Urteil Nr. B 1 KR 37/20 R des Bundessozialgericht, 2021-05-18

Judgment Date18 Mayo 2021
ECLIDE:BSG:2021:180521UB1KR3720R0
Judgement NumberB 1 KR 37/20 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Krankenversicherung - Krankenhausvergütung - nachträgliche Rechnungskorrektur durch den Krankenhausträger - materielle Präklusion in § 7 Absatz 5 PrüfvVbg - kein Ausschluss von Korrekturen oder Ergänzungen bei Umsetzung des durch den MDK ermittelten Prüfergebnisses
Leitsätze

Eine materielle Präklusion ist mit dem Regelungszweck der 2016 zwischen dem Spitzenverband Bund der Krankenkassen und der Deutschen Krankenhausgesellschaft geschlossenen Prüfverfahrensvereinbarung nicht vereinbar, wenn das Krankenhaus in Umsetzung des durch den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) ermittelten Prüfergebnisses Daten nach Abschluss der MDK-Prüfung korrigiert oder ergänzt.

Tenor

Die Revision der Beklagten gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 10. September 2020 wird zurückgewiesen.

Die Beklagte trägt auch die Kosten des Revisionsverfahrens.

Der Streitwert für das Revisionsverfahren wird auf 2503,47 Euro festgesetzt.

Tatbestand

Die Beteiligten streiten über die Vergütung stationärer Krankenhausbehandlung.

Die Klägerin, Trägerin eines nach § 108 SGB V zugelassenen Krankenhauses (nachfolgend: Krankenhaus), behandelte die bei der beklagten Krankenkasse (KK) Versicherte vollstationär vom 22.6. bis 2.7.2017 und berechnete hierfür 3232,20 Euro (Schlussrechnung vom 17.7.2017; Fallpauschale DRG> X05B). Sie kodierte dazu als Hauptdiagnose nach dem im Jahr 2017 geltenden ICD-10-GM T14.1. Die KK beglich die Rechnung vollständig und beauftragte den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) mit der Überprüfung, ob das Überschreiten der oberen Grenzverweildauer medizinisch begründet und die Hauptdiagnose korrekt kodiert worden sei. Der MDK kam zum Ergebnis, als Hauptdiagnose sei nicht T14.1, sondern T79.3 zu kodieren. Dies führe zur DRG T01C, wodurch ein Überschreiten der oberen Grenzverweildauer nicht mehr vorliege (Stellungnahme vom 17.11.2017). Mit Schlussrechnung vom 23.11.2017 änderte das Krankenhaus seine ursprüngliche Abrechnung in Umsetzung der MDK-Stellungnahme, berechnete unter Berücksichtigung der Hauptdiagnose T79.3 nunmehr DRG T01C (5735,67 Euro) und forderte von der KK die Zahlung weiterer 2503,47 Euro. Diese verweigerte die Zahlung: Die Nachforderung sei nach § 7 Abs 5 Satz 3 der Vereinbarung über das Nähere zum Prüfverfahren nach § 275 Absatz 1c SGB V vom 3.2.2016 (Prüfverfahrensvereinbarung - PrüfvV 2016) iVm § 17c Abs 2 Krankenhausfinanzierungsgesetz (KHG) ausgeschlossen.

Das SG hat der Klage auf Zahlung von 2503,47 Euro nebst Zinsen stattgegeben (Urteil vom 25.1.2019). Das LSG hat die Berufung der KK zurückgewiesen: Es sei unstreitig, dass die stationäre Behandlung der Versicherten richtigerweise unter Kodierung der Hauptdiagnose T79.3 nach der DRG T01C abzurechnen sei. Die sich dadurch ergebende Nachforderung iH von 2503,47 Euro sei weder verjährt noch verwirkt und auch nicht nach § 7 Abs 5 PrüfvV 2016 ausgeschlossen. Die Vorschrift regle keine materiell-rechtliche Ausschlussfrist (Urteil vom 10.9.2020).

Die KK rügt mit ihrer Revision sinngemäß die Verletzung von § 12 Abs 1, § 275 Abs 1 Satz 1 Nr 1 und Abs 1c SGB V aF sowie von § 17c Abs 2 KHG iVm § 7 Abs 5 PrüfvV 2016. § 7 Abs 5 PrüfvV 2016 schließe als materiell-rechtliche Ausschlussfrist eine Rechnungskorrektur nach Abschluss der MDK-Prüfung aus. Die Auslegung des LSG führte im Ergebnis dazu, dass der Verstoß gegen § 7 Abs 5 PrüfvV 2016 keine negativen Konsequenzen für das Krankenhaus hätte. Im Übrigen sei eine allein auf dem Prüfergebnis des MDK beruhende erlöserhöhende Datenänderung des Krankenhauses treuwidrig.

