BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1345/03 -
über
die Verfassungsbeschwerde
1. | der H ... e.V., |
2. | des Herrn Dr. M ..., |
3. | des Herrn L ..., |
4. | des Herrn F ..., |
5. | der verstorbenen Frau Z ..., |
6. | des Herrn G ..., |
Unter den Linden 6, 10099 Berlin -
gegen | Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Änderung der Strafprozessordnung vom 6 August 2002 (BGBl I S. 3018) |
hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Vizepräsidenten Hassemer,
die Richter Di Fabio
und Landau
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 22. August 2006 einstimmig beschlossen:
Die Verfassungsbeschwerde der Beschwerdeführerin zu 5. hat sich durch ihren Tod erledigt.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Verfassungsmäßigkeit der Ermittlung der Geräte- und Kartennummern sowie des Standorts von Mobiltelefonen durch den so genannten "IMSI-Catcher" (§ 100 i StPO).
I.
1. Durch das Gesetz zur Änderung der Strafprozessordnung vom 6. August 2002 (BGBl I S. 3018) wurde § 100 i StPO in die Strafprozessordnung eingeführt. Die Vorschrift lautet in der derzeit geltenden Fassung:
(1) Durch technische Mittel dürfen
zur Vorbereitung einer Maßnahme nach § 100a die Geräte- und Kartennummer sowie
zur vorläufigen Festnahme nach § 127 Abs. 2 oder Ergreifung des Täters auf Grund eines Haftbefehls oder Unterbringungsbefehls der Standort eines aktiv geschalteten Mobilfunkendgerätes ermittelt werden.
(2) Die Maßnahme nach Absatz 1 Nr. 1 ist nur zulässig, wenn die Voraussetzungen des § 100a vorliegen und die Durchführung der Überwachungsmaßnahme ohne die Ermittlung der Geräte- oder Kartennummer nicht möglich oder wesentlich erschwert wäre. Die Maßnahme nach Absatz 1 Nr. 2 ist nur im Falle einer Straftat von erheblicher Bedeutung und nur dann zulässig, wenn die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters auf andere Weise weniger erfolgversprechend oder erschwert wäre; § 100f Abs. 3 Satz 2 gilt entsprechend. Die Maßnahme nach Absatz 1 Nr. 2 ist im Falle einer Straftat von erheblicher Bedeutung auch zulässig, wenn die Ermittlung des Aufenthaltsortes des Täters zur Eigensicherung der zur vorläufigen Festnahme oder Ergreifung eingesetzten Beamten des Polizeidienstes erforderlich ist.
(3) Personenbezogene Daten Dritter dürfen anlässlich solcher Maßnahmen nur erhoben werden, wenn dies aus technischen Gründen zur Erreichung des Zwecks nach Absatz 1 unvermeidbar ist. Über den Datenabgleich zur Ermittlung der gesuchten Geräte- und Kartennummer hinaus dürfen sie nicht verwendet werden und sind nach Beendigung der Maßnahme unverzüglich zu löschen.
(4) § 100b Abs. 1 gilt entsprechend; im Falle der Anordnung zur Vorbereitung einer Maßnahme nach § 100a gilt auch § 100b Abs. 2 Satz 1 entsprechend. Die Anordnung ist auf höchstens sechs Monate zu befristen. Eine Verlängerung um jeweils nicht mehr als sechs weitere Monate ist zulässig, soweit die in den Absätzen 1 und 2 bezeichneten Voraussetzungen fortbestehen. Auf Grund der Anordnung nach Absatz 1 Nr. 2 hat jeder, der geschäftsmäßig Telekommunikationsdienste erbringt oder daran mitwirkt, dem Richter, der Staatsanwaltschaft und ihren im Polizeidienst tätigen Ermittlungspersonen (§ 152 des Gerichtsverfassungsgesetzes) die für die Ermittlung des Standortes des Mobilfunkendgerätes erforderliche Geräte- und Kartennummer mitzuteilen.
