Urteil Nr. B 1 A 1/18 R des Bundessozialgericht, 2019-05-28

Judgment Date28 Mayo 2019
ECLIDE:BSG:2019:280519UB1A118R0
Judgement NumberB 1 A 1/18 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Krankenversicherung - Gewährung von zusätzlichen Satzungsleistungen - Koppelung an ungekündigte Mitgliedschaft ist rechtswidrig
Leitsätze

Krankenkassen dürfen die Gewährung von zusätzlichen Satzungsleistungen nicht an eine ungekündigte Mitgliedschaft knüpfen.

Tenor

Die Revision der Klägerin gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 20. März 2018 wird zurückgewiesen.

Die Klägerin trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Der Streitwert wird für beide Instanzen auf 50 000 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Genehmigung einer Satzungsänderung.

Die klagende, bundesweit zuständige Krankenkasse (KK) regelt in ihrer Satzung als Kostenerstattungszuschüsse konzipierte Gestaltungsleistungen. Art I § 12 Abs VIII S 1 und 2 der Satzung lautet: "Die BKK Wirtschaft und Finanzen gewährt ihren Versicherten Leistungen gemäß § 11 Abs 6 SGB V. Die Kostenerstattung muss dabei jeweils bis zum 31. März des Folgejahres beantragt werden. (…)". Der Verwaltungsrat der Klägerin beschloss als 29. Nachtrag zur Satzung ua Ziff 4 Buchst a zu Art I § 12 Abs VIII S 2 (21.6.2016). Danach sollten in S 2 nach den Worten "beantragt werden" die Worte "und ist an eine ungekündigte Mitgliedschaft geknüpft" eingefügt werden. Die Änderung sollte am Tag nach der Bekanntmachung in Kraft treten (Ziff 10 zu Art II). Die beklagte Bundesrepublik Deutschland, vertreten durch das Bundesversicherungsamt (BVA), genehmigte den beschlossenen übrigen 29. Nachtrag zur Satzung, lehnte es aber ab, die Ergänzung in Ziff 4 Buchst a zu Art I § 12 Abs VIII S 2 zu genehmigen: Die geplante Satzungsänderung sei von der Ermächtigungsgrundlage des § 11 Abs 6 SGB V nicht gedeckt. Die Klägerin müsse zusätzliche Leistungen allen Versicherten unabhängig von ihrem mitgliedschaftsrechtlichen Status gewähren (Bescheid vom 29.7.2016). Während des Klageverfahrens hat der Verwaltungsrat der Klägerin den 30. Nachtrag zur Satzung beschlossen. Danach sollte ua in Art I § 12 Abs VIII S 2 nach den Worten "beantragt werden" die Worte "und ist zum Zeitpunkt der Antragstellung an eine ungekündigte Mitgliedschaft geknüpft" eingefügt werden (Ziff 4). Die Änderung sollte am 1.1.2017 in Kraft treten (Ziff 16 zu Art II; 8.12.2016). Die Beklagte lehnte es ebenfalls ab, diesen Teil des 30. Nachtrags zur Satzung zu genehmigen (Bescheid vom 16.1.2017). Das LSG hat die Klage abgewiesen, gerichtet auf Genehmigung von Ziff 4 Buchst a zu Art I § 12 Abs VIII S 2 in der beschlossenen Fassung des 29., hilfsweise des 30. Nachtrags zur Satzung: Die beabsichtigte Koppelung von zusätzlichen Leistungen gemäß § 11 Abs 6 SGB V an eine ungekündigte Mitgliedschaft sei mit zwingendem Recht nicht vereinbar. § 19 SGB V regele die Auswirkungen der Beendigung der Mitgliedschaft auf die Leistungsansprüche Versicherter abschließend (Urteil vom 20.3.2018).

Die Klägerin rügt mit ihrer Revision eine Verletzung von § 11 Abs 6 und § 19 SGB V. Die geplante Satzungsergänzung sei zu genehmigen. Sie regele nicht das Erlöschen von Leistungsansprüchen, sondern als weitere Voraussetzung für die Gewährung von Zusatzleistungen die ungekündigte Mitgliedschaft im Zeitpunkt der Antragstellung.

