Urteil vom 08.09.2020 - BVerwG 2 WD 18.19

Judgment Date08 Septiembre 2020
ECLIDE:BVerwG:2020:080920U2WD18.19.0
Neutral CitationBVerwG 2 WD 18.19
CitationBVerwG, Urteil vom 08.09.2020 - 2 WD 18.19
Registration Date03 Noviembre 2020
Record Number080920U2WD18.19.0
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
Subject MatterBerufungen nach der WDO
Applied RulesGG Art. 2 Abs. 1, Art. 19 Abs. 4, Art. 20 Abs. 3,EMRK Art. 6,BAT § 10,TVÖD § 3 Abs. 2 Satz 1 und 2,StGB § 11 Abs. 1 Nr. 4a, § 331 Abs. 1, § 332 Abs. 1 Satz 1, § 333 Abs. 1 und 3, § 334 Abs. 1 Satz 1,SG §§ 7, 17 Abs. 2 Satz 1 Alt. 2, § 23 Abs. 1,BPersVG § 28 Abs. 1, § 29 Abs. 1 Nr. 3, § 46 Abs. 1 und 3 Satz 1,WDO § 15 Abs. 1, § 17 Abs. 1, § 27 Abs. 1 Satz 1, § 29 Abs. 1 Satz 3, § 30 Abs. 1 Nr. 3, § 38 Abs. 1 und 2, §§ 41, 58 Abs. 7, § 59 Satz 1, § 64 Satz 1 und 2, § 91 Abs. 1 Satz 1, § 94 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2 und 3 Satz 1, § 99 Abs. 1 Satz 2, § 107 Abs. 1, § 108 Abs. 3 Satz 1, § 112 Satz 1, § 115 Abs. 1 Satz 1, § 116 Abs. 1 Satz 3, § 123 Satz 3, § 139 Abs. 2, § 140 Abs. 5 Satz 2,VwVfG § 21,StPO § 43 Abs. 1 Halbs. 1, § 44 Satz 1, § 45 Abs. 2 Satz 3, § 331,VwGO § 55a Abs. 1, 3 und 4,SBG §§ 14, 15 Abs. 2, §§ 19, 59 Satz 1, § 62 Abs. 3 Satz 1 und 2

BVerwG 2 WD 18.19

  • TDG Süd 4. Kammer - 05.06.2019 - AZ: TDG S 4 VL 31/18

In dem gerichtlichen Disziplinarverfahren hat der 2. Wehrdienstsenat des Bundesverwaltungsgerichts in der nichtöffentlichen Hauptverhandlung am 8. September 2020, an der teilgenommen haben:
Vorsitzender Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Häußler,
Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Burmeister,
Richterin am Bundesverwaltungsgericht Dr. Henke,
ehrenamtlicher Richter Oberstleutnant Wierzbicki und
ehrenamtlicher Richter Stabsfeldwebel Nintza,
Leitender Regierungsdirektor ...
als Vertreter des Bundeswehrdisziplinaranwalts,
Rechtsanwalt ...,
als Verteidiger,
Amtsinspektorin ...
als Urkundsbeamtin der Geschäftsstelle
für Recht erkannt:

  1. Die Berufung des früheren Soldaten gegen das Urteil der 4. Kammer des Truppendienstgerichts Süd vom 5. Juni 2019 wird zurückgewiesen.
  2. Die Kosten des Berufungsverfahrens werden dem früheren Soldaten auferlegt, der auch die ihm darin erwachsenen notwendigen Auslagen zu tragen hat.
Gründe I

1 Das Verfahren betrifft die disziplinare Ahndung einer Vorteilsgewährung.

2 1. Der 56-jährige frühere Soldat wurde 1982 Zeit- und 1989 Berufssoldat. Zuletzt wurde er 2006 zum Oberstabsfeldwebel befördert und 2012 an das ... versetzt. Dort war er zunächst Personalratsvorsitzender. Mit rechtskräftigem Urteil vom 12. November 2013 verhängte das Truppendienstgericht gegen ihn wegen eines 2009/2010 begangenen Dienstvergehens ein 42-monatiges Beförderungsverbot nebst Kürzung seiner Dienstbezüge um 1/15.

3 Seit 2016 war der frühere Soldat nur noch Gruppensprecher der Soldaten und stellvertretender Vorsitzender des Personalrats des ..., blieb jedoch von der dienstlichen Tätigkeit vollständig freigestellt. Nachdem wegen des Tatvorwurfs ein neuer Gruppensprecher und neuer stellvertretender Vorsitzender gewählt worden war, wurde er ab dem 5. September 2017 im ... in der Gruppe "..." auf ein dienstpostenähnliches Konstrukt versetzt, bis er mit Ablauf des 30. September 2018 in den Ruhestand trat.

