Beschluss vom 18. September 2019 - 2 BvR 681/19
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2019:rk20190918.2bvr068119 |
Judgement Number | 2 BvR 681/19 |
Date | 18 Septiembre 2019 |
Citation | BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 18. September 2019 - 2 BvR 681/19 -, Rn. (1-31), |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 681/19 -
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn H..., |
gegen |
a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz vom 11. März 2019 - 2 Ws 77/19 Vollz -, |
|
b) den Beschluss des Landgerichts Koblenz vom 4. Januar 2019 - 7c StVK 153/18 - |
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Huber
und die Richterinnen Kessal-Wulf,
König
am 18. September 2019 einstimmig beschlossen:
- Die Beschlüsse des Oberlandesgerichts Koblenz vom 11. März 2019 - 2 Ws 77/19 Vollz - und der Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Koblenz vom 4. Januar 2019 - 7c StVK 153/18 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes
- Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird an die Strafvollstreckungskammer des Landgerichts Koblenz zurückverwiesen
- Das Land Rheinland-Pfalz hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Gewährung von Ausführungen zum Erhalt der Lebenstüchtigkeit des strafgefangenen Beschwerdeführers, der sich seit vierzehn Jahren in Haft befindet.
I.
1. Der Beschwerdeführer verbüßt seit dem 19. Januar 2005 eine lebenslange Freiheitsstrafe wegen Mordes in der Justizvollzugsanstalt … . Im Strafurteil des Landgerichts Mainz vom 14. Juli 2006 wurde die besondere Schwere der Schuld festgestellt. Fünfzehn Jahre der Freiheitsstrafe werden am 9. März 2020 verbüßt sein. Die Mindestverbüßungsdauer wurde am 15. März 2019 auf siebzehn Jahre festgesetzt.
2. Mit Schreiben vom 1. März 2018 beantragte der Beschwerdeführer bei der Justizvollzugsanstalt den Erhalt regelmäßiger Ausführungen zur Aufrechterhaltung seiner Lebenstüchtigkeit. Dies lehnte die Justizvollzugsanstalt mit Bescheid vom 2. Juli 2018 ab. Der Beschwerdeführer befinde sich seit dreizehn Jahren ununterbrochen in Haft. Insofern kämen Ausführungen zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit gemäß § 48 Abs. 1 Satz 1 Landesjustizvollzugsgesetz Rheinland-Pfalz (LJVollzG) grundsätzlich in Betracht. Allerdings sei zu beachten, dass der Beschwerdeführer keine derartigen Defizite aufweise, die Ausführungen zur Erhaltung der Lebenstüchtigkeit zwingend erforderlich machten. Schwerer wiege der Gesundheitszustand seiner Mutter, die an einer schweren depressiven Episode leide und ihn deshalb nicht in der Haft besuchen kommen könne. Jedoch erhalte er regelmäßig Besuch von seiner Lebensgefährtin und halte telefonisch Kontakt zu seinen Angehörigen, auch zu seiner Mutter.
