BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 893/17 -
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn W... |
- Bevollmächtigte:
- Rechtsanwälte Dr. Wolfgang Köberer, Jürgen Pauly und Christoph Tute, in HammPartner Rechtsanwälte PartG mbH, Wolfsgangstraße 92, 60322 Frankfurt am Main -
gegen |
den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 31. März 2017 - 2 Ausl A 53/16 - |
und | Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Huber
und die Richterinnen Kessal-Wulf,
König
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung
vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 17. Mai 2017 einstimmig beschlossen:
- Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen
- Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
Die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde betrifft die Auslieferung des Beschwerdeführers an die USA zum Zwecke der Strafverfolgung.
I.
1. Der Beschwerdeführer, ein ägyptischer Staatsangehöriger, wurde am 12. März 2016 am Flughafen Frankfurt am Main auf Grundlage eines bei Interpol hinterlegten Festnahmeersuchens der USA vorläufig festgenommen. Das Ersuchen basierte auf einem Haftbefehl des US-Bezirksgerichts für den westlichen Bezirk von Texas vom 19. März 2014 gegen den Beschwerdeführer. Dem Haftbefehl lag eine Anklageschrift zugrunde, die sich gegen insgesamt sechzehn Beschuldigte, unter anderem den Beschwerdeführer, richtet und mehrere Anklagepunkte enthält. Explizit gegen den Beschwerdeführer richtet sich die Anklageschrift lediglich in Anklagepunkt 1 (Count One). Dieser befasst sich mit Verstößen gegen das US-Betäubungsmittelgesetz. Dem Beschwerdeführer wird zur Last gelegt, als Mitglied einer Gruppierung, die mit synthetischen Cannabinoiden Handel trieb, als einer von fünf Chemikern in der Zeit vom 10. Januar 2012 bis zum 19. März 2014 die Betäubungsmittel hergestellt und die anderen Mitglieder der Gruppe bei deren Vertrieb unterstützt zu haben. Insgesamt soll die Gruppierung über 18,5 Tonnen mit synthetischen Cannabinoiden versetzte Stoffe im Marktwert von insgesamt 26 Millionen US-Dollar hergestellt beziehungsweise in den Verkehr gebracht haben.
2. Der Beschwerdeführer befindet sich seit dem 12. März 2016, zunächst aufgrund der Festhalteanordnung des Ermittlungsrichters am Amtsgericht Frankfurt am Main vom 13. März 2016 und sodann aufgrund der Anordnung der vorläufigen Auslieferungshaft durch das Oberlandesgericht Frankfurt am Main vom 21. März 2016 sowie wiederholter Fortdauerbeschlüsse, in Haft. Während des Verfahrens widersprach der Beschwerdeführer wiederholt einer Auslieferung im vereinfachten Verfahren und erklärte, nicht auf die Bindung des ersuchenden Staates an den Spezialitätsgrundsatz nach § 11 IRG zu verzichten.
3. Mit Beschluss vom 14. April 2016 wies das Oberlandesgericht Frankfurt am Main die auf der Behauptung des Fehlens der beiderseitigen Strafbarkeit beruhenden Einwendungen des Beschwerdeführers gegen die Auslieferungshaft zurück.
4. Nach Vorlage des förmlichen Auslieferungsersuchens vom 12. April 2016 ordnete das Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit Beschluss vom 10. Mai 2016 die förmliche Auslieferungshaft gegen den Beschwerdeführer an. Zur Begründung führte es aus, gegen die Auslieferung bestünden derzeit keine Bedenken. Die Tat sei nach deutschem Recht wegen bandenmäßigen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge gemäß § 30a Abs. 1 BtMG strafbar. Die Tat sei auch in den USA strafbar und daher nach Art. 2 des Auslieferungsvertrages zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 20. Juni 1978 (BGBl II 1980 S. 647; im Folgenden: AuslV D-USA) in der Fassung des Zusatzvertrags vom 21. Oktober 1986 sowie des am 1. Februar 2010 in Kraft getretenen Zweiten Zusatzvertrags vom 18. April 2006 (BGBl II 2007 S. 1618; BGBl II 2010 S. 829) auslieferungsfähig. Der Auslieferungshaftbefehl wurde dem Beschwerdeführer am 31. Mai 2016 eröffnet.
