Urteil Nr. B 6 KA 52/17 R des Bundessozialgericht, 2018-12-12

Judgment Date12 Diciembre 2018
ECLIDE:BSG:2018:121218UB6KA5217R0
Judgement NumberB 6 KA 52/17 R
CourtDer Bundessozialgericht (Deutschland)
Tenor

Auf die Revisionen des Klägers und der Beklagten wird das Urteil des Sozialgerichts Marburg vom 31. Mai 2017 wie folgt neu gefasst: Der Bescheid der Beklagten vom 29. Juni 2015 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 4. November 2015 wird aufgehoben, soweit die Zahlungen aus der Erweiterten Honorarverteilung an den Kläger außer mit der allgemeinen Verwaltungskostenumlage auch mit der Sonderumlage zur Finanzierung der ärztlichen Weiterbildung belegt worden sind. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen und die Revision des Klägers zurückgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits tragen der Kläger zu 9/10 und die Beklagte zu 1/10.

Tatbestand

Umstritten sind Zahlungen an den Kläger aus der "Erweiterten Honorarverteilung" für die Zeit vom 1.7.2015 bis 30.6.2016.

Der 1939 geborene Kläger war bis zum 31.10.2002 als Vertragsarzt zugelassen. Danach bezog er auf der Grundlage eines Bescheides der beklagten Kassenärztlichen Vereinigung (KÄV) vom 25.8.2003 Leistungen aus der Erweiterten Honorarverteilung (EHV) mit einem Prozentsatz von 14,7082; ab dem 1.7.2006 beträgt der Anspruchssatz 15,5710 %. Als einzige KÄV in der Bundesrepublik Deutschland gewährleistet die Beklagte im Wege der EHV in begrenztem Umfang auch die Versorgung ehemaliger Vertragsärzte und ihrer Hinterbliebenen. In Hessen wird die Altersversorgung der Vertragsärzte - anders als in allen anderen KÄV-Bezirken - deshalb sowohl über das Versorgungswerk der Ärztekammer Hessen als auch über die KÄV sichergestellt. Nach § 8 des Gesetzes über die KÄV und die KZÄV Hessen (KVHG) sorgt die KÄV Hessen "im Rahmen ihrer Satzung für eine wirtschaftliche Sicherung der invaliden und alten Kassenärzte und Hinterbliebenen von Kassenärzten. Diese Sicherung kann auch durch besondere Honorarverteilungsgrundsätze geregelt werden". Bundesgesetzliche Grundlage für die landesrechtliche Vorschrift des § 8 KVHG ist die nach wie vor geltende Regelung des Art 4 § 1 Abs 2 S 2 des Gesetzes über das Kassenarztrecht (GKAR) vom 17.8.1955 (BGBl I 513). Danach bleiben landesrechtliche Regelungen "über die Altersversorgung der Kassenärzte" unberührt. Diese Vorschrift schützt die bei Inkrafttreten dieses Gesetzes bereits bestehenden Versorgungseinrichtungen von Vertragsärzten (BSG Urteil vom 16.7.2008 - B 6 KA 38/07 R - BSGE 101, 106 = SozR 4-2500 § 85 Nr 43, RdNr 25; Urteil vom 19.2.2014 - B 6 KA 10/13 R - SozR 4-2500 § 85 Nr 79 RdNr 22). Der Landtag des Landes Hessen hat 2009 § 8 KVHG dahin geändert, dass auch Honorareinnahmen der Vertragsärzte für Behandlungen im Rahmen von Selektivverträgen zB nach § 73b SGB V mit Abzügen für die EHV belegt werden dürfen.

Satzungsrechtliche Grundlage der auf § 8 KVHG beruhenden EHV sind die "Grundsätze der Erweiterten Honorarverteilung (GEHV)", die die Vertreterversammlung (VV) der beklagten KÄV beschließt. Diese waren bereits mehrfach Gegenstand der Rechtsprechung des Senats (Urteil vom 24.10.1984 - 6 RKa 25/83 - USK 84267; Urteil vom 9.12.2004 - B 6 KA 44/03 R - BSGE 94, 50 = SozR 4-2500 § 72 Nr 2; Urteil vom 16.7.2008 - B 6 KA 38/07 R - BSGE 101, 106 = SozR 4-2500 § 85 Nr 43; Urteil vom 19.2.2014 - B 6 KA 10/13 R - SozR 4-2500 § 85 Nr 79).