Die Gewährung von Ausführungen stehe im Ermessen der Anstalt. Für die Gewährung von Ausführungen spreche grundsätzlich, dass stabile prosoziale Kontakte die Eingliederung sowie den Behandlungsprozess eines Gefangenen fördern könnten. Bislang sei bei dem Beschwerdeführer ein Einstieg in einen Behandlungsprozess hinsichtlich der Persönlichkeitsstruktur noch nicht gelungen. In den bisherigen Vollzugs- und Eingliederungsplänen sei von ihm verlangt worden, zunächst die gegenständliche Mordstraftat einzugestehen. Zu einer Reflektion seines Auftretens, beispielsweise seiner Angewohnheit, regelmäßig Drohungen als Kommunikationsmittel zu nutzen, habe er bislang nicht bewegt werden können. Darüber hinaus habe bisher nicht überprüft werden können, ob es sich bei den familiären Kontakten um prosoziale Kontakte handle und ob das familiäre Umfeld gegebenenfalls geeignet sei, ihn von weiteren Straftaten abzuhalten. Massiv gegen die Gewährung von Ausführungen spreche, dass der Beschwerdeführer über ein Facebook-Profil verfüge, welches kürzlich aktiv gewesen sei. Aktuelle Eintragungen datierten auf den 28. März 2018, den 15. Mai 2018 sowie auf den 23. Mai 2018. Auf dem Profil befänden sich Bilder vom Beschwerdeführer in seinem Haftraum, die auch Sicherheitseinrichtungen der Anstalt zeigten. Es habe der dringende Verdacht bestanden, dass er sich im Besitz eines Mobiltelefons befunden habe, welches letztendlich nicht gefunden worden sei. Wenn eine Person außerhalb der Justizvollzugsanstalt das Facebook-Profil verwalte, habe der Beschwerdeführer die Bilder jedenfalls an Personen außerhalb der Anstalt weitergegeben. Zwar habe er bestritten, im Besitz eines Handys zu sein. Die Tatsache, dass bei ihm im bisherigen Haftverlauf bereits mehrere Handys gefunden worden seien, spreche jedoch gegen seine Einlassung.
Der Beschwerdeführer wolle die in der Anstalt geltenden Regeln nicht einhalten. Die Möglichkeit, dass er zumindest zeitweise im Besitz eines Mobiltelefons gewesen sei, bedeute im Falle von Ausführungen ein erhebliches, unkalkulierbares Fluchtrisiko. Auch eine Befreiung durch dritte Personen komme in Betracht. Dieses Risiko könne selbst durch die ständige und unmittelbare Beaufsichtigung durch zwei oder mehr Bedienstete der Justizvollzugsanstalt oder durch Fesselung nicht auf ein vertretbares Mindestmaß reduziert werden. Mit Ausnahme des zuvor geschilderten Sachverhalts sei der Beschwerdeführer nicht mit Regelverstößen aufgefallen. Seine bedingte Entlassung, unabhängig von der festzusetzenden Mindestverbüßungsfrist, sei vollkommen unklar. Durch seine ablehnende Haltung habe er nicht zur Verbesserung der Legalprognose beigetragen.
3. Unter dem 16. Juli 2018 stellte der Beschwerdeführer einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung. Die beantragte Ausführung sei schon aufgrund der langen Haftzeit und des Resozialisierungsinteresses geboten. Die Behauptung, es bestehe der dringende Verdacht, dass er sich im Besitz eines Mobiltelefons befinde, entbehre jeglicher Tatsachengrundlage. Ein Telefon sei in seinem Haftraum nicht gefunden worden und die Bilder seien bereits vor über einem Jahr auf der Facebookseite hochgeladen worden. Dass seine Facebookseite seit seiner Inhaftierung von Angehörigen weitergeführt werde, sei der Justizvollzugsanstalt bekannt und rechtlich nicht zu beanstanden. Soweit die Justizvollzugsanstalt ausführe, dass ein unkalkulierbares Fluchtrisiko bestehe, verkenne sie Sinn und Zweck des § 48 Abs. 1 LJVollzG. Der Umstand, dass eine Ausführung unter ständiger und unmittelbarer Aufsicht stattfinde, sei im Rahmen der Prüfung, ob ein Versagungsgrund bestehe, zu berücksichtigen. Bei einer Begleitung durch Bedienstete der Justizvollzugsanstalt reduziere sich das Fluchtrisiko auf Null. Der Hinweis, dass eine Ausführung nicht in Betracht komme, weil eine bedingte Entlassung vollkommen unklar sei, greife zu kurz, weil dieser Umstand bei allen zu lebenslanger Haft verurteilten Gefangenen vorliege. Die Justizvollzugsanstalt verstoße gegen ihre Verpflichtung, an der Resozialisierung des Beschwerdeführers mitzuwirken...
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