Beschluss vom 25. August 2023 - 1 BvR 1612/23
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2023:rk20230825.1bvr161223 |
Citation | BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 25. August 2023 - 1 BvR 1612/23 -, Rn. 1-22, |
Judgement Number | 1 BvR 1612/23 |
Date | 25 Agosto 2023 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1612/23 -
über
die Verfassungsbeschwerde
1.des Herrn (…), | ||
2.des (…)-e. V., |
- Bevollmächtigte:
- (…) -
gegen |
den Beschluss des Landgerichts Potsdam vom 14. August 2023 - 2 O 215/23 - |
Und Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Harbarth,
die Richterin Härtel
und den Richter Eifert
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung
vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 25. August 2023 einstimmig beschlossen:
- Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen
- Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG)
I.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde und ihrem hiermit verbundenen Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wenden sich die Beschwerdeführer gegen eine einstweilige Verfügung, durch die ihnen teilweise untersagt wurde, auf der von ihnen verantworteten Internetseite „Potsdam – Stadt für alle“ über ein mit Immobilieninvestitionen in Potsdam engagiertes, im internationalen Erdölhandel tätiges Unternehmen zu berichten.
1. Der Antragsteller des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Antragsteller) ist Inhaber und Geschäftsführer der Antragstellerin des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Antragstellerin), einem im Erdölhandel international tätigen Unternehmen. Seit (…) plant der Antragsteller die Errichtung eines „(…)“ nahe des Potsdamer (…) mit einem Investitionsvolumen von 100 Mio. Euro. Der Beschwerdeführer zu 2), eine lokale politische Initiative in der Rechtsform eines eingetragenen Vereins mit Sitz in Potsdam, und dessen Vorstand, der Beschwerdeführer zu 1), verantworten im Rahmen des Vereinsprojekts „Potsdam – Stadt für alle“ eine gleichnamige Internetseite, die „eine Öffentlichkeit für kritische, nachhaltige Stadtentwicklung schaffen“ und „Menschen, die sich für wirkliche Beteiligung und eine ‚Stadt für alle‘ engagieren eine Plattform bieten“ möchte. Am 25. Juli 2023 veröffentlichten die Beschwerdeführer auf dieser Seite einen Beitrag über die Antragsteller mit dem Titel „Wie Profite aus dem Geschäft mit russischen Erdölprodukten in Potsdam angelegt werden“.
2. Durch außergerichtliches Schreiben vom 2. August 2023 forderten die Antragsteller die Beschwerdeführer zur Abgabe vertragsstrafenbewehrter Unterlassungserklärungen bis spätestens 9. August 2023, 12:00 Uhr, auf, die sich auf folgende Äußerungen bezogen:
„a) Das vielleicht mysteriöseste Unternehmen‘ nennen es auch russische und britische Medien – mit Verbindungen zu (…G1…) und zum russischen Energieministerium;
b) Und siehe da, einer der wichtigsten Zulieferer ist kein anderer als die (…G2…), ein in (…O1…) ansässiges Unternehmen, das vom in (…O2…) ansässigen (…N1…) gegründet wurde, so eine mit der Geschäftstätigkeit des Unternehmens vertraute Person und ein Anwalt, der (…G2…) vertritt. (…G2…) kauft Öl vom russischen Produzenten, darunter eine Tochtergesellschaft des staatlichen Gazprom PJSC, und verkauft es an (…G3…);
c) Herr (…N1…) gründete (…G4…) gemeinsam mit dem Schweizer Energiehändler (…N2…) in (…O3…);
d) Und auch da mittendrin: Die (…G2…) von (…N1…) … Dieser Zwischenhändler kauft kleine Mengen auf, um Tanker zu füllen, und verkauft sie dann an seinen Partner (…G3…);
e) Der Löwenanteil der Mengen (von Erdöl) der (…G2…) wird bei der (…G4…), (…G5…), (…G6…) und (…G7…) bezogen;
f) (…G2…) leistet nach Aussagen von Medien und der Rechercheplattform Public Eye einen erheblichen Beitrag dazu, dass Russland weiter sein Erdöl auf den Weltmärkten verkaufen kann – und damit seinen Krieg finanzieren.“
Bei den Äußerungen handele es sich um unwahre Tatsachenbehauptungen. Zudem hätten die Beschwerdeführer gegen die Grundsätze der Verdachtsberichterstattung verstoßen, indem die Antragsteller insbesondere zu keinem Zeitpunkt angefragt worden seien.
3. Durch Schutzschrift vom 8. August 2023 – nebst Anlagen am 9. August 2023 um 00:57 Uhr im zentralen Schutzschriftenregister eingestellt – erklärten die Beschwerdeführer, sich dazu entschieden zu haben, das Verfahren öffentlich zu führen und sich gegen die erhobenen Ansprüche zur Wehr zu setzen. Die aufgestellten Behauptungen seien ausweislich der beigefügten Medienbeiträge wahr. Die eidesstattlichen Versicherungen der Antragsteller bezögen sich lediglich auf die gegenwärtige Geschäftstätigkeit, nicht auf die vergangene. Bei den Beschwerdeführern handele es sich nicht um professionelle Journalisten, sondern um einen kleinen Verein und eine Einzelperson; nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts seien die Sorgfaltspflichten der Medien gleitend, richteten sich nach den Aufklärungsmöglichkeiten und seien strenger als für Privatleute. Soweit der Beitrag Meinungsäußerungen enthalte, unterfalle er von vornherein nicht den Grundsätzen der Verdachtsberichterstattung. In einem möglichen einstweiligen Verfügungsverfahren werde beantragt, den Antrag auf Erlass einer einstweiligen Verfügung zurückzuweisen, hilfsweise, über den Antrag nicht ohne mündliche Verhandlung zu entscheiden.
4. Durch weiteres außergerichtliches Schreiben vom 9. August 2023 setzten die Antragsteller den Beschwerdeführern mangels bisheriger Reaktion eine Nachfrist zur Abgabe der eingeforderten Unterlassungserklärungen bis 10. August 2023, 16:00 Uhr. Dem Schreiben beigefügt war das Abmahnungsschreiben vom 2. August 2023 nebst Anlagen sowie der Entwurf eines an das Landgericht Potsdam gerichteten Antrags auf Erlass einer einstweiligen Verfügung nebst Anlagen mit nahezu identischem Wortlaut der abgemahnten Äußerungen.
5. Durch angegriffenen Beschluss des Landgerichts Potsdam...
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