Beschluss vom 21. April 2016 - 2 BvR 1422/15
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2016:rk20160421.2bvr142215 |
Judgement Number | 2 BvR 1422/15 |
Date | 21 Abril 2016 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1422/15 -
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn F... |
- Bevollmächtigter:
-
Rechtsanwalt Dr. Ali B. Norouzi,
in Sozietät Rechtsanwälte Widmaier, Norouzi,
Kurfürstendamm 216, 10719 Berlin -
gegen |
a) |
den Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 25. Juni 2015 - 1 StR 120/15 -, |
b) |
das Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 24. Juli 2014 - 5/12 KLs - 7700 Js 255924/12 (29/12) - |
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Landau
und die Richterinnen Kessal-Wulf,
König
am 21. April 2016 einstimmig beschlossen:
- Der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 25. Juni 2015 - 1 StR 120/15 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an den Bundesgerichtshof zurückverwiesen
- Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen
- Die Bundesrepublik Deutschland hat dem Beschwerdeführer die Hälfte seiner notwendigen Auslagen zu erstatten
I.
1. Das Landgericht Frankfurt am Main verurteilte den Beschwerdeführer am 24. Juli 2014 wegen Bestechung in Tateinheit mit Beihilfe zur Untreue sowie wegen Beihilfe zum Betrug und Beihilfe zur Steuerhinterziehung zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren und drei Monaten, wovon vier Monate als bereits vollstreckt gelten sollten.
Nach den Feststellungen war der Beschwerdeführer Mehrheitsgesellschafter und maßgebliche Führungsfigur einer nach ihm benannten Unternehmensgruppe, die sich schwerpunktmäßig mit Sicherheitsdienstleistungen für Bahnbauprojekte beschäftigte. Im Zentrum der Verurteilung stand die Tat Fall 117 des Anklagevorwurfs: Der Beschwerdeführer bestach in Zusammenhang mit zwei Serienbaustellen der D... AG („M...“ und „M...“) den Projektleiter der zuständigen Tochterunternehmen DB... GmbH/DB... GmbH. Den auf diese Weise erhaltenen Auftrag für das Projekt „M...“ nutzte der Beschwerdeführer, um mittels gefälschter Leistungsbelege im Zeitraum vom 31. Mai 2001 bis 30. Juni 2002 fünfzehn um insgesamt mindestens 800.000 Euro überhöhte Rechnungen zu erstellen.
Das Landgericht wertete dieses Verhalten als Bestechung in Tateinheit mit Beihilfe zur Untreue. Es entnahm die Strafe dem Strafrahmen des § 335 Abs. 1 Nr. 1 Buchstabe b StGB und verhängte eine Einzelstrafe von drei Jahren und neun Monaten. Die Höhe des durch die überhöhten Abrechnungen verursachten Vermögensnachteils wurde strafschärfend berücksichtigt.
Der Verurteilung gingen Gespräche über die Möglichkeit einer Verständigung voraus, die vor allem die Höhe des Vermögensnachteils zum Gegenstand hatten. Das Verfahrensgeschehen stellt sich, soweit hier von Belang, wie folgt dar:
Bereits in einem vor Beginn der Hauptverhandlung geführten Gespräch hatte der Vorsitzende der Strafkammer den Verteidigern des Beschwerdeführers und den Sitzungsvertreten der Staatsanwaltschaft mitgeteilt, dass er sich unter Umständen eine „höhenmäßige“ Beschränkung des von der Staatsanwaltschaft ursprünglich auf 3,7 Millionen Euro bezifferten Vermögensnachteils gemäß § 154a Abs. 2 StPO vorstellen könne. In der Folge kam es zu weiteren Gesprächen. In diesen regte die Verteidigung eine Beschränkung des Untreueschadens auf rund eine Million Euro an. Die Staatsanwaltschaft sah dagegen eine teilgeständige Einlassung des Beschwerdeführers in Höhe von 1,4 Millionen Euro und eine nennenswerte Schadenswiedergutmachung als Voraussetzung für eine „einvernehmliche Erledigung“ an. Die Verteidigung teilte darauf mit, dass sich der Beschwerdeführer außerstande sehe, ein Geständnis in dieser Höhe abzugeben, und regte an, eine Verständigung auf Basis eines Geständnisses zwischen 800.000 Euro und einer Million Euro in Betracht zu ziehen. Dem widersprach die Staatsanwaltschaft. Der Vorsitzende stellte daraufhin in der Sitzung vom 8. Mai 2014 fest, dass eine Verständigung auf dieser Basis nicht zu erwarten sei.
