Urteil vom 04.04.2012 - BVerwG 4 C 8.09

JurisdictionGermany
Judgment Date04 Abril 2012
Neutral CitationBVerwG 4 C 8.09
ECLIDE:BVerwG:2012:040412U4C8.09.0
CitationBVerwG, Urteil vom 04.04.2012 - 4 C 8.09
Registration Date16 Julio 2013
Applied RulesVwVfG § 37 Abs. 1, §§ 38, 73 Abs. 6, Abs. 8 Satz 1, § 75 Abs. 2 Satz 3,UVPG § 9 Abs. 1 Satz 2,ZPO §§ 412, 560, 580,HLPG § 4 Abs. 1,GG Art. 2 Abs. 2 Satz 1, Art. 3 Abs. 1, Art. 14 Abs. 1 und 3, Art. 76 Abs. 1 Nr. 6, Art. 100 Abs. 1, Art. 103 Abs. 1,22. BImSchV § 3 Abs. 4 und 6,AtomG § 7 Abs. 2 Nr. 3,LEP Hessen 2000; LEP-Änderung 2007,BImSchG § 3 Abs. 1, §§ 5, 6 Abs. 1, §§ 41 ff., 47,FluglärmG § 2 Abs. 2 und 3, § 3 Abs. 1 und 2, § 4 Abs. 2 und 3, §§ 5, 6, 7, 8, 9 Abs. 1, 2, 5 und 6, §§ 10, 13 Abs. 1 Satz 1, § 14,LuftVG §§ 6, 8 Abs. 1 und 4, § 9 Abs. 2, § 10 Abs. 2 Satz 1 Nr. 5 und 6, Abs. 8, § 27a Abs. 2 Satz 2, §§ 27c, 29 Abs. 1 Satz 3, § 29a Abs. 1 Satz 2, § 29b Abs. 1 Satz 2,TA Lärm Nr. 6.1,VwGO § 86 Abs. 1, 2 und 3, § 92 Abs. 3 Satz 1, §§ 93, 98, 99, 108 Abs. 1, §§ 121, 137 Abs. 2, § 138 Nr. 6, § 139 Abs. 3 Satz 4, § 155 Abs. 1, §§ 159, 161 Abs. 2, § 162 Abs. 3, § 173,1. FlugLSV § 2 Abs. 3,BGB §§ 133, 157, 242,16. BImSchV § 2 Abs. 1 Satz 2,ROG § 1 Abs. 1 Satz 2, § 3 Abs. 1 Nr. 2 und 3, § 4 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 und 3
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
Record Number040412U4C8.09.0

BVerwG 4 C 8.09

  • Hessischer VGH - 21.08.2009 - AZ: VGH 11 C 499/08.T

In den Verwaltungsstreitsachen hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 13. und 14. März 2012
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz und Dr. Jannasch,
die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Philipp und
den Richter am Bundesverwaltungsgericht Petz
am 4. April 2012 für Recht erkannt:

  1. Im Umfang der Erledigung wird das Verfahren BVerwG 4 C 1.10 eingestellt.
  2. Auf die Revisionen der Kläger wird das Urteil des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 21. August 2009 geändert.
  3. Der Beklagte wird verpflichtet, über die Zulassung planmäßiger Flugbewegungen zwischen 23.00 und 5.00 Uhr in Teil A II 4.1.2 des Planfeststellungsbeschlusses des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung vom 18. Dezember 2007 sowie über die Zulassung planmäßiger Flugbewegungen zwischen 22.00 und 6.00 Uhr in Teil A II 4.1 Satz 1 des Planfeststellungsbeschlusses, soweit diese durchschnittlich 133 je Nacht, bezogen auf das Kalenderjahr, übersteigen, unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
  4. Auf die Klage der Kläger zu 3 und 4 im Verfahren BVerwG 4 C 6.10 wird der Beklagte verpflichtet, über die Regelung des Schallschutzes in Teil A XI 5.1.3 des Planfeststellungsbeschlusses für die gewerblich genutzten Grundstücke der Kläger unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden.
  5. Soweit der Planfeststellungsbeschluss diesen Verpflichtungen entgegensteht, wird er aufgehoben.
  6. Im Übrigen werden die Klagen abgewiesen.
  7. Die weitergehenden Revisionen der Kläger werden zurückgewiesen. Die Revision des Beklagten wird zurückgewiesen.
  8. Von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten des Beklagten und der Beigeladenen haben die Kläger in den Verfahren BVerwG 4 C 8.09, 4 C 9.09, 4 C 1.10, 4 C 2.10, 4 C 3.10, 4 C 4.10 und 4 C 5.10 - die Kläger im Verfahren BVerwG 4 C 2.10 als Gesamtschuldner - je 3/32 und die Kläger zu 1 und 2 sowie die Kläger zu 3 und 4 im Verfahren BVerwG 4 C 6.10 - jeweils als Gesamtschuldner - je 3/64 zu tragen. Der Beklagte und die Beigeladene haben von den Gerichtskosten und den außergerichtlichen Kosten der Kläger je 1/8 zu tragen.
Gründe I

1 Gegenstand der Verwaltungsstreitverfahren ist der Planfeststellungsbeschluss des Hessischen Ministeriums für Wirtschaft, Verkehr und Landesentwicklung vom 18. Dezember 2007 für den Ausbau des Flughafens Frankfurt Main.

