Urteil Nr. B 13 R 10/18 R des Bundessozialgericht, 2020-05-20

Judgment Date20 Mayo 2020
ECLIDE:BSG:2020:200520UB13R1018R0
Judgement NumberB 13 R 10/18 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Keine vorzeitige Inanspruchnahme einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte aus der gesetzlichen Rentenversicherung - Verfassungsmäßigkeit
Leitsätze

Altersrente für besonders langjährig Versicherte kann nicht vorzeitig in Anspruch genommen werden.

Tenor

Die Revision des Klägers gegen das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. Juni 2018 wird zurückgewiesen.

Die Beteiligten haben einander auch für das Revisionsverfahren keine außergerichtlichen Kosten zu erstatten.

Tatbestand

Der Kläger begehrt anstelle der ihm bereits bewilligten Altersrente für langjährig Versicherte die Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte.

Der 1953 geborene Kläger schloss 2002 mit seinem damaligen Arbeitgeber eine Vereinbarung über Altersteilzeitarbeit iS der §§ 2 und 3 Abs 1 Nr 1 Altersteilzeitgesetz (AltTZG) ab. Die Altersteilzeitarbeit begann am 1.4.2008 und endete mit dem 31.3.2015. Bereits am 27.1.2015 beantragte der Kläger bei der Beklagten für die Zeit ab dem 1.4.2015 (Monat nach der Vollendung des 62. Lebensjahres) sowohl eine Altersrente für langjährig Versicherte als auch eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte. Zu diesem Zeitpunkt erfüllte er die Wartezeit von 35 Jahren und auch diejenige von 45 Jahren. Die Beklagte bewilligte dem Kläger ab dem 1.4.2015 eine Altersrente für langjährig Versicherte. Bei der Berechnung des Monatsbetrages der Rente berücksichtigte sie einen Zugangsfaktor von 0,892 wegen vorzeitiger Inanspruchnahme um 36 Kalendermonate (Bescheid vom 18.2.2015). Mit seinem Widerspruch machte der Kläger geltend, er habe von einer - seinerzeit noch möglichen - Anpassung der Altersteilzeitarbeitsvereinbarung abgesehen. Denn als die Altersgrenze für die vorzeitige Inanspruchnahme einer Altersrente für langjährig Versicherte wieder auf 63 Jahre erhöht worden sei, habe der Gesetzgeber gleichzeitig die ihn begünstigenden Vertrauensschutzregelungen in § 236 Abs 3 SGB VI eingeführt. Danach sei für ihn weiterhin eine Altersgrenze von 62 Jahren maßgeblich. Die inzwischen eingeführte Altersrente für besonders langjährig Versicherte könne er zwar ab Vollendung des 63. Lebensjahres und 2 Monaten "abschlagsfrei" in Anspruch nehmen. Allerdings sei anders als für den von den Vertrauensschutzregelungen in § 236 Abs 3 SGB VI erfassten Personenkreis keine vorzeitige Inanspruchnahme der Rente für besonders langjährig Versicherte vorgesehen. Das sei eine verfassungswidrige Schlechterstellung. Mit Schreiben vom 24.3.2015 teilte die Beklagte ihm mit, eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte könne er erst ab dem 1.6.2016 in Anspruch nehmen, eine Vertrauensschutzregelung sei insoweit nicht vorgesehen. Den Widerspruch des Klägers wies sie zurück (Widerspruchsbescheid vom 6.7.2015).