In der Sitzung vom 10. Juli 2014 beantragte der Pflichtverteidiger des Beschwerdeführers, das Gutachten eines Schriftsachverständigen einzuholen. Im Hauptverhandlungstermin vom 14. Juli 2014 stellte er vier weitere Beweisanträge, die die Vernehmung von Zeugen und die Verlesung eines zivilprozessualen Schriftsatzes zum Gegenstand hatten. Die Beweisanträge sollten zum Teil die Richtigkeit der den Rechnungen zu Grunde liegenden Leistungsnachweise belegen und zum Teil den Nachweis erbringen, dass bestimmte Leistungsnachweise nicht vom Beschwerdeführer selbst gefertigt worden waren. Den Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens lehnte die Strafkammer am 14. Juli 2014 ab. Der Vorsitzende lud jedoch einen der beantragten Zeugen und bat die Staats-anwaltschaft erneut um Prüfung, ob das Verfahren gemäß § 154a StPO „der Höhe nach“ beschränkt werden könne.
In einer E-Mail an den Vorsitzenden vom 16. Juli 2014 - von der der Pflichtverteidiger des Beschwerdeführers eine Kopie erhielt - kündigte der zuständige Abteilungsleiter der Staatsanwaltschaft an, einer Beschränkung des Verfahrens auf einen Schaden in Höhe von circa 800.000 Euro, entstanden durch In-Rechnung-Stellen tatsächlich nicht erbrachter Leistungen „unter anderem“ in den Abschlagsrechnungen vom 30. November 2001, 14. Dezember 2001, 31. Mai 2002 und 30. Juni 2002 zuzustimmen, wenn das Verfahren ohne die Erledigung weiterer Beweisanträge und damit ohne weitere Verzögerung der Hauptverhandlung abgeschlossen werden könne. Allein maßgeblicher Gesichtspunkt für die Zustimmung sei die Vermeidung einer ansonsten möglicherweise noch monatelang andauernden Hauptverhandlung. Sollte die Beschränkung nicht zu der erhofften Abkürzung der Hauptverhandlung und einem Urteil noch vor dem 24. Juli 2014 führen - ab diesem Zeitpunkt war eine längere Unterbrechung der Hauptverhandlung vorgesehen -, werde die Staatsanwaltschaft unverzüglich die Wiedereinbeziehung der ausgeschiedenen Verfahrensteile beantragen und weiter prüfen, ob noch weitere, bereits ausgeschiedene Verfahrensteile wiedereinzubeziehen seien.
Am folgenden Hauptverhandlungstermin, dem 17. Juli 2014, erörterte der Vorsitzende mit den Verfahrensbeteiligten erneut die Frage einer Verfahrensbeschränkung gemäß § 154a Abs. 2 StPO und sprach die Möglichkeit an, ob eine Rücknahme der am letzten Hauptverhandlungstag gestellten Beweisanträge in Betracht komme. Er wies darauf hin, dass „diesbezüglich keine (ausdrückliche oder gar konkludente) Absprache in Betracht komme“. Die Staatsanwaltschaft habe aber seines Erachtens die Möglichkeit, eine erteilte Zustimmung zu einer Verfahrensbeschränkung zurückzunehmen, wenn es nicht zu der erhofften Beschleunigung komme. Die Verteidigung habe dagegen die Möglichkeit, einen etwa zurückgenommenen Beweisantrag erneut zu stellen, wenn es nicht zu der erhofften Verfahrensbeschränkung komme. Der Vorsitzende regte sodann an, das Verfahren auf eine Schadenshöhe von insgesamt 800.000 Euro mit der Maßgabe zu beschränken, dass dieser Schaden „zumindest zum großen Teil“ auf der Überhöhung der Rechnungen vom 30. November 2001, 14. Dezember 2001, 31. Mai 2002 und 30. Juni 2002 beruhe, wobei sämtliche Rechnungen in Zusammenhang mit der Main-Weser-Bahn Gegenstand des Verfahrens bleiben sollten. Die Staatsanwaltschaft stimmte dem zu, woraufhin der Pflichtverteidiger die gestellten Beweisanträge bis auf den Verlesungsantrag zurücknahm. Nach erneuter Unterbrechung der Hauptverhandlung erließ das Gericht einen Beschränkungsbeschluss gemäß § 154a Abs. 1 Satz 2 und Abs. 2, § 154 Abs. 1 Nr. 2 StPO, der inhaltlich dem Wortlaut der Anregung des Vorsitzenden entsprach. Im Anschluss wurde die von der Verteidigung beantragte Urkundenverlesung durchgeführt. Den weiteren Beweisanträgen wurde nicht mehr nachgegangen.
Am folgenden Sitzungstag ließ sich der Beschwerdeführer zur Sache ein. Er räumte ein, Leistungsbelege neu geschrieben und dadurch um jedenfalls 350.000 Euro überhöhte Rechnungen gestellt zu haben; er könne aber nicht ausschließen, um 800.000 Euro überhöht abgerechnet zu haben. Nach der Verlesung weiterer Urkunden teilte der Vorsitzende mit, dass es keine Verständigung gemäß § 257c StPO gegeben habe. Anschließend schloss er die Beweisaufnahme.
2. Mit seiner Revision gegen dieses Urteil machte der Beschwerdeführer unter anderem eine Verletzung von § 257c Abs. 3 Satz 3 und 4 StPO...
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