170818.2bvr042417 |
Judgement Number | 2 BvR 424/17 |
Date | 18 Agosto 2017 |
Citation | BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 18. August 2017 - 2 BvR 424/17 - Rn. (1-42), |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 424/17 -
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn D..., |
- Bevollmächtigte:
-
Rechtsanwälte Dr. Gerhard Strate und Dr. Ole-Steffen Lucke,
Holstenwall 7, 20355 Hamburg -
gegen |
a) |
den Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 19. Januar 2017 - Ausl 81/16 -, |
b) |
den Beschluss des Hanseatischen Oberlandesgerichts vom 3. Januar 2017 - Ausl 81/16 - |
|
h i e r : Erlass einer einstweiligen Anordnung |
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Huber
und die Richterinnen Kessal-Wulf,
König
am 18. August 2017 einstimmig beschlossen:
- Die Übergabe des Beschwerdeführers an die rumänischen Behörden wird bis zur Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde, längstens für die Dauer von sechs Monaten, einstweilen untersagt
- Die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg wird mit der Durchführung der einstweiligen Anordnung beauftragt
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Auslieferung des Beschwerdeführers, eines rumänischen Staatsangehörigen, nach Rumänien zum Zwecke der Strafverfolgung. Der Beschwerdeführer rügt, dass die dortigen Haftbedingungen gegen die Menschenwürde (Art. 1 Abs. 1 GG) verstießen.
I.
1. Gegen den Beschwerdeführer besteht ein Europäischer Haftbefehl, dessen Grundlage ein nationaler Haftbefehl des rumänischen Gerichts in C. vom 1. Juli 2015 (Nr. 13/UP) wegen drei Vermögens- und Urkundsdelikten ist. Der Beschwerdeführer befindet sich zurzeit in anderer Sache in Strafhaft in der Justizvollzugsanstalt Hamburg-Billwerder. Das voraussichtliche Haftzeitende ist der 24. September 2017.
2. Das Oberlandesgericht Hamburg erließ am 12. September 2016 einen von der Generalstaatsanwaltschaft Hamburg beantragten Auslieferungshaftbefehl. Am 19. September 2016 beantragte die Generalstaatsanwaltschaft, die Auslieferung des Beschwerdeführers für zulässig zu erklären, und teilte mit, es sei nicht beabsichtigt, Bewilligungshindernisse (§ 83b des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen - IRG) geltend zu machen. Mit Verfügung vom 30. September 2016 bat der Vorsitzende des beim Oberlandesgericht zuständigen Strafsenats die Generalstaatsanwaltschaft, Auskünfte der rumänischen Behörden zu den Bedingungen der dem Beschwerdeführer drohenden Untersuchungshaft und der möglichen Strafhaft einzuholen. Dabei wies er insbesondere darauf hin, dass ein jedem Gefangenen zur Verfügung stehender Platz von weniger als 4 m² ungenügend sei.
3. Nachdem sich die Generalstaatsanwaltschaft Hamburg mit einem entsprechenden Schreiben an die rumänischen Behörden gewandt hatte, verwiesen diese unter dem 4. Oktober 2016 auf die rumänischen Bestimmungen zu Mindeststandards der Unterbringung von Häftlingen und trugen vor, die dortigen Hafträume achteten die Würde des Menschen. Die sanitären und hygienischen Mindeststandards müssten erfüllt werden; insbesondere müsse es eine natürliche Belüftung und Anlagen für künstliche Beleuchtung geben und die Räume mit Heizungen ausgestattet sein. Es sei in jedem Raum ein Platz von mindestens 4 m² für jeden Häftling vorgesehen, der sich im geschlossenen oder im Hochsicherheitsregime befinde, und mindestens 6 m³ Luft für jeden Häftling, der im halboffenen oder offenen Vollstreckungsregime untergebracht werde. Auch der Zugang zu warmem und Trinkwasser sowie die Versorgung mit Lebensmitteln seien nach rumänischem Recht gewährleistet.