Nachdem der Senat ein wesentliches Element der zum 1.7.2006 neu gefassten GEHV, nämlich den sog Nachhaltigkeitsfaktor nach § 8 GEHV, für rechtswidrig gehalten hatte (Urteil vom 19.2.2014, aaO), hat die beklagte KÄV rückwirkend die GEHV neu gefasst, und zwar in einem ersten Schritt für die Zeit bis zum 30.6.2012 und in einem zweiten Schritt ab dem 1.7.2012. Die zum 1.1.2017 erfolgte Neuregelung ist nicht Verfahrensgegenstand, aber ua zwischen den Beteiligten dieses Verfahrens auch erneut Gegenstand gerichtlicher Auseinandersetzungen vor dem SG Marburg.

Die Beklagte passte mit Bescheid vom 29.6.2015 den Auszahlungspunktwert für die EHV von zuletzt 0,1966 Euro für den hier strittigen Zeitraum auf 0,2294 Euro an und setzte die monatliche EHV-Zahlung für den Kläger auf 2381,40 Euro vor Abzug der Verwaltungskostenumlage fest. Nach der aus systematischen Gründen von der Beklagten vorgenommenen Umwandlung des prozentualen Höchstsatzes von 18 % in die höchste erreichbare Punktzahl von zunächst 12 000 und künftig 14 000 Punkten ergaben sich für den Kläger 10 381 Punkte. Die Multiplikation dieser Punktzahl mit dem (variablen) Punktwert ergibt die monatliche Bruttozahlung.

Dem Bescheid legte die Beklagte die mit Beschlüssen der VV vom 13.12.2014, 14.3. und 30.5.2015 verabschiedeten und durch ein Rundschreiben vom 22.6.2015 veröffentlichten Änderungen der GEHV zugrunde. Danach ist gemäß § 4 Abs 2 GEHV für die Höhe des Anspruchs der Punktwert maßgeblich, der erstmalig für den 1.7.2012 nach der Übergangsbestimmung des § 10 Abs 1 und 2 GEHV festgelegt und nach Abs 4 regelmäßig im Jahresturnus angepasst wird. Für die erstmalige Festlegung des Punktwertes wird in der Übergangsregelung des § 10 Abs 1 GEHV auf § 8 Abs 1 GEHV in der bis zum 30.6.2012 gültigen Fassung Bezug genommen, der allerdings durch die erwähnten Beschlüsse der VV rückwirkend ab dem 1.7.2006 neu gefasst worden ist. Danach werden die für die Finanzierung der festgestellten EHV-Ansprüche notwendigen Mittel durch die Quotierung der im Rahmen der Honorarverteilung vorher festgestellten Punktwerte bereitgestellt. Die Quote darf einen Wert von 5,62 % nicht überschreiten. Die festgestellten Ansprüche beziehen sich dabei auf das jeweils anerkannte durchschnittliche Honorar aus der Behandlung von Versicherten der Primär- und Ersatzkassen gemäß § 3 GEHV. Reichen die erforderlichen Mittel für die Finanzierung der EHV-Ansprüche nicht aus, ist die verbleibende Differenz zu gleichen Teilen durch die aktiven Ärzte und durch die EHV-Empfänger zu tragen (sog paritätischer Defizitausgleich nach § 8 Abs 1 S 4 GEHV in der bis zum 30.6.2012 geltenden Fassung).