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Bayerischen Landessozialgerichts vom 10. September 2020 und des Sozialgerichts Augsburg vom 25. Januar 2019 aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angefochtene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die Revision der beklagten KK ist unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG). Zu Recht hat das LSG ihre Berufung zurückgewiesen.

Die auf Zahlung höherer Krankenhausvergütung gerichtete echte Leistungsklage ist in dem hier bestehenden Gleichordnungsverhältnis zwischen klagendem Krankenhausträger und beklagter KK gemäß § 54 Abs 5 SGG zulässig (stRspr; vgl zB BSG vom 30.6.2009 - B 1 KR 24/08 R - BSGE 104, 15 = SozR 4-2500 § 109 Nr 17, RdNr 12 mwN). Sie ist auch begründet.

Das klagende Krankenhaus hatte im Juli 2017 bereits 3232,20 Euro für die Behandlung der Versicherten abgerechnet. Es durfte gleichwohl seine Abrechnung im November 2017 ändern und weitere 2503,47 Euro von der KK nebst Zinsen nachfordern. Dieser Anspruch auf weitere Vergütung für die stationäre Behandlung des Versicherten ist entstanden (dazu 1.). Der Anspruch ist weder - wie die KK meint - infolge einer materiell-rechtlichen Ausschlussfrist erloschen noch steht seiner Durchsetzung eine sonstige Einwendung entgegen (dazu 2.). Dem Krankenhaus steht auch der vom SG tenorierte Zinsanspruch zu (dazu 3.).

1. Die Voraussetzungen des Anspruchs des Krankenhauses auf Zahlung weiterer 2503,47 Euro Vergütung für die Behandlung der Versicherten im Jahr 2017 sind erfüllt. Dem Krankenhaus stand dem Grunde nach ein Vergütungsanspruch für die unstreitig erforderliche stationäre Krankenhausbehandlung der Versicherten zu (vgl zu den Grundvoraussetzungen des Vergütungsanspruchs BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 8/11 R - BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 13, 15 mwN; BSG vom 19.3.2020 - B 1 KR 22/18 R - juris RdNr 11 mwN; zum rechtlichen Rahmen der Fallpauschalenvergütung, insbesondere des Groupierungsvorgangs und zur Rechtsqualität der Fallpauschalenvereinbarung vgl BSG vom 8.11.2011 - B 1 KR 8/11 R - BSGE 109, 236 = SozR 4-5560 § 17b Nr 2, RdNr 15 ff).

Es ist zwischen den Beteiligten nicht streitig, dass die Krankenhausvergütung für die Behandlung der Versicherten unter Berücksichtigung von T79.3 als Hauptdiagnose richtigerweise nach der DRG T01C zu vergüten ist und sich daraus ein Vergütungsanspruch von insgesamt 5735,67 Euro ergibt. Dieser übereinstimmende, auch vom LSG als zutreffend angesehene Beteiligtenvortrag wird vom Senat zugrunde gelegt (stRspr; vgl zur Zulässigkeit dieses Vorgehens zB BSG vom 26.5.2020 - B 1 KR 26/18 R - juris RdNr 11 mwN). Da die KK bisher nur 3232,20 Euro zahlte, verbleibt ein bislang nicht erfüllter Restvergütungsanspruch auf 2503,47 Euro.

2. Das Krankenhaus durfte diesen Restvergütungsanspruch auch fällig stellen und hierzu seine Abrechnung im November 2017 korrigieren. Es durfte die Hauptdiagnose T79.3 nachkodieren und die hierdurch angesteuerte DRG T79.3 mit insgesamt 5735,67 Euro auch nach Abschluss des von der KK eingeleiteten Prüfverfahrens dieser in Rechnung stellen. Der Anspruch auf den Restbetrag iH von 2503,47 Euro ist nicht nach dem hier zeitlich anwendbaren § 7 Abs 5 PrüfvV 2016 (dazu a) ausgeschlossen. § 7 Abs 5 PrüfvV 2016 regelt keine materielle Ausschlussfrist, sondern eine materielle Präklusion (dazu b). Die Regelung schließt Korrekturen in Anpassung an das MDK-Prüfergebnis jedoch nicht aus (dazu c). Der Anspruch des Krankenhauses auf Zahlung weiterer 2503,47 Euro ist auch nicht nach § 69 Abs 1 Satz 3 SGB V iVm § 242 BGB verwirkt oder sonst ausgeschlossen (dazu d).