2 Der Planfeststellungsbeschluss regelt die Erweiterung des Flughafens Frankfurt Main durch den Bau einer - mittlerweile errichteten und in Betrieb genommenen - neuen Landebahn nordwestlich des bestehenden Flughafengeländes, die mittels Rollbrücken über die Bundesautobahn A 3 und die ICE-Strecke Köln-Frankfurt an die bestehenden Flugbetriebsflächen angebunden ist, den Bau eines neuen - dritten - Terminals auf dem südöstlichen Flughafengelände sowie ein neu strukturiertes Fracht- und Wartungszentrum im Süden des Flughafens. Der Planfeststellungsbeschluss sieht aus Anlass der Flughafenerweiterung auch den Ausbau von Teilen der umliegenden Autobahnen und Anschlussstellen sowie sonstiger öffentlicher Straßen vor.

3 Das Vorhaben ist für den Prognosehorizont 2020 mit einer Erwartung von 88,6 Mio. Passagieren und 4,6 Mio. t Luftfracht bei 701 000 Flugbewegungen im Jahr ausgelegt. Die Betriebsregelungen sehen unter anderem eine Kontingentierung von - auf das Kalenderjahr bezogen - durchschnittlich 150 planmäßigen Flugbewegungen pro Nacht (22.00 bis 6.00 Uhr) vor, wobei die zwischen 23.00 und 5.00 Uhr (sog. Mediationsnacht) zulässigen Starts und Landungen auf die Zahl von durchschnittlich 17 planmäßigen Flügen begrenzt ist.

4 Das Planfeststellungsverfahren wurde im September 2003 förmlich eingeleitet. Vorausgegangen waren Ende der neunziger Jahre ein Mediationsverfahren sowie ein mit Landesplanerischer Beurteilung vom 10. Juni 2002 abgeschlossenes Raumordnungsverfahren. Anfang des Jahres 2005 lagen die Planunterlagen erstmals öffentlich aus. Gegen den Plan wurden ca. 127 000 Einwendungen erhoben. Nach der Erörterung der erhobenen Einwendungen und der Stellungnahmen der Behörden zu dem Plan in der Zeit von September 2005 bis März 2006 legte die Beigeladene am 12. Februar 2007 geänderte Unterlagen vor, in denen der Prognosehorizont von 2015 auf das Jahr 2020 erstreckt und die Ausbaumaßnahmen im Süden des Flughafens reduziert wurden. Nach Auslegung der geänderten Planunterlagen im März/April 2007 wurden erneut zahlreiche Einwendungen erhoben; diese hat die Planfeststellungsbehörde in Einzelfällen mit den Betroffenen erörtert, aber von der Durchführung eines zweiten Erörterungstermins abgesehen. Nach der zweiten Auslegung stellte die Planfeststellungsbehörde unter Beteiligung der Beigeladenen weitere Ermittlungen zur Vorbereitung der beabsichtigten Zulassung planmäßiger Flugbewegungen in der Mediationsnacht an. Angehört wurden die Kläger hierzu nicht.

5 Gegen den Planfeststellungsbeschluss haben insgesamt 31 Kommunen, ein Naturschutzverein, 14 Unternehmen, die Luftverkehrsdienstleistungen anbieten, einige sonstige Gewerbetreibende und mehr als 200 Privatpersonen Klage erhoben. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Klageverfahren der Kläger als Musterverfahren ausgewählt. Bis zum rechtskräftigen Abschluss der Musterverfahren hat er die übrigen Klageverfahren ausgesetzt.

6 Im erstinstanzlichen Verfahren haben die Kläger die Aufhebung des Planfeststellungsbeschlusses, hilfsweise weitergehende Maßnahmen des aktiven und/oder passiven Schallschutzes wie insbesondere ein ausnahmsloses Verbot planmäßiger Flüge in der Mediationsnacht, eine Flug- oder Lärmkontingentierung sowie weitergehende Entschädigungsleistungen beantragt. Die Kläger im Verfahren BVerwG 4 C 6.10 wenden sich auch gegen die Stichtagsregelung für die Verkehrswertbestimmung zur Bemessung der Übernahme-Entschädigung sowie gegen das Schutzkonzept des Planfeststellungsbeschlusses für gewerbliche Anlagen.

