Beschluss vom 24. März 2016 - 2 BvR 175/16
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2016:rk20160324.2bvr017516 |
Judgement Number | 2 BvR 175/16 |
Date | 24 Marzo 2016 |
Citation | BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 24. März 2016 - 2 BvR 175/16 - Rn. (1-64), |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 175/16 -
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn K…, |
- Bevollmächtigter:
-
Rechtsanwalt Dr. Sebastian Gall,
in GRUB BRUGGER Partnerschaft von Rechtsanwälten mbB,
Berliner Straße 44, 60311 Frankfurt am Main -
gegen |
1. |
a) den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 22. Dezember 2015 - 2 Ausl A 22/15 -, |
b) |
den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 19. Oktober 2015 - 2 Ausl A 22/15 -, |
|
2. |
die Bewilligung des Auswärtigen Amtes vom 5. November 2015 - 506-531.00/38684 USA - |
und | Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Huber,
Müller,
Maidowski
am 24. März 2016 einstimmig beschlossen:
- Der Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 22. Dezember 2015 - 2 Ausl A 22/15 - verletzt den Beschwerdeführer in seinen Grundrechten aus Artikel 2 Absatz 1 und Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 25 des Grundgesetzes, soweit er den Antrag auf erneute Entscheidung über die Zulässigkeit der Auslieferung (§ 33 IRG) zurückweist; er wird insoweit aufgehoben. Damit wird der Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 26. Januar 2016 - 2 Ausl A 22/15 - insoweit gegenstandslos. Die Sache wird zur erneuten Entscheidung an das Oberlandesgericht Frankfurt am Main zurückverwiesen.
- Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen die Zurückweisung des Antrags auf Aussetzung des Vollzugs des Auslieferungshaftbefehls ohne Sicherheitsleistung im Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 22. Dezember 2015 - 2 Ausl A 22/15 -, gegen den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 19. Oktober 2015 - 2 Ausl A 22/15 - und gegen die Bewilligung des Auswärtigen Amtes vom 5. November 2015 richtet, wird sie nicht zur Entscheidung angenommen
- Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
- Das Land Hessen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu einem Viertel zu erstatten.
I.
Der Beschwerdeführer ist Schweizer Staatsbürger. Er wurde am 2. Februar 2015 am Flughafen Frankfurt am Main aufgrund eines Festnahmeersuchens von Interpol Washington verhaftet.
Dem Festnahmeersuchen liegt ein Haftbefehl des U.S. District Court, Southern District of New York, vom 3. Januar 2012 zum Zwecke der Strafverfolgung zugrunde. Dem Beschwerdeführer wird darin zur Last gelegt, sich zwischen 2007 und 2010 mit anderen in New York und an anderen Orten dazu verabredet zu haben, einen Betrug zum Nachteil der US-amerikanischen Steuerbehörde und des Internal Revenue Service (IRS) zu begehen, um Steuern zu hinterziehen. Er soll als Kundenberater einer Schweizer Bank sogenannte nicht-deklarierte Konten für US-amerikanische Kunden eröffnet und betreut haben, um den Kunden dabei zu helfen, ihr Vermögen und ihre Einkünfte vor dem IRS zu verbergen und dadurch Einkommensteuer zu hinterziehen, strafbar als Verschwörung zum Betrug der US-amerikanischen Steuerbehörde, zur Hinterziehung von Einkommensteuer und zum Einreichen von gefälschten Einkommensteuererklärungen. Das Vermögen auf den nicht-deklarierten Konten von US-amerikanischen Kunden des Beschwerdeführers soll mindestens 120 Millionen US-Dollar betragen haben.
1. Mit Beschluss vom 10. Februar 2015 ordnete das Oberlandesgericht Frankfurt am Main die vorläufige Auslieferungshaft gegen den Beschwerdeführer an. Das Oberlandesgericht ging dabei davon aus, dass die ihm vorgeworfene Tat nach deutschem Recht als Beihilfe zur Steuerhinterziehung strafbar und daher nach Art. 2 des Auslieferungsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika (im Folgenden: AuslV D-USA) auslieferungsfähig sei. Zwar sei die bloße Verabredung zur Steuerhinterziehung beziehungsweise die Beihilfe dazu nach deutschem Recht nicht strafbewehrt. Aus der Sachverhaltsdarstellung ergebe sich jedoch, dass der Beschwerdeführer die Verabredung auch umgesetzt habe; dies sei nach deutschem Recht als Beihilfe zur Steuerhinterziehung strafbar.
2. Mit Beschluss vom 18. Februar 2015 erweiterte der U.S. District Court, Southern District of New York, seine Anklage und seinen Haftbefehl gegen den Beschwerdeführer um den Vorwurf, dass er mit seinen Kunden vereinbart habe, keine Unterlagen im Zusammenhang mit ihren geheimen Konten in die USA zu schicken, um sicherzustellen, dass die Konten vor dem IRS verborgen bleiben (sog. zweite ersetzende formelle Anklageschrift). Dem Beschwerdeführer wurde damit neben Verschwörung auch ein Behindern und Erschweren der ordnungsgemäßen Anwendung der US-amerikanischen Steuergesetze und Beihilfe hierzu vorgeworfen.