2. § 100 i Abs. 1 StPO regelt zwei technisch unterschiedliche Ermittlungsmaßnahmen, die im Schrifttum unter dem Stichwort "IMSI-Catcher" diskutiert werden (vgl. Eckhardt, CR 2002, S. 770 ; Fox, DuD 2002, S. 212 ).
a) Maßnahmen nach § 100 i Abs. 1 Nr. 1 StPO ermöglichen die Ermittlung der Gerätenummer (IMEI: International Mobile Equipment Identity) eines Mobilfunkendgeräts (Mobiltelefon) oder der Kartennummer (IMSI: International Mobile Subscriber Identity) einer SIM-Karte (Subscriber Identity Module).
aa) Grundlage hierfür ist, dass jedes Mobiltelefon wie auch jede SIM-Karte mit einer weltweit nur einmal vergebenen Nummer versehen sind (s. hierzu Vassilaki, RDV 2004, S. 11 ). Die ersten Ziffern der IMSI bezeichnen den Netzbetreiber; anhand der weiteren Ziffern kann über die beim Netzbetreiber gespeicherten Bestandsdaten (u.a. die Rufnummer, Name und Anschrift des Rufnummerninhabers) der Mobilfunkteilnehmer ermittelt werden (zur Verpflichtung der Netzbetreiber zur Speicherung und Übermittlung dieser Daten an die Strafverfolgungsbehörden s. §§ 113 Abs. 1, 111 TKG). Die Abfrage der Bestandsdaten ist auch mittels der IMEI möglich, was dann von Bedeutung ist, wenn ein Mobiltelefon mit verschiedenen SIM-Karten genutzt wird (vgl. Fox, a.a.O., S. 213). Die Kenntnis der Bestandsdaten ist notwendig für die Anordnung einer Telekommunikationsüberwachung nach § 100 a StPO.
Da technische Voraussetzung einer Maßnahme nach § 100 i Abs. 1 Nr. 1 StPO die ungefähre Kenntnis des Standorts eines Mobiltelefons der observierten Person ist (vgl. hierzu Gercke, MMR 2003, S. 453 ), kommt der Einsatz eines "IMSI-Catchers" dann in Betracht, wenn bekannt ist, dass an einem bestimmten Ort Mobilfunktelekommunikation betrieben wird, nähere Erkenntnisse über die Identität des Teilnehmers oder das verwendete Mobiltelefon jedoch nicht vorliegen (vgl. Kiper/ Ruhmann, DuD 1998, S. 155 ; Roggan, KritV 2003, S. 76 ) oder der Benutzer verschiedene SIM-Karten gebraucht (s. hierzu Pöppelmann/Jehmlich, AfP 2003, S. 218 ).
bb) Die Erfassung der IMSI oder der IMEI macht sich zunutze, dass sich alle Mobiltelefone, die im empfangsbereiten Zustand mitgeführt werden, in kurzen Abständen bei der für sie gerade "zuständigen" Basisstation des Mobilfunknetzes anmelden. Das gesamte Mobilfunknetz ist entsprechend einem Raster in einzelne Zellen aufgeteilt (vgl. Eisenberg/Singelnstein, NStZ 2005, S. 62 Fn 2; Gercke, Bewegungsprofile anhand von Mobilfunkdaten im Strafverfahren, 2002, S. 29 f.). Zum Empfang eingehender Anrufe oder Kurzmitteilungen, wie der des Short Messaging System (SMS), ist daher die genaue Lokalisierung des Standorts des Mobiltelefons durch den Mobilfunknetzbetreiber nötig. Im Rahmen dieser ständigen Positionsangabe werden unter anderem die IMSI und die IMEI an die Basisstation gesendet.