Mit seinem Widerspruch machte der Kläger im Wesentlichen geltend: Es sei nicht mit der Rechtsprechung des BSG vereinbar, die Mittel, die zur Verteilung für die EHV zur Verfügung stünden, auf 5,62 % der Honoraransprüche der Vertragsärzte zu deckeln; das BSG habe mehrfach eine Grenze von 6 % als nicht übermäßig belastend für die aktiven Vertragsärzte bezeichnet. Unangemessen sei auch die Umsetzung des paritätischen Defizitausgleichs in § 8 Abs 1 S 4 GEHV. Danach sei - im Ausgangspunkt konsequent - bestimmt, dass dann, wenn bei einem Beitragssatz von 5,62 % die Mittel zur Erfüllung der EHV-Ansprüche auf dem garantierten Mindestniveau nicht ausreichten, die Differenz sowohl von den inaktiven wie von den aktiven Vertragsärzten zu tragen sei. Das sei aber nur vordergründig gerecht, weil die Zahl der ehemaligen Vertragsärzte deutlich niedriger sei als die Zahl der aktiven Ärzte, sodass die kleinere Gruppe durch Einbußen in ihrer Altersversorgung eine höhere Last zu tragen habe als die größere Gruppe aufgrund einer steigenden Belastung der ihnen zufließenden Honorare mit Abzügen. Im Übrigen sei es mit der Neufassung des § 8 KVHG im Jahr 2009 nicht vereinbar, dass Einnahmen aus Selektivverträgen zwar dem Honorarabzug der aktiven Vertragsärzte unterlägen, sich aber nicht unmittelbar auf die Höhe der EHV-Zahlungen auswirkten. Mit der Rechtsprechung des BSG kollidiere weiterhin der Wegfall der Rentengarantie nach § 5 Abs 3 GEHV in der bis zum 30.6.2012 geltenden Fassung. Es sei nicht sichergestellt, dass bei ungünstigen wirtschaftlichen Entwicklungen die Einkünfte der inaktiven Vertragsärzte sich nicht ungebremst negativ entwickeln könnten. In formeller Hinsicht seien die in den Jahren 2014 und 2015 gefassten Korrekturbeschlüsse der VV der Beklagten zur Umsetzung des Urteils des BSG vom 19.2.2014 unwirksam, weil dem 2. stellvertretenden Vorsitzenden des Beirats für die EHV jedenfalls in der entscheidenden Sitzung der VV am 30.5.2015 kein Rederecht gewährt worden sei. Schließlich seien die Verwaltungskostenbeiträge für die Bezieher von EHV-Leistungen zu hoch; es liege auf der Hand, dass die Bezieher von Versorgungsbezügen nicht den gleichen Vorteil von der Tätigkeit der KÄV hätten wie aktive Vertragsärzte.

Nach erfolglosem Widerspruchsverfahren hat das SG, bei dem ursprünglich auch Verfahren des Klägers hinsichtlich früherer Zeitabschnitte (1.7.2007 bis 30.6.2013) anhängig waren, die nunmehr (seit 2014) überwiegend dem Hessischen LSG zur Entscheidung im Berufungsrechtszug vorliegen, die angefochtenen Bescheide aufgehoben und die Beklagte zur Neubescheidung unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts verurteilt (Urteil vom 31.5.2017).

Das SG ist zunächst der Auffassung, die Beklagte hätte den Widerspruch des Klägers nicht insoweit als unzulässig behandeln dürfen, als dieser sich gegen den Wegfall der bis Mitte 2012 normierten Leistungsgarantie in § 5 Abs 3 GEHV gerichtet habe. Der Kläger dürfe geltend machen, dass seine Versorgung dadurch gefährdet werde, auch wenn sich der Wegfall der Garantie im streitbefangenen Zeitraum nicht unmittelbar ausgewirkt habe.

In formeller Hinsicht hat das SG die Beschlüsse der VV aus den Jahren 2014 und 2015 zur Änderung insbesondere des § 8 und des § 5 GEHV für unwirksam gehalten, weil den Vorgaben in § 11d der Satzung der Beklagten hinsichtlich der Beteiligung des Beirats für die EHV nicht entsprochen worden sei. Der 2. stellvertretende Vorsitzende des Beirats und "Sprecher" der ehemaligen Vertragsärzte habe in der Sitzung der VV am 30.5.2015 erst nach Abschluss der eigentlichen Debatte Rederecht erhalten und - nachdem schon alles entschieden gewesen sei - auf einen Redebeitrag verzichtet.

In materieller Hinsicht leide die Neufassung der GEHV in der bis Ende 2016 geltenden Fassung an erheblichen Fehlern zulasten der ehemaligen Vertragsärzte. Die jährliche Anpassung der Punktwerte erfolge gemäß § 4 Abs 4 GEHV nach Maßgabe der Entwicklung der Bezugsgröße für die Sozialversicherung (§ 18 SGB IV). Das sei systemwidrig, weil den Vertragsärzten im Ruhestand nicht lediglich eine Basisabsicherung, sondern eine Teilnahme an der Honorarverteilung zustehe. Zudem sei die Beklagte verpflichtet, die GEHV...

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