Urteil Nr. B 5 RE 2/19 R des Bundessozialgericht, 2020-02-26

Judgment Date26 Febrero 2020
ECLIDE:BSG:2020:260220UB5RE219R0
Judgement NumberB 5 RE 2/19 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Möglichkeit der rückwirkenden Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für Syndikusanwälte nach § 231 Abs 4b Satz 1 und 2 SGB VI bei nur freiwilliger Mitgliedschaft im berufsständischen Versorgungswerk - Verfassungsmäßigkeit
Leitsätze

1. Von der Rentenversicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt kann nach dem ab 1.1.2016 geltenden Recht rückwirkend vom Beginn dieser Beschäftigung auch befreit werden, wer nur freiwilliges Mitglied im berufsständischen Versorgungswerk war.

2. Die Rückwirkung einer Befreiung für eine davor ausgeübte Beschäftigung erfordert die Pflichtmitgliedschaft.

Tenor

Die Revisionen des Klägers und der Beklagten gegen das Urteil des Hessischen Landessozialgerichts vom 14. Februar 2019 werden zurückgewiesen.

Außergerichtliche Kosten sind für das Revisionsverfahren nicht zu erstatten.

Tatbestand

Zwischen den Beteiligten ist streitig die Rückwirkung der Befreiung des Klägers von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung als Syndikusrechtsanwalt.

Der Kläger war zunächst als Rechtsanwalt zugelassen und Pflichtmitglied der Rechtsanwaltskammer Frankfurt am Main sowie des zu 3. beigeladenen Versorgungswerks. Auf seinen Antrag befreite die Beklagte ihn mit Bescheid vom 14.9.2012 für eine Tätigkeit als Rechtsanwalt bei der Beigeladenen zu 2. von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung ab dem 31.5.2012 (Beginn der Pflichtmitgliedschaft in der Versorgungseinrichtung und der Berufskammer). Ab dem 1.7.2014 war der Kläger bei der Beigeladenen zu 1. als Compliance Generalist Senior Professional tätig. Nach den Senatsurteilen vom 3.4.2014 (B 5 RE 9/14 R ua), wonach Syndikusrechtsanwälten kein Recht auf Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zustand, verzichtete der Kläger mit Schreiben an die Rechtsanwaltskammer vom 16.9.2014 auf seine Zulassung zur Rechtsanwaltschaft. Diese wurde am 23.9.2014 widerrufen und der Kläger nur noch als freiwilliges Mitglied des Beigeladenen zu 3. geführt.

Am 16.2.2016 nahm der Kläger erneut eine Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2. auf, und zwar als Consultant Compliance Legal & Compliance. Auf seinen Antrag vom 18.3.2016 ließ die Rechtsanwaltskammer Frankfurt am Main den Kläger als Syndikusrechtsanwalt zu (Bescheid vom 31.5.2016). Mit Bescheid vom 10.8.2016 befreite die Beklagte den Kläger für die Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 2. von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für die Zeit ab dem 30.6.2016 (Aushändigung der Urkunde über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft als Syndikusrechtsanwalt). Mit Bescheid vom 22.11.2016 erteilte die Beklagte dem Kläger die Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für die Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 1. für die Zeit vom 1.7.2014 bis 23.9.2014. Die vom Kläger am 15.2.2016 begehrte Rückwirkung der Befreiung für die Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 1. für den Zeitraum 24.9.2014 bis 15.2.2016 und für die Beschäftigung bei der Beigeladenen zu 2. für den Zeitraum vom 16.2.2016 bis 29.6.2016 lehnte die Beklagte mit weiterem Bescheid vom 22.11.2016 ab. Zur Begründung führte sie aus, die Voraussetzungen für eine rückwirkende Befreiung lägen für diese Zeiträume nicht vor, weil der Kläger infolge des Verzichts auf seine Zulassung nicht Pflichtmitglied in der Rechtsanwaltskammer gewesen sei.

Mit dieser Begründung wies die Beklagte auch den Widerspruch des Klägers gegen den Bescheid vom 22.11.2016 zurück (Widerspruchsbescheid vom 18.5.2017). Durch die rückwirkende Befreiung von der gesetzlichen Rentenversicherungspflicht habe eine erfolgte Beitragszahlung zu den berufsständischen Versorgungseinrichtungen der Rechtsanwälte legalisiert und der Tatsache Rechnung getragen werden sollen, dass nach der Rechtsprechung des BSG die Möglichkeit zur Befreiung für Syndikusrechtsanwälte vorübergehend nicht gegeben gewesen sei. Nach der Gesetzesbegründung betreffe die Regelung zur rückwirkenden Befreiung nur diejenigen Personen, die für ihre zum Zeitpunkt der Entscheidung am 3.4.2014 ausgeübten Beschäftigungen keinen gültigen Befreiungsbescheid besessen hätten, stets Pflichtmitglieder einer berufsständischen Kammer und der berufsständischen Versorgungseinrichtung gewesen und nunmehr als Syndikusrechtsanwälte befreiungsfähig seien.

Das SG hat den Bescheid vom 22.11.2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18.5.2017 aufgehoben und entschieden: "Der Kläger wird auch im Zeitraum vom 16.2.2016 bis 29.6.2016 nach § 231 Abs 4b, 4c SGB VI von der Versicherungspflicht befreit". § 231 Abs 4b Satz 1 SGB VI fordere lediglich einen entsprechenden Antrag und eine erteilte Befreiung von der Versicherungspflicht als Syndikusrechtsanwalt. Auf das Bestehen einer Pflichtmitgliedschaft in der berufsständischen Kammer als Rechtsanwalt komme es nicht an. Eine Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für den früheren Zeitraum ab 24.9.2014 scheitere nach § 231 Abs 4b Satz 2 SGB VI daran, dass der Kläger in dieser Zeit nicht Pflichtmitglied, sondern nur freiwilliges Mitglied eines berufsständischen Versorgungswerks gewesen sei. Die Pflichtmitgliedschaft könne nicht über § 231 Abs 4c SGB VI fingiert werden (Urteil vom 25.6.2018).