Die Klägerin beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 20. März 2018 aufzuheben, die Bescheide der Beklagten vom 29. Juli 2016 und 16. Januar 2017 zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, Ziff 4 Buchst a zu Art I § 12 Abs VIII S 2 in der beschlossenen Fassung des 29. Nachtrags der Satzung zu genehmigen,
hilfsweise,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 20. März 2018 aufzuheben, die Bescheide der Beklagten vom 29. Juli 2016 und 16. Januar 2017 zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, Ziff 4 Buchst a zu Art I § 12 Abs VIII S 2 in der beschlossenen Fassung des 30. Nachtrags der Satzung zu genehmigen.

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die zulässige Revision der klagenden KK ist unbegründet (§ 170 Abs 1 S 1 SGG). Zu Recht hat das LSG die zulässige Klage (dazu 1.) abgewiesen. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, die beantragten Satzungsänderungen der Klägerin zu genehmigen. Die Beklagte lehnte deren Genehmigung rechtmäßig ab. Sie stehen nicht mit höherrangigem Recht in Einklang (dazu 2.).

1. Der Senat kann offenlassen, ob es sich bei der Klage um eine kombinierte Anfechtungs- und Verpflichtungsklage (§ 54 Abs 1 S 1 SGG) oder um eine Aufsichtsklage (§ 54 Abs 3 SGG) handelt. Im Verhältnis zum Versicherungsträger ist die begehrte Genehmigung ein Verwaltungsakt (stRspr, vgl zB BSG SozR 3-2200 § 700 Nr 1 S 2; BSGE 99, 95 = SozR 4-2500 § 44 Nr 13, RdNr 12; BSGE 109, 230 = SozR 4-2500 § 53 Nr 2, RdNr 10; BSGE 117, 236 = SozR 4-2500 § 11 Nr 2, RdNr 9 mwN). Auch mit der Aufsichtsklage kann die Vornahme einer begünstigenden Aufsichtsanordnung begehrt werden, nämlich die Erteilung einer beantragten Satzungsgenehmigung, wenn die Aufsichtsbehörde dies abgelehnt hat und der Versicherungsträger geltend macht, dass er auf die Vornahme dieses Akts einen Rechtsanspruch habe (stRspr, vgl zB BSGE 69, 72, 73 = SozR 3-2500 § 241 Nr 1 S 2; BSGE 99, 95 = SozR 4-2500 § 44 Nr 13, RdNr 11; BSGE 109, 230 = SozR 4-2500 § 53 Nr 2, RdNr 9; BSGE 117, 236 = SozR 4-2500 § 11 Nr 2, RdNr 8; BSGE 125, 207 = SozR 4-2400 § 35a Nr 5, RdNr 9). So liegt es hier.

Das LSG hat auch rechtmäßig die Ablehnung der Beklagten, einen Teil des 30. Nachtrags der beschlossenen Satzungsänderung zu genehmigen, in das Klageverfahren einbezogen (vgl § 96 Abs 1 SGG idF durch Art 1 Nr 16 Gesetz zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes und des Arbeitsgerichtsgesetzes vom 26.3.2008, BGBl I 444, mWv 1.4.2008).