5. Mit Beschluss vom 12. Juli 2016 gab das Oberlandesgericht Frankfurt am Main den US-Behörden auf, zu erläutern, ob dem Beschwerdeführer mit der vorgelegten Anklageschrift auch die in Anklagepunkt 2 (Count Two) genannte Geldwäsche vorgeworfen werde und ob der Beschwerdeführer die Möglichkeit habe, sich im US-Strafverfahren aus eigenem Recht auf den Spezialitätsgrundsatz zu berufen. Falls dies nicht gegeben sei, werde um Mitteilung gebeten, wie der Beschwerdeführer sicherstellen könne, dass er nur wegen der dem Auslieferungsersuchen zugrundeliegenden Tat verfolgt werde. Zur Begründung verwies das Oberlandesgericht auf den Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 24. März 2016 unter dem Aktenzeichen 2 BvR 175/16. Hierin hatte die Kammer entschieden, dass die Zulässigerklärung der Auslieferung eines in den USA wegen Steuerdelikten verfolgten Schweizer Staatsangehörigen nicht hätte erfolgen dürfen, weil in der Gerichtsbarkeit des für den dortigen Beschwerdeführer zuständigen US-Berufungsgerichts des Zweiten Gerichtsbezirks vor dem Hintergrund der Entscheidung dieses Gerichts vom 30. Juni 2015, U.S. v. Suarez (No. 14-2378-cr), nicht gewährleistet sei, dass der Auszuliefernde sich aus eigenem Recht auf den Spezialitätsgrundsatz berufen könne, und weil konkrete Anhaltspunkte für eine mögliche Verletzung des Spezialitätsgrundsatzes vorgelegen hätten. Das Oberlandesgericht führte aus, es bestünden zwar Unterschiede zwischen dem vorliegenden und dem durch die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts entschiedenen Fall. In dem damaligen Fall hätten die US-Behörden die Auslieferung wegen mehrerer Taten beantragt, sie sei aber nur für einen Teil der Taten für zulässig erklärt worden, während vorliegend die Auslieferung wegen nur einer Tat beantragt worden sei, so dass keine Divergenz zwischen Auslieferungsersuchen und Auslieferungsentscheidung bestünde. Dennoch sei eine weitere Aufklärung des Sachverhalts angezeigt.
6. Die US-Behörden teilten daraufhin unter dem 15. August 2016 im Wege einer eidesstattlichen Erklärung eines der an dem Strafverfahren gegen den Beschwerdeführer beteiligten US-Staatsanwälte mit, diesem werde keine Geldwäsche zur Last gelegt. Er werde nur wegen des Anklagepunktes 1 verfolgt, für den man die Auslieferung beantragt habe. Man werde den Grundsatz der Spezialität einhalten. Der Beschwerdeführer könne eine Verletzung des Grundsatzes der Spezialität im Verfahren geltend machen, da der AuslV D-USA die Einhaltung des Grundsatzes garantiere. Darüber hinaus sei
„…weder gemäß dem Auslieferungsabkommen erforderlich, noch auf der Grundlage von bekannten Informationen und Annahmen im Rahmen der Auslieferungspraxis zwischen den Vereinigten Staaten und Deutschland üblich, jeden der Staatsanwaltschaft bekannten Sachverhalt zur Unterstützung eines Auslieferungsersuchens zur Verfügung zu stellen. Stattdessen fordert Artikel 14, Absatz 3 des Abkommens ‚... solche Beweismittel, die gemäß dem Recht des ersuchenden Landes seine Verhaftung und Überstellung zur Gerichtsverhandlung rechtfertigen würden, wenn die Straftat dort begangen worden wäre. ...‘ ln diesem Fall ist der Beweismittelbestand zur Unterstützung der Anschuldigungen, die in Anklagepunkt Eins gegen W. anhängig sind, sehr umfassend. In Übereinstimmung mit dem Abkommen und der Auslieferungspraxis wurden die Sachverhalte und Umstände im Zusammenhang mit W.s Handlungen in der eidesstattlichen Erklärung [… der] Sonderermittlerin beim US-Bundeskriminalamt (Federal Bureau of Investigation) vom 7. April 2016 und in meiner ursprünglichen eidesstattlichen Erklärung kurz zusammengefasst. Die eidesstattlichen Erklärungen behaupten nicht, eine vollständige Wiedergabe sämtlicher Beweismittel zur Verfügung zu stellen oder sämtliche Beweismittel anzugeben oder zu identifizieren, die die Vereinigten Staaten möglicherweise bei einer Gerichtsverhandlung gegen W. einbringen wird [sic!]. Die Vereinigten Staaten sollten bei der Strafverfolgung von W. nicht an die in dem Auslieferungsersuchen enthaltene Zusammenfassung des Sachverhalts gebunden sein, falls er ausgeliefert wird, um sich vor Gericht für die in Anklagepunkt Eins der Anklageschrift enthaltenen Anschuldigungen zu verantworten. Die Vereinigten Staaten sollten ebenfalls nicht davon abgehalten werden, sämtliche zulässigen Beweismittel bezüglich der Straftat, die W. zur Last gelegt wird, einzubringen, einschließlich der Beweismittel im Zusammenhang mit Handlungen, die nicht in den Kurzzusammenfassungen in den eidesstattlichen Erklärungen erwähnt wurden.“
7. Mit Schreiben vom 26. August 2016 teilte die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main mit, sie sei erneut an die US-Behörden herangetreten, da die Angaben zu den prozessualen Möglichkeiten des Beschwerdeführers, den Spezialitätsgrundsatz geltend zu machen, nicht den Anforderungen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts genügt hätten. Mit Verbalnote des Auswärtigen Amts vom 30. August 2016 wurden die US-Behörden um Klarstellung ersucht, ob sich der Beschwerdeführer im Rahmen des strafrechtlichen Verfahrens in den USA „aus einer eigenen Rechtsposition ohne eine Intervention des um die Auslieferung ersuchten Staates gegen eine mögliche Missachtung des Spezialitätsgrundsatzes wehren“ könne.
8. Die US-Behörden antworteten unter dem 20. September 2016, es gebe im Gerichtsbezirk des...