4. Auf eine weitere Nachfrage hin teilten die rumänischen Behörden am 21. Oktober 2016 mit, dass der Beschwerdeführer zunächst für die Dauer von 21 Tagen in eine Haftanstalt zur Durchführung der nach rumänischem Recht vorgesehenen Quarantäne- und Aufsichtszeit verbracht werde. Die Aufnahmeanstalt B. verfüge über 24 Quarantänezimmer mit individuellem Raum von mindestens 3 m². Nach Beendigung der Quarantänezeit werde der Untersuchungshaftbefehl in der Haftanstalt P. vollstreckt. Dort seien die Haftzellen mit Einzelbett, Matratze und Bettzeug, Möbeln zur Aufbewahrung persönlicher Gegenstände und für die Nahrungsaufnahme ausgestattet. Die Häftlinge hätten zudem ein Recht auf Spaziergänge im Freien und auf die Teilnahme an verschiedenen Aktivitäten. Werde der Verfolgte zu einer Freiheitsstrafe verurteilt, werde er in einer Haftanstalt möglichst nahe an seinem Wohnsitz untergebracht. Bei der Frage, welches Vollstreckungsregime dem Verurteilten auferlegt werde, seien die Dauer seiner Freiheitsstrafe, seine Vorstrafen, das Alter und der Gesundheitszustand des Verurteilten, sein Verhalten, seine Bedürfnisse nach sozialer und psychologischer Hilfe sowie seine Bereitschaft zu arbeiten und das Bedürfnis nach Schulung oder Ausbildung zu berücksichtigen. Da nicht klar sei, zu welcher Freiheitsstrafe der Beschwerdeführer verurteilt werde, könne das Vollzugsregime noch nicht festgelegt werden. Müsse er die Haftstrafe im geschlossenen Regime verbüßen, werde er unter Berücksichtigung seines Wohnsitzes womöglich in der Haftanstalt T. inhaftiert. Dort verfügten die Haftzellen über ein Badezimmer mit Zugang von der Haftzelle, mit Waschbecken, Toilette und Dusche, es gebe Tageslicht durch ein Fenster in der Größe von 1,13 m x 1,15 m und weißes Neonlicht. Die natürliche Belüftung erfolge über das Fenster und im Badezimmer durch ein Fenster in der Größe von 0,52 m x 0,45 m. In den Haftzellen befänden sich Möbel (Tisch, Stühle, Kleiderhaken und Regale), die 0,78 m² einnähmen. Laufendes Kaltwasser werde ununterbrochen, Warmwasser drei Mal wöchentlich geliefert. Die Häftlinge hätten täglich Zugang zu Spazierhöfen, Sportanlagen, dem Sportsaal, der Kirche, Klassenräumen und sonstigen Räumen zur Ausübung ihrer Rechte. Im so genannten halboffenen Regime könnten die Häftlinge sich innerhalb der Haftanstalt auf bestimmten Wegen ohne Begleitung bewegen und die Freizeit unter Aufsicht gestalten. Die Haftzellen seien tagsüber offen. Die Behörden sicherten den Häftlingen einen minimalen persönlichen Raum, einschließlich Bett und entsprechender Möbel von 3 m² bei der Vollstreckung im geschlossenen Regime und von 2 m² bei der Vollstreckung im halboffenen oder offenen Regime zu.
5. Mit Verfügung vom 18. November 2016 bat das Oberlandesgericht die Generalstaatsanwaltschaft unter Bezugnahme auf die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) und des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (EGMR) darum, eine ausdrückliche Zusicherung einzuholen, dass die dem Verfolgten zustehende Haftraumgröße zu jeder Zeit ein absolutes Mindestmaß von 3 m² ohne Berücksichtigung des Mobiliars nicht unterschreiten werde.
6. Am 29. November 2016 nahmen die anwaltlichen Vertreter des Beschwerdeführers zu dem Antrag der Generalstaatsanwaltschaft auf Bewilligung der Auslieferung Stellung. Darin führten sie aus, die Auslieferung werde für unzulässig zu erklären sein. Die rumänischen Behörden hätten nur allgemein zu den verschiedenen Haftanstalten vorgetragen. Die Angaben zur Größe der Hafträume entsprächen nicht den konventionsrechtlichen Mindeststandards.
7. Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz teilte den Landesjustizverwaltungen am 1. Dezember 2016 mit, es hätten wegen der unzureichenden Haftbedingungen in Rumänien Gespräche stattgefunden und die Haftanstalt „B.“ sei besichtigt worden. Dabei sei festgestellt worden, dass die Haftanstalten in Rumänien deutlich überbelegt seien und circa 9.500 Haftplätze fehlten. Die rumänische Regierung beabsichtige, die Haftplatzkapazität noch im Jahr 2016 um 659 Haftplätze zu erhöhen und weitere 200 Haftplätze zu modernisieren. Im Jahr 2017 sollten 200 und in den Jahren 2018 bis 2020 5.500 neue Plätze geschaffen werden. Es gebe im rumänischen Justizvollzug vier Vollzugsregime: zwei strenge und zwei gelockerte. In den strengen Regimen seien die Haftraumtüren grundsätzlich tagsüber und nachts verschlossen, da hier hohe Sicherheitsstandards herrschten. Die hier untergebrachten Gefangenen könnten sich etwa drei Stunden pro Tag außerhalb ihres Haftraumes bewegen. In den gelockerten Regimen hätten die Gefangenen die Möglichkeit, sich tagsüber frei zu bewegen. Im offenen Vollzug seien die Haftraumtüren auch nachts geöffnet. Die Gefangenen müssten sich zu Beginn der Inhaftierung über 21 Tage in Quarantäne begeben. Nach der Verbüßung von 1/5 der Strafe prüfe die Fachkommission eine Änderung des Vollzugsregimes für den betreffenden Gefangenen. Die Erteilung von auf den Einzelfall abgestimmten Zusicherungen über die Unterbringung in einer bestimmten Justizvollzugsanstalt sei aus rumänischer Sicht schwierig. Der Fachausschuss lege fest, wohin ein Gefangener nach der Quarantäne eingewiesen werde, und nicht der Justizvollzug. Die Abweichung von dieser gesetzlich verankerten Zuständigkeit bedürfe einer Gesetzesänderung. Es könne zu unvorhersehbaren Verlegungen kommen. Daher seien die bisher erteilten Zusicherungen sehr allgemein gehalten. Man wolle sich gleichwohl bemühen, sie auf den Einzelfall abzustimmen, und habe sie inzwischen dahingehend aktualisiert, dass man einen Raum von mindestens 3 m² für Gefangene zusichern könne, die sich in einem geschlossenen Raum befänden, und 2 m² für Gefangene, die in einem Mehrfachhaftraum mit offenen Türen untergebracht seien. Die rumänischen Behörden hätten sich offen dafür gezeigt, eine Zusicherung abgeben zu können, wonach die Möglichkeit der Unterbringung auf drei Haftanstalten beschränkt werde. In der Haftanstalt J. habe die deutsche Delegation mit einem deutschen Staatsangehörigen gesprochen, der den...
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