a) § 7 Abs 5 PrüfvV 2016 ist zeitlich auf die im Jahr 2017 durchgeführte Krankenhausbehandlung des Versicherten anwendbar. Die mit Wirkung zum 1.1.2017 aufgrund der Ermächtigung des § 17c Abs 2 KHG (idF des Gesetzes zur Beseitigung sozialer Überforderung bei Beitragsschulden in der Krankenversicherung vom 15.7.2013, BGBl I 2423) in Kraft getretene und später gekündigte PrüfvV 2016 erfasst Überprüfungen bei Versicherten, die ab dem 1.1.2017 aufgenommen wurden (§ 13 Abs 1 PrüfvV 2016; für Krankenhausaufnahmen vor dem 1.1.2017 galt die PrüfvV 2014; vgl BSG vom 30.7.2019 - B 1 KR 31/18 R - BSGE 129, 1 = SozR 4-7610 § 366 Nr 2, RdNr 14).

§ 17c Abs 2a Satz 1 KHG (idF des Gesetzes für bessere und unabhängigere Prüfungen MDK-Reformgesetz> vom 14.12.2019, BGBl I 2789, mit Wirkung vom 1.1.2020, Art 15 Abs 1 MDK-Reformgesetz; zu den Grundsätzen des intertemporalen Sozialrechts vgl BSG vom 23.5.2017 - B 1 KR 24/16 R - SozR 4-2500 § 301 Nr 8 RdNr 32 mwN), wonach eine Korrektur der an die KK übermittelten Abrechnung durch das Krankenhaus grundsätzlich ausgeschlossen ist, ist jedenfalls nicht rückwirkend auf Sachverhalte anzuwenden, bei denen das Krankenhaus - wie hier - vor Inkrafttreten der Regelung wirksam die Abrechnung korrigiert hat.

b) § 7 Abs 5 PrüfvV 2016 bewirkt eine materielle Präklusionsregelung mit der Rechtsfolge, dass Änderungen zugunsten des vom Krankenhaus zu Abrechnungszwecken an die KK übermittelten Datensatzes nach Ablauf der in der PrüfvV geregelten Änderungsfristen unzulässig sind, soweit der Datensatz Gegenstand des Prüfverfahrens geworden ist. Änderungen des MDK-geprüften Teils des Datensatzes nach § 301 SGB V außerhalb der in § 7 Abs 5 PrüfvV 2016 geregelten Änderungsmöglichkeiten sind - auch mit Wirkung für ein ggf nachfolgendes Gerichtsverfahren - unzulässig. Der Vergütungsanspruch des Krankenhauses kann nicht erfolgreich auf Grundlage von neuen (geänderten oder ergänzten) Daten durchgesetzt werden, deren Übermittlung unzulässig ist.

Im Gegensatz zu einer den Anspruch ganz oder teilweise allein durch Zeitablauf ausschließenden Regelung des materiellen Rechts, die den Verlust einer materiell-rechtlichen Anspruchsposition zur Folge hat (materiell-rechtliche Ausschlussfrist), geht nach § 7 Abs 5 Satz 1 bis 4 PrüfvV 2016 der Anspruch auf die weitere Vergütung nicht allein wegen des Fristablaufs unter (zu Begriff und Wirkung materiell-rechtlicher Ausschlussfristen vgl BSG vom 13.11.2012 - B 1 KR 27/11 R - BSGE 112, 156 = SozR 4-2500 § 114 Nr 1 = juris RdNr 35; BGH vom 29.4.2020 - VIII ZR 355/18 - NJW 2020, 1947, RdNr 21; BGH vom 1.9.2020 - EnVR 104/18 - WM 2021, 96, RdNr 16 mwN; BVerwG vom 22.10.1993 - 6 C 10/92 - Buchholz 421 Kultur- und Schulwesen Nr 111 = juris RdNr 16 mwN; BAG vom 3.12.2019 - 9 AZR 95/19 - AP Nr 107 zu § 1 TVG - Tarifverträge:...

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