4 Der frühere Soldat ist mit einer nach A 11 besoldeten Beamtin verheiratet und hat fünf Kinder, die zur Schule gehen oder studieren. Sein Ruhegehalt beträgt monatlich etwa 3 630 € netto.

5 2. In dem am 30. April 2018 vom ... des ... eingeleiteten gerichtlichen Disziplinarverfahren wurde der frühere Soldat am 19. Oktober 2018 beim Truppendienstgericht einer vorsätzlichen, zumindest fahrlässigen Verletzung seiner Pflichten zum treuen Dienen und zum innerdienstlichen Wohlverhalten durch folgendes Verhalten angeschuldigt: "Der frühere Soldat hat am 23. Juni 2017 gegen 12:15 Uhr in seinem Büro in ..., ..., in seiner Eigenschaft als Vertreter des Vorsitzenden des Personalrates der ihm unterstellten zivilen Mitarbeiterin und Vertreterin der Arbeitnehmer im Personalrat, Frau ..., einen Umschlag überreicht, in dem sich neben einer Grußkarte auch 250,00 € in bar befanden, obwohl er wusste, zumindest aber hätte wissen können und müssen, dass Frau ... die Annahme von Bargeld untersagt ist und er sie damit in die Gefahr arbeitsrechtlicher Sanktionen brachte."

6 Das Truppendienstgericht hat mit Urteil vom 5. Juni 2019 das Ruhegehalt des früheren Soldaten um 1/20 für die Dauer von 15 Monaten gekürzt. Es hat den ... des ... als zuständige Einleitungsbehörde und den Vorwurf als erwiesen angesehen. Der frühere Soldat habe damit seine ungeachtet der Freistellung von der dienstlichen Tätigkeit geltenden Pflichten zum treuen Dienen und zum innerdienstlichen Wohlverhalten vorsätzlich verletzt. Denn er habe die Regelungen zur Annahme von Belohnungen oder Geschenken in der Zentralen Dienstvorschrift (ZDv) A-1400/7 missachtet und die Mitarbeiterin ... der Gefahr ausgesetzt, arbeitsrechtliche Pflichten zu verletzen.

7 3. Gegen das dem früheren Soldaten am 18. Juni 2019 zugestellte Urteil hat sein Verteidiger am 17. Juli 2019 per E-Mail, dem ein eigenhändig unterzeichneter Berufungsschriftsatz als eingescanntes PDF-Dokument anhing, beim Truppendienstgericht in Absprache mit dessen Geschäftsstelle Berufung eingelegt, weil eine Übermittlung per Telefax gescheitert war. Der Schriftsatz ist dort am 17. Juli 2019 ausgedruckt worden und am 19. Juli 2019 postalisch eingegangen.

8 Zur Begründung seiner unbeschränkten Berufung macht der frühere Soldat im Wesentlichen geltend: Der ... des ..., der zugleich sein nächster Disziplinarvorgesetzter gewesen sei, habe kein gerichtliches Disziplinarverfahren gegen ihn einleiten dürfen, weil Dienstvergehen von Soldatenvertretern im Personalrat nicht durch den nächsten Disziplinarvorgesetzten geahndet werden dürften. Eine Disziplinarmaßnahme könne nicht verhängt werden, da § 28 BPersVG für Pflichtverletzungen von Personalratsmitgliedern eine besondere Sanktion vorsehe. Es liege kein innerdienstliches Fehlverhalten vor. Denn eine Personalratstätigkeit sei keine Dienstausübung. Er habe spontan ins Portemonnaie gegriffen und "aus dem Bauch heraus" gehandelt, um sich bei Frau ... für die gute Vorbereitung einer von ihm kurzfristig als Stellvertreter des erkrankten Personalratsvorsitzenden durchgeführten Personalversammlung zu bedanken. Der Personalratsvorsitzende habe angedacht, sein Amt als Gruppensprecher der Arbeitnehmer und den Vorsitz niederzulegen. In dem Fall hätte er sich Frau ..., welche die Listenführerin gewesen sei, gut als Gruppensprecherin vorstellen können. Dies habe aber nichts mit der Geldübergabe zu tun gehabt. Er habe wegen seiner damals kurzen Restdienstzeit auch kein Interesse daran gehabt, dass Frau ... ihn im Fall der Amtsniederlegung des Personalratsvorsitzenden bei einer Wahl zum Personalratsvorsitzenden unterstützen würde. Da Frau ... das Geld zurückgegeben und damit nicht gegen das Verbot zur Annahme von Belohnungen und Geschenken verstoßen habe, fehle es an einer Haupttat, an der er beteiligt gewesen sein könnte. Er habe auch nicht versucht, Frau ... dazu zu bewegen, das Geld ohne Genehmigung anzunehmen. Geschenke im Kollegenkreis bedürften ohnehin keiner Erlaubnis.