Dagegen haben der Kläger und die Beklagte Berufung eingelegt. Das LSG hat das Urteil des SG geändert und wie folgt entschieden: "Unter entsprechender Abänderung des Bescheids der Beklagten vom 22. November 2016 in Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Mai 2017 wird die Beklagte verurteilt, den Kläger für die Zeit vom 16. Februar 2016 bis 29. Juni 2016 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen". Die weitergehenden Berufungen hat das LSG zurückgewiesen. Auch das LSG hat einen Anspruch des Klägers auf Erteilung einer rückwirkenden Befreiung von der Rentenversicherungspflicht für den Zeitraum vom 16.2.2016 bis zum 29.6.2016 bejaht und dafür eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk als nicht erforderlich angesehen. Es hat sich auf den Gesetzeswortlaut gestützt und auch der Gesetzesbegründung kein anderes Ergebnis entnommen. Dagegen hat das LSG einen Befreiungsanspruch für die davor liegende Beschäftigung im Zeitraum vom 24.9.2014 bis zum 15.2.2016 verneint, weil hierfür die freiwillige Mitgliedschaft in einem Versorgungswerk nicht ausreiche. § 231 Abs 4c Satz 1 SGB VI sei nicht einschlägig (Urteil vom 14.2.2019).

Mit seiner Revision rügt der Kläger eine Verletzung von § 231 Abs 4b Satz 2 SGB VI und des allgemeinen Gleichheitssatzes. Die Tatbestandsvoraussetzungen seien auch für eine rückwirkende Befreiung von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung für den Zeitraum vom 24.9.2014 bis zum 15.2.2016 erfüllt. Es bedürfe nach dem Wortlaut des § 231 Abs 4b SGB VI nicht stets einer formalen Pflichtmitgliedschaft in einem Versorgungswerk. Nach den Gesetzesmaterialien sei von einer Pflichtmitgliedschaft auch dann auszugehen, wenn eine formal freiwillig fortgeführte Mitgliedschaft in einem bisher zuständigen Versorgungswerk eine an sich bestehende Pflichtmitgliedschaft in einem neu zuständigen Versorgungswerk ersetzt habe. Auf die Zulassung als Rechtsanwalt sowie eine Pflichtmitgliedschaft könne es bei der rückwirkenden Befreiung nicht ankommen. Würde für die rückwirkende Befreiung eine Pflichtmitgliedschaft vorausgesetzt, könne sich diese nur auf die Tätigkeit als Rechtsanwalt beziehen. Nach dem Zweck der Vorschrift müsse darauf abgestellt werden, ob hypothetisch für die Beschäftigung, für die rückwirkend eine Befreiung beantragt wurde, eine Pflichtmitgliedschaft bestanden hätte. Anderenfalls gehe die Befreiung ins Leere. Der Kläger beruft sich zudem auf Vertrauensschutz und verweist auf ein Rundschreiben der Beklagten vom 12.12.2014 zur Umsetzung der Rechtsprechung des BSG vom 3.4.2014.

Der Kläger beantragt,
die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 14. Februar 2019 und des Sozialgerichts Darmstadt vom 25. Juni 2018 sowie den Bescheid der Beklagten vom 22. November 2016 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 18. Mai 2017 zu ändern und die Beklagte zu verpflichten, ihn rückwirkend auch für seine Tätigkeit bei der Beigeladenen zu 1. für die Zeit vom 24. September 2014 bis 15. Februar 2016 von der Versicherungspflicht in der gesetzlichen Rentenversicherung zu befreien sowie

die Revision der Beklagten zurückzuweisen.

Die Beklagte beantragt,
die Urteile des Hessischen Landessozialgerichts vom 14. Februar 2019 und des Sozialgerichts Darmstadt vom 25. Juni 2018 zu ändern und die Klage in vollem Umfang abzuweisen sowie

die Revision des Klägers zurückzuweisen.

Die Beklagte rügt eine Verletzung von § 231 Abs 4b Satz 1 SGB VI. Die Vorschrift sei geschaffen worden, um den versicherungsrechtlichen "Status Quo" von Personen, die eine anwaltliche Tätigkeit bei einem nichtanwaltlichen Arbeitgeber ausgeübt hätten und nach der Rechtsprechung vom 3.4.2014 nicht mehr von der Rentenversicherungspflicht hätten befreit werden können, weitestgehend wiederherzustellen. Lediglich zur Vermeidung zwischenzeitlicher Versicherungszeiten in der gesetzlichen Rentenversicherung sei die Möglichkeit einer rückwirkenden Befreiung geschaffen worden. Nach der Gesetzesbegründung sei in allen Fällen Voraussetzung, dass während der Beschäftigungen zumindest eine Pflichtmitgliedschaft in einem berufsständischen Versorgungswerk bestanden habe, mithin ein Bezug zur berufsständischen Versorgung. § 231 Abs 4b SGB VI müsse im Kontext mit der zeitgleich eingeführten Regelung in § 286f SGB VI gesehen werden. Sofern ab Aufnahme der...

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