Beschluss vom 28. September 2023 - 1 BvR 1740/23
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2023:rk20230928.1bvr174023 |
Citation | BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 28. September 2023 - 1 BvR 1740/23 -, Rn. 1-23, |
Judgement Number | 1 BvR 1740/23 |
Date | 28 Septiembre 2023 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 1740/23 -
über
die Verfassungsbeschwerde
der (...)-GmbH, vertreten durch den Geschäftsführer (...), |
- Bevollmächtigte:
-
(...) -
gegen |
den Beschluss des Landgerichts Düsseldorf vom 29. August 2023 - 37 O 71/23 - |
und | Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
hat die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Harbarth,
die Richterin Härtel
und den Richter Eifert
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung
vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 28. September 2023 einstimmig beschlossen:
- Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen
- Mit der Nichtannahme der Verfassungsbeschwerde wird der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung gegenstandslos (§ 40 Abs. 3 GOBVerfG)
I.
Die Beschwerdeführerin macht einen Verstoß gegen die prozessuale Waffengleichheit (Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 20 Abs. 3 GG) und das Recht auf den gesetzlichen Richter (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) durch eine ohne mündliche Verhandlung und ohne anderweitige Anhörung der Beschwerdeführerin im Verfahren erlassene, durch die Vorsitzende allein ergangene wettbewerbsrechtliche einstweilige Verfügung geltend.
1. Die Beschwerdeführerin vertreibt Matratzen an Verbraucher. Am 14. August 2023 wurde sie von einem Wettbewerber unter Fristsetzung bis zum 21. August 2023 abgemahnt, es zu unterlassen, „geschäftlich handelnd für Matratzen mit einem Testsieg, Testergebnis oder Testsiegel von […] zu werben“; das Unterlassungsverlangen wurde durch Bildschirmfotografien von Werbeanzeigen konkretisiert, welche die Beschwerdeführerin im Internet geschaltet hatte. Diese Werbung sei irreführend, weil die Beschwerdeführerin nicht mehr das im Test prämierte Modell, sondern – wie ein Testkauf ergeben habe – demgegenüber veränderte Matratzen vertreibe.
2. Am 21. August 2023 entgegnete die Beschwerdeführerin auf die Abmahnung, das beworbene Testsiegermodell sei weiterhin im Sortiment und solle schon Anfang September wieder ausgeliefert werden können. Die Veränderungen, die erst in durch die Abmahnung veranlassten Nachforschungen aufgefallen seien, hätten nur eine einzige Charge betroffen; diese habe die Beschwerdeführerin aus dem Vertrieb genommen. Am 22. August 2023 reichte die Beschwerdeführerin zudem eine Schutzschrift zum Zentralen Schutzschriftenregister.
3. Am Donnerstag, den 24. August 2023 beantragte der Wettbewerber den Erlass einer einstweiligen Verfügung, um der Beschwerdeführerin untersagen zu lassen, „geschäftlich handelnd für Matratzen mit einem Testsieg, Testergebnis oder Testsiegel von […] zu werben, wenn die als getestet beworbene Matratze nach dem Test verändert wurde“; das Unterlassungsverlangen wurde auch im Verfügungsantrag durch dieselben Bildschirmfotografien von Werbeanzeigen konkretisiert wie in der Abmahnung. Der Verfügungsantrag war eingehender begründet als die Abmahnung, enthielt weitere Anlagen und wurde dem Gericht zusammen mit der Abmahnungserwiderung vorgelegt.
4. Am Dienstag, den 29. August 2023 erließ die Kammer für Handelssachen „wegen der Dringlichkeit des Falles ohne vorangegangene mündliche Verhandlung in Kenntnis der Schutzschriften vom 22.08.2023 und vom 21.07.2023 durch die Vorsitzende allein“ die beantragte Untersagungsverfügung mit antragsidentischem Beschlusstenor. Gegen die einstweilige Verfügung hat die Beschwerdeführerin Widerspruch eingelegt, bei Einlegung der Verfassungsbeschwerde aber noch nicht begründet.
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht erfüllt sind.
Der Anwendung der Maßstäbe zur Handhabung der prozessualen Waffengleichheit in einem lauterkeitsrechtlichen Einzelfall und der Anwendung des § 944 ZPO betreffend die Entscheidung des Vorsitzenden bei Dringlichkeit kommt keine grundsätzliche Bedeutung zu. Auch ist die Annahme nicht zur Durchsetzung der in § 90 Abs. 1 BVerfGG genannten Rechte angezeigt. Die Voraussetzungen, unter denen eine Verfassungsbeschwerde ausnahmsweise unmittelbar gegen eine einstweilige Verfügung erhoben werden kann, liegen nicht vor.
1. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts kann eine Verfassungsbeschwerde ausnahmsweise unmittelbar gegen eine einstweilige Verfügung selbst erhoben werden, wenn zwar andere Rechtsverletzungen – auch ein Verstoß gegen das rechtliche Gehör – fachgerichtlich angegriffen werden können, die Rügen der Verfassungsbeschwerde sich aber auf eine Rechtsverletzung unmittelbar durch die Handhabung des Prozessrechts im Verfahren über den Erlass der einstweiligen Verfügung selbst richten. Das Bundesverfassungsgericht hat dies wiederholt angenommen, wenn sich der Beschwerdeführer gegen ein seinem Vorbringen nach bewusstes und systematisches Übergehen seiner prozessualen Rechte wendet, das die Fachgerichte im Vertrauen darauf praktizierten, dass diese Rechtsverletzungen angesichts später eröffneter Verteidigungsmöglichkeiten folgenlos blieben und deshalb nicht geltend gemacht werden könnten. Diesbezüglich besteht ein fachgerichtlicher Rechtsbehelf nicht. Insbesondere gibt es keine prozessrechtliche Möglichkeit, etwa im Wege einer Feststellungsklage eine fachgerichtliche Kontrolle eines solchen Vorgehens zu erwirken (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 3. Kammer des Ersten Senats vom 6. Juni 2017 - 1 BvQ 16/17 u.a., Rn. 10 f.; vom 30. September 2018 - 1 BvR 1783/17 -, Rn. 10 und - 1 BvR 2421/17 -, Rn. 23; Beschlüsse der 2. Kammer des Ersten Senats vom 3. Juni 2020 - 1 BvR 1246/20 -, Rn. 12; vom 17. Juni 2020 - 1 BvR 1380/20 -, Rn. 12; vom 22. Dezember 2020 - 1 BvR...
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