2. Die Beklagte ist nicht verpflichtet, die beantragten Satzungsänderungen zu genehmigen. Nach § 195 Abs 1 SGB V bedarf die Satzung einer KK der Genehmigung der Aufsichtsbehörde. Dies gilt auch für Satzungsänderungen. Ist eine verfahrensmäßig ordnungsgemäß zustande gekommene Satzungsänderung mit höherrangigem Recht vereinbar, besteht nach § 195 Abs 1 SGB V ein Anspruch auf die Genehmigung (stRspr, vgl zB BSGE 99, 95 = SozR 4-2500 § 44 Nr 13, RdNr 12; BSGE 106, 199 = SozR 4-2500 § 53 Nr 1, RdNr 11; BSGE 109, 230 = SozR 4-2500 § 53 Nr 2, RdNr 10; BSGE 117, 236 = SozR 4-2500 § 11 Nr 2, RdNr 9). Die Satzung darf Leistungen nur vorsehen, soweit das SGB V sie zulässt (§ 194 Abs 2 S 2 SGB V). Daran fehlt es. Die nach dem Gesamtzusammenhang der LSG-Feststellungen (§ 163 SGG) dem Verfahren nach ordnungsgemäß beschlossenen Ergänzungen des Art I § 12 Abs VIII S 2 genügen indes nicht den Anforderungen des § 11 Abs 6 S 1 und S 2 SGB V (idF durch Art 3 Nr 1 Buchst b Gesetz zur Neuausrichtung der Pflegeversicherung vom 23.10.2012, BGBl I 2246 mWv 30.10.2012). Danach kann die KK in ihrer Satzung zusätzliche vom Gemeinsamen Bundesausschuss nicht ausgeschlossene Leistungen in der fachlich gebotenen Qualität im Bereich der medizinischen Vorsorge und Rehabilitation (§§ 23, 40), der Leistungen von Hebammen bei Schwangerschaft und Mutterschaft (§ 24d), der künstlichen Befruchtung (§ 27a), der zahnärztlichen Behandlung ohne die Versorgung mit Zahnersatz (§ 28 Abs 2), bei der Versorgung mit nicht verschreibungspflichtigen apothekenpflichtigen Arzneimitteln (§ 34 Abs 1 S 1), mit Heilmitteln (§ 32) und Hilfsmitteln (§ 33), im Bereich der häuslichen Krankenpflege (§ 37) und der Haushaltshilfe (§ 38) sowie Leistungen von nicht zugelassenen Leistungserbringern vorsehen. Die Satzung muss insbesondere die Art, die Dauer und den Umfang der Leistung bestimmen; sie hat hinreichende Anforderungen an die Qualität der Leistungserbringung zu regeln.

Die beschlossenen Satzungsbestimmungen sind nach Wortlaut (dazu a), Entstehungsgeschichte (dazu b), Regelungssystem (dazu c) und -zweck (dazu d) nicht von der Ermächtigung des § 11 Abs 6 S 1 und 2 SGB V zum Erlass von Satzungsbestimmungen (zu diesem Erfordernis vgl BSGE 89, 227, 231 = SozR 3-2500 § 194 Nr 1 S 5; BSGE 121, 179 = SozR 4-2500 § 194 Nr 1, RdNr 18 f) gedeckt. Die Satzungsergänzungen fordern unzulässig für eine Kostenübernahme für zusätzliche Leistungen, dass eine ungekündigte Mitgliedschaft besteht oder hilfsweise zum Zeitpunkt der Antragstellung besteht.

a) Schon der Wortlaut des § 11 Abs 6 S 1 und 2 SGB V lässt es nicht zu, Satzungsleistungen von einer ungekündigten Mitgliedschaft abhängig zu machen. Die Regelung gestattet es lediglich, in der Satzung "zusätzliche Leistungen … vorzusehen". Das Gesetz beschränkt die Regelungskompetenz des Satzungsgebers auf "zusätzliche" Leistungen (vgl BSGE 117, 236 = SozR 4-2500 § 11 Nr 2, RdNr 12). Es ermächtigt nicht dazu, zusätzliche Leistungen statusabhängig nur für den Teil der Versicherten vorzusehen, der seine Mitgliedschaft nicht gekündigt hat. Die Ausgestaltung der Leistungen hat vielmehr sachbezogen zu erfolgen. In diesem Sinne sieht § 11 Abs 6 S 2 SGB V in Einklang mit § 194 Abs 1 Nr 3 SGB V vor, dass die Satzung "insbesondere die Art, die Dauer und den Umfang" der zusätzlichen Leistung bestimmen muss. Die "Dauer (…) der Leistung" betrifft hierbei ihren zeitlichen Umfang. Die...

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