9 4. Der Bundeswehrdisziplinaranwalt ist dem entgegengetreten.

10 Wegen der Einzelheiten zur Person und zum Werdegang des früheren Soldaten wird auf das Urteil des Truppendienstgerichts, hinsichtlich der Zeugenaussagen und der in das Verfahren eingeführten Urkunden und Augenscheinsobjekte wird auf das Protokoll der Berufungshauptverhandlung verwiesen.

II

11 Die Berufung bleibt ohne Erfolg.

12 1. Sie ist zwar zulässig. Dem steht nicht entgegen, dass die Berufungsschrift innerhalb der Berufungsfrist, die gemäß § 115 Abs. 1 Satz 1, § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 43 Abs. 1 Halbs. 1 StPO mit Ablauf des 18. Juli 2019 geendet hat, nur per E-Mail als eingescanntes PDF-Dokument beim Truppendienstgericht eingegangen ist. Gemäß § 116 Abs. 1 Satz 3 i.V.m. § 112 Satz 1 WDO ist die Berufung schriftlich oder zu Protokoll der Geschäftsstelle des Wehrdienstgerichts einzulegen. Dabei ist es gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 55a Abs. 1 VwGO auch zulässig, sie nach Maßgabe des § 55a Abs. 2 bis 6 VwGO als elektronisches Dokument einzureichen. Zwar entspricht die per E-Mail übersandte Berufungsschrift nicht den Vorgaben des § 55a VwGO. Denn das Dokument enthält weder eine qualifizierte elektronische Signatur im Sinne des § 55a Abs. 3 VwGO noch wurde es auf einem sicheren Übermittlungsweg im Sinne des § 55a Abs. 4 VwGO eingereicht. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist aber die Schriftform gewahrt, wenn - wie hier - ein im Original eigenhändig unterzeichneter Schriftsatz in eine PDF-Datei eingescannt, diese nach vorheriger Rücksprache mit der Geschäftsstelle per E-Mail an das Gericht übersandt und dort vor Ablauf der Berufungsfrist ausgedruckt wird (vgl. BGH, Beschluss vom 4. Februar 2020 - X ZB 11/18 - FamRZ 2020, 847 Rn. 16 m.w.N.).

13 Der Senat lässt offen, ob er sich dieser Auffassung uneingeschränkt anschließt. Selbst wenn eine formgerechte Berufung erst mit dem postalischen Eingang des Berufungsschriftsatzes einen Tag nach Ablauf der Berufungsfrist eingelegt worden wäre, wäre dem früheren Soldaten gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 44 Satz 1, § 45 Abs. 2 Satz 3 StPO von Amts wegen Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil er ohne Verschulden daran verhindert gewesen wäre, die Frist einzuhalten. Etwaige Versäumnisse seines Verteidigers - die mit Blick auf die genannte Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht ersichtlich sind - wären ihm nicht zuzurechnen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 7. September 2018 - 2 WDB 3.18 - BVerwGE 163, 89 Rn. 14 m.w.N.).

14 2. Die Berufung ist aber unbegründet.

15 Da der frühere Soldat sie in vollem Umfang eingelegt hat, hat der Senat, der vorliegend nicht an einer Sachentscheidung gehindert ist (a) aufgrund eigener Tat- (b) und Schuldfeststellungen (c) unter Berücksichtigung des Verschlechterungsverbots (§ 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 331 StPO) über die angemessene Disziplinarmaßnahme zu befinden (d). Danach ist gegen den früheren Soldaten jedenfalls keine mildere Disziplinarmaßnahme als die vom Truppendienstgericht ausgesprochene Kürzung seines Ruhegehalts um 1/20 für die Dauer von 15 Monaten zu verhängen.

16 a) Der Senat ist nicht nach § 123 Satz 3 i.V.m. § 108 Abs. 3 Satz 1 WDO an einer Sachentscheidung gehindert.

17 aa) Ein Verfahrenshindernis liegt nicht darin, dass eine unzuständige Einleitungsbehörde tätig geworden wäre. Da der frühere Soldat im Zeitpunkt der Zustellung der Einleitungsverfügung dem ... angehörte, war dessen ... gemäß § 94 Abs. 1 Nr. 2, Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 WDO i.V.m. Ziffer 1.1. c) (1) (a) der Zentralen...

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