Das SG hat die Klage abgewiesen (Gerichtsbescheid vom 28.11.2017). Mit der dagegen gerichteten Berufung hat der Kläger die Verurteilung der Beklagten zur Gewährung einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab dem 1.4.2015 begehrt. Das LSG hat die Berufung dem Berichterstatter übertragen (Beschluss vom 15.3.2018), der sie gemeinsam mit den ehrenamtlichen Richtern als unbegründet zurückgewiesen und zugleich die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen hat (Urteil vom 21.6.2018). Zur Urteilsbegründung wird ausgeführt, der Kläger könne keine Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab dem 1.4.2015 unter Berücksichtigung eines verminderten Zugangsfaktors wegen vorzeitiger Inanspruchnahme um 14 Kalendermonate beanspruchen, weil das Gesetz bei dieser Rentenart eine vorzeitige Inanspruchnahme nicht vorsehe. Der Antrag des Klägers ziele allerdings in erster Linie darauf, bei Berechnung der ihm gewährten Altersrente für langjährig Versicherte einen höheren Zugangsfaktor zugrunde zu legen. Die Beklagte habe ihm aber zu Recht ab dem 1.4.2015 eine Altersrente für langjährig Versicherte unter Berücksichtigung eines um 0,108 verminderten Zugangsfaktors bewilligt. Das entspreche den gesetzlichen Vorgaben, denn der Kläger nehme diese Rente um 36 Monate vorzeitig in Anspruch. Die gesetzlichen Regelungen seien auch nach verfassungsrechtlichen Gesichtspunkten nicht zu beanstanden. Ein notwendig zu schützendes Vertrauen liege nicht vor, denn der Kläger habe bei der Umsetzung des Altersrentenantrages genau das erhalten, was er bei Abschluss der Altersteilzeitvereinbarung erwarten durfte. Dass er sich nach seinem Vorbringen im Berufungsverfahren faktisch nicht in der Lage gesehen habe, seinen Lebensunterhalt bis zum gesetzlich vorgesehenen Beginn seiner Altersrente für besonders langjährig Versicherte sicherzustellen, begründe keine Vertrauensverletzung. Der Gesetzgeber sei nicht verpflichtet, für alle Rentenarten die Möglichkeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme vorzusehen. Ebenso wenig müsse für den Kläger eine Rente vorgesehen werden, die die Vorteile einer Altersrente für langjährig Versicherte - Möglichkeit einer vorzeitigen Inanspruchnahme ab Vollendung des 62. Lebensjahres - mit denjenigen einer Altersrente für besonders langjährig Versicherte - ungeminderter Zugangsfaktor - kombiniere. Ein Verstoß gegen das Gleichbehandlungsgebot liege nicht vor, denn die Vereinbarung von Altersteilzeitarbeit sei kein so wesentliches Unterscheidungsmerkmal, als dass dafür eine spezielle Regelung hätte vorgesehen werden müssen.

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung von Art 3 Abs 1 GG. Er sieht eine gleichheitswidrige Ungleichbehandlung darin, eine Altersrente für langjährig Versicherte vorzeitig in Anspruch nehmen zu können, nicht aber eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte. Es sei "systemwidrig", wenn der Gesetzgeber in § 236 SGB VI Vertrauensschutzregelungen normiere, nicht aber in § 236b SGB VI. Zudem macht er sinngemäß eine sachwidrige Gleichbehandlung geltend, indem er vorbringt, ihm dürfe eine vorzeitige Inanspruchnahme der Altersrente für besonders langjährige Versicherte nicht verwehrt werden, weil er vor dem 1.1.1955 geboren sei und vor dem 1.1.2007 Altersteilzeitarbeit vereinbart habe. Damit gehöre er zu einem Personenkreis, für den die Vertrauensschutzregelungen in § 236 SGB VI gelten würden.

Der Kläger beantragt,
das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 21. Juni 2018, den Gerichtsbescheid des Sozialgerichts Würzburg vom 28. November 2017, den Bescheid der Beklagten vom 24. März 2015 und insoweit auch den Widerspruchsbescheid vom 6. Juli 2015 aufzuheben sowie die Beklagte zu verurteilen, ihm eine Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab dem 1.4.2015 unter Berücksichtigung eines Zugangsfaktors von 0,958 zu gewähren.

Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

Sie hält die angegriffene Entscheidung für zutreffend.

Entscheidungsgründe

Die Revision ist zurückzuweisen. Sie ist zwar zulässig, jedoch unbegründet (§ 170 Abs 1 Satz 1 SGG).

A. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist neben den vorinstanzlichen Entscheidungen das Schreiben der Beklagten vom 24.3.2015 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 6.7.2015. Dieses ist aus der maßgeblichen Sicht eines verständigen Empfängers, der die Zusammenhänge berücksichtigt, welche die Behörde nach ihrem wirklichen Willen (§ 133 BGB) erkennbar in ihre Entscheidung einbezogen hat (vgl zu diesem "Empfängerhorizont" etwa BSG Urteil vom 29.1.2008 - B 5a/5 R 20/06 R - BSGE 100, 1 = SozR 4-3250 § 33 Nr 1, RdNr 11; BSG Urteil vom 21.9.2010 - B 2 U 25/09 R - juris RdNr 14; jeweils mwN), als Verwaltungsakt mit Regelungscharakter iS von § 31 Satz 1 SGB X zu werten, durch den die Beklagte den vom Kläger geltend gemachten Anspruch auf Altersrente für besonders langjährig Versicherte ab dem 1.4.2015 ablehnte.

B. An einer Sachentscheidung ist der Senat nicht gehindert. Zwar hat das LSG nach Erlass eines Übertragungsbeschlusses nach § 153 Abs 5 SGG in der Besetzung mit dem Berichterstatter und den ehrenamtlichen Richtern ("kleiner Senat") über die Rechtssache des Klägers entschieden und ihr gleichzeitig grundsätzliche Bedeutung beigemessen. Hierin liegt jedoch keine Verletzung des grundrechtsgleichen Rechts auf den gesetzlichen Richter (Art 101 Abs 1 Satz 2 GG). Eine Übertragung zur Entscheidung durch den Berichterstatter unter Mitwirkung der ehrenamtlichen Richter ist selbst in Rechtssachen von grundsätzlicher Bedeutung nicht von vorneherein ausgeschlossen (BSG Urteil vom 9.3.2016 - B 14 AS 20/15 R - BSGE 121, 55 = SozR 4-4200 § 43 Nr 1, RdNr 13; BSG Urteil vom 21.9.2017 - B 8 SO 3/16 R - SozR 4-1500 § 153 Nr 16 RdNr 14; BSG Urteil vom 27.6.2019 - B 11 AL 8/18 R - zur Veröffentlichung in SozR 4-4300 § 144 Nr 27 RdNr 12 vorgesehen; anders - regelmäßig ein absoluter Revisionsgrund - bei Entscheidungen "am Senat vorbei" durch den sog konsentierten Einzelrichter nach § 155 Abs 3 und 4 SGG unter Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung BSG Urteil vom 8.11.2007 - B 9/9a SB 3/06 R - BSGE 99, 189 = SozR 4-1500 § 155 Nr 2, RdNr 11 ff; Senatsurteil vom 7.8.2014 - B 13 R 37/13 R - juris RdNr 14 ff; BSG Urteil vom 29.1.2019 - B 2 U 5/18 R - juris RdNr 15; vgl aber BSG Beschluss vom 31.8.2011 - GS 2/10 - BSGE 109, 81 = SozR 4-1200 § 52 Nr 4, RdNr 7 f zu hierzu möglichen Ausnahmen; kritisch BSG Urteil vom 12.12.2018 - B 6 KA 50/17 R - SozR 4-2500 § 95 Nr 35 RdNr 19 f, auch zur Veröffentlichung in BSGE vorgesehen). § 153 Abs 5 SGG verlangt nur, dass das SG - wie vorliegend - durch Gerichtsbescheid entschieden hat, nicht dagegen, dass die Voraussetzungen für den Erlass eines Gerichtsbescheides (vgl § 105 Abs 1 Satz 1 SGG) tatsächlich vorgelegen haben. Anders als die vergleichbare Regelung des § 6 Abs 1 VwGO enthält § 153 Abs 5 SGG auch keine besonderen Anforderungen an den Umfang oder den Schwierigkeitsgrad des für eine Übertragung geeigneten Verfahrens, sondern überantwortet diese Entscheidung dem Senat als berufsrichterlichem Kollegium (vgl BR-Drucks 820/07 S 28 zu Nr 26), ohne die Möglichkeit einer Rückübertragung auf den Senat ausdrücklich zu regeln (BSG Urteil vom 9.3.2016 - B 14...

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