Mit Beschluss vom 26. Februar 2015 erweiterte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main die Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft nach Maßgabe des erweiterten US-amerikanischen Haftbefehls. Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die Behinderung einer ordnungsgemäßen Steuerverwaltung nach bisherigen Erkenntnissen nur durch diejenigen Hilfstätigkeiten zugunsten der Bankkunden erfolgt sein könne, die nach deutschem Recht als Hilfeleisten zur Steuerhinterziehung im Sinne des § 27 StGB anzusehen wären. Daher sei auch diese Tat sowohl nach deutschem als auch nach amerikanischem Recht strafbar.
Der Beschwerdeführer stimmte dem vereinfachten Auslieferungsverfahren nicht zu.
3. Nach Vorlage des förmlichen Auslieferungsersuchens vom 24. März 2015 ordnete das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 1. April 2015 die förmliche Auslieferungshaft gegen den Beschwerdeführer an. Das Oberlandesgericht ging in diesem Beschluss davon aus, dass bislang nach deutschem Recht strafbare Taten des Beschwerdeführers nur zugunsten der Kunden P und Q dargelegt worden seien und es hinsichtlich der den vorgelegten Unterlagen zu entnehmenden Taten zugunsten der Kunden R, S, T und U noch einer näheren Darstellung des Sachverhalts bedürfe.
Mit Beschluss vom 2. Juli 2015 erstreckte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main die förmliche Auslieferungshaft auch auf die Taten, die dem Beschwerdeführer zugunsten der Kunden R, S, T und U vorgeworfen werden. Die US-amerikanischen Behörden hatten zuvor eine diese Tatvorwürfe konkretisierende Erklärung vorgelegt. Gleichzeitig gab das Oberlandesgericht den US-Behörden auf, näher dazulegen, welche Erträge auf den vom Beschwerdeführer in der Zeit von 2008 bis 2010 für die Kunden P, Q, R, S, T und U betreuten Konten jeweils angefallen seien und wieviel Einkommensteuer von diesen Kunden jeweils hinterzogen worden sei.
4. Mit Schreiben vom 24. August 2015 teilten die USA mit, dass die Kunden P, Q, R, S, T und U mit Hilfe des Beschwerdeführers Steuern in Höhe von 69.112 US-Dollar hinterzogen hätten.
Mit Beschluss vom 10. September 2015 setzte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main den Auslieferungshaftbefehl vom 1. April 2015 in der Erweiterung vom 2. Juli 2015 unter Bedingungen und Auflagen außer Vollzug. Angesichts der dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Beihilfe zur Steuerhinterziehung, die nach US-amerikanischem Recht mit einer Freiheitsstrafe von bis zu fünf Jahren bedroht sei, sei bei einem nunmehr vorgetragenen Steuergesamtschaden von ca. 70.000 US-Dollar bei einer Verurteilung nicht mehr von einer zu erwartenden Strafe auszugehen, die einen so erheblichen Fluchtanreiz biete, dass keine anderen Maßnahmen als die Inhaftnahme in Betracht kämen. Die US-amerikanischen Behörden kündigten daraufhin die Vorlage weiterer Unterlagen an, die zeigen sollten, dass der Beschwerdeführer selbst und als Verschwörer im Zusammenwirken mit anderen für einen noch höheren Steuerschaden verantwortlich sei.
5. Mit Beschluss vom 19. Oktober 2015 erklärte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main die Auslieferung des Beschwerdeführers wegen der dem Haftbefehl des Bundesgerichts der Vereinigten Staaten für den südlichen Bezirk von New York vom 18. Februar 2015 in Verbindung mit der zweiten ersetzenden formellen Anklageschrift der Grand Jury des Bundesbezirksgerichts der Vereinigten Staaten für den Südbezirk von New York vom selben Tag zugrunde liegenden Taten zugunsten der Kunden P, Q, T und U für zulässig. Gleichzeitig wurde die Auslieferung wegen der dem Haftbefehl des Bundesgerichts der Vereinigten Staaten für den südlichen Bezirk von New York vom 18. Februar 2015 in Verbindung mit der zweiten ersetzenden formellen Anklageschrift der Grand Jury des Bundesbezirksgerichts der Vereinigten Staaten für den Südbezirk von New York vom selben Tag zugrunde liegenden Taten zugunsten der Kunden R und S für unzulässig erklärt. Darüber hinaus wurde der Auslieferungshaftbefehl vom 1. April 2015 aufgehoben, soweit er die dem Beschwerdeführer vorgeworfenen Taten zugunsten der Kunden R und S betraf (2 Ausl A 22/15).
a) Das Oberlandesgericht ging dabei davon aus, dass konkrete Tatbeiträge des Beschwerdeführers hinsichtlich der ihm vorgeworfenen Taten nur zugunsten der Kunden P (hinterzogene Einkommensteuer von 12.628 US-Dollar), Q (hinterzogene Einkommensteuer von 67 US-Dollar) sowie T und U (hinterzogene Einkommensteuer von 56.417 US-Dollar) dargelegt worden seien. Die Angaben in den Auslieferungsunterlagen enthielten insbesondere die Tatumstände, die den Vorwurf der Steuerhinterziehung durch die Kunden P, Q, T und U begründen sollten. Dass der Beschwerdeführer hierzu Beihilfe...
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