7 Mit Urteil vom 21. August 2009 hat der Verwaltungsgerichtshof den Beklagten verpflichtet, über die Zulassung planmäßiger Flugbewegungen in der Zeit von 23.00 bis 5.00 Uhr und über den Bezugszeitraum für die Zulassung von durchschnittlich 150 planmäßigen Flugbewegungen je Nacht unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts neu zu entscheiden, und den Planfeststellungsbeschluss aufgehoben, soweit er dieser Verpflichtung entgegensteht. Im Übrigen hat er die Klagen abgewiesen. Die Zulassung von 17 planmäßigen Flügen in der Zeit von 23.00 bis 5.00 Uhr sei - so die Begründung des erstinstanzlichen Urteils - wegen Verstoßes gegen das Abwägungsgebot fehlerhaft. Insbesondere genüge sie nicht den besonderen Anforderungen des § 29a Abs. 1 Satz 2 LuftVG an den Nachtlärmschutz. Dessen schützende Wirkung werde durch den Plansatz in Nr. III.1 der Änderung des Landesentwicklungsplans (LEP) Hessen 2000 im Jahr 2007 (im Folgenden: LEP-Änderung 2007), der als grundsätzliches Verbot planmäßiger Flüge in der Mediationsnacht zu verstehen sei, verstärkt. Das auf das Kalenderjahr bezogene Nachtflugkontingent von durchschnittlich 150 Flügen je Nacht sei in sich widersprüchlich und deshalb ebenfalls abwägungsfehlerhaft. Die Betriebsregelungen und Nebenbestimmungen des Planfeststellungsbeschlusses im Übrigen hat der Verwaltungsgerichtshof ebenso unbeanstandet gelassen wie den planfestgestellten Bau einer neuen Landebahn und eines weiteren Terminals.

8 Der Verwaltungsgerichtshof hat die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen. Von dieser Möglichkeit haben sämtliche Kläger sowie der Beklagte Gebrauch gemacht. Die Kläger verfolgen im Revisionsverfahren im Wesentlichen ihre erstinstanzlichen Klageziele weiter. Die Revision des Beklagten zielt auf eine vollständige Klageabweisung. Die Beigeladene unterstützt die Revision des Beklagten nach Antrag und Inhalt.

II

9 Das Verfahren ist in entsprechender Anwendung von § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen, soweit der Beklagte die Beigeladene im Termin zur mündlichen Verhandlung durch Erklärung zu Protokoll verpflichtet hat, an den im Eigentum der Klägerin im Verfahren BVerwG 4 C 1.10 stehenden und im Bereich der Anfluggrundlinien (gemäß dem Protokoll beigefügter Anlage) liegenden Anwesen durch Verklammerung der Dachziegel Schutzvorkehrungen gegen wirbelschleppenbedingte Schäden durchzuführen. Das Verhalten der Klägerin und des Beklagten ist so aufzufassen, als ob sie übereinstimmend beantragt hätten, den Rechtsstreit insoweit für erledigt zu erklären (vgl. BGH, Urteil vom 14. Juli 1956 - III ZR 29/55 - BGHZ 21, 298 ).

10 Die Revisionen der Kläger in den durch Beschluss zur gemeinsamen Verhandlung und Entscheidung verbundenen Verfahren (§ 93 Abs. 1 VwGO) sind zulässig. In allen Verfahren zulässig ist auch die Revision des Beklagten. Entgegen der Behauptung der Klägerin im Verfahren BVerwG 4 C 5.10 hat der Beklagte die von ihm vorgetragene Revisionsbegründung nicht „in vollem Umfang revoziert“. Formal hat der Beklagte Revisionsantrag und -begründung uneingeschränkt aufrechterhalten. Dem Beklagten mangelt es auch nicht an dem für die Durchführung des Revisionsverfahrens erforderlichen Rechtsschutzinteresse, etwa deshalb, weil er - wie die Klägerin meint - sein ursprüngliches Rechtsschutzziel zwischenzeitlich aufgegeben hätte. Die Klägerin räumt selbst ein, der Ministerpräsident des beklagten Landes habe sich dahin geäußert, dass man die erforderlichen juristischen Schritte eingeleitet habe, um möglichst schnell die...

Um weiterzulesen

FORDERN SIE IHR PROBEABO AN

VLEX uses login cookies to provide you with a better browsing experience. If you click on 'Accept' or continue browsing this site we consider that you accept our cookie policy. ACCEPT