Die Erfassung der IMSI und IMEI erfolgt dadurch, dass innerhalb einer solchen Funkzelle eine Basisstation des Mobilfunknetzes durch den "IMSI-Catcher" simuliert wird (vgl. Eckhardt, a.a.O., S. 771; Fox, a.a.O., S. 213). Sämtliche eingeschalteten Mobiltelefone, die sich im Einzugsbereich des "IMSI-Catchers" befinden, senden nunmehr ihre Daten an diesen (von Denkowski, Kriminalistik 2002, S. 117 f.; Gercke, MMR 2003, S. 453 ; ders., StraFo 2003, S. 76 ; Fox, a.a.O., S. 213; Roggan, a.a.O., S. 86; Vassilaki, a.a.O., S. 14). Dabei ist durch eine verstärkte Sendeleistung diese virtuelle Zelle erheblich kleiner als die reguläre Funkzelle (vgl. hierzu Wolter, in: Systematischer Kommentar zur StPO, 2004, § 100 i Rn. 21). Sofern sich in der simulierten Funkzelle mehrere Mobilfunkteilnehmer befinden, sind zur Bestimmung des gesuchten Mobiltelefons mehrere Messungen erforderlich (vgl. Fox, a.a.O., S. 213). Dabei wird die Messtechnik in den Nahbereich des mutmaßlichen Täters gebracht. Es werden an verschiedenen Orten Messungen durchgeführt und nach einem statistischen Auswerteprinzip in Form von Schnittmengen die jeweiligen IMSI/IMEI ermittelt oder zumindest eingegrenzt (vgl. Virnich, Protokoll der 127. Sitzung des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestags vom 24. April 2002, S. 2). Zur eindeutigen Bestimmung des gesuchten Endgeräts können auch ein Abgleich der gemessenen Daten mit den Kundendaten der Mobilfunkbetreiber, ein Stimmenvergleich durch einen Testanruf oder eine Observation der Zielperson nötig sein. Während dieser Zeit bleiben die Daten der erfassten Mobiltelefone – gegebenenfalls auch nur die Daten aus der gebildeten Schnittmenge - gespeichert (s. hierzu von Denkowski, a.a.O., S. 118). Sie sind gemäß § 100 i Abs. 3 StPO nach Beendigung der Maßnahme zu löschen.
b) § 100 i Abs. 1 Nr. 2 StPO erlaubt die genaue Standortbestimmung eines Mobiltelefons.
aa) Ziel der Maßnahme ist das Auffinden eines Beschuldigten oder Verurteilten zum Zwecke der vorläufigen Festnahme oder Ergreifung aufgrund eines Haft- oder Unterbringungsbefehls. Voraussetzung hierfür ist neben der ungefähren Kenntnis des Standorts, dass die IMSI, die IMEI oder die Telefonnummer des gesuchten Mobiltelefons bekannt sind (s. hierzu von Denkowski, a.a.O., S. 118; Eckhardt, a.a.O., S. 771; Fox, a.a.O., S. 213 f.; Gercke, MMR 2003, S. 453 ; Vassilaki, a.a.O., S. 14). Diese dürfen nicht erst aufgrund einer Maßnahme nach § 100 i Abs. 1 Nr. 1 StPO ermittelt werden, da der Gesetzeswortlaut als Erhebungszweck nur eine Überwachung nach § 100 a StPO zulässt. Allerdings sind nach § 100 i Abs. 4 Satz 4 StPO die Telekommunikationsdienstleister zur Mitteilung der IMSI und IMEI verpflichtet.
bb) Die Feststellung des Standorts erfolgt dadurch, dass eine durch den "IMSI-Catcher" aufgebaute virtuelle Funkzelle nach dem Mobiltelefon der Zielperson durchsucht wird. Dabei kann die Suche aufgrund der bereits bekannten Daten von vornherein auf Mobiltelefone beschränkt werden, die dasselbe Netz wie das gesuchte Endgerät verwenden. Auch bei dieser Methode werden nacheinander für einen kurzen Augenblick sämtliche im Einzugsbereich der simulierten Funkzelle befindliche und im selben Netz angemeldete Mobiltelefone erfasst und sofort wieder...