Urteil vom 13.06.2023 - BVerwG 9 CN 2.22

JurisdictionGermany
Judgment Date13 Junio 2023
Neutral CitationBVerwG 9 CN 2.22
ECLIDE:BVerwG:2023:130623U9CN2.22.0
Record Number130623U9CN2.22.0
CitationBVerwG, Urteil vom 13.06.2023 - 9 CN 2.22 -
Registration Date11 Septiembre 2023
Subject MatterSonstiges Abgabenrecht
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
Applied RulesGG Art. 3 Abs. 1, Art. 20 Abs. 1, Art. 20a, Art. 74 Abs. 1 Nr. 22, Art. 80 Abs. 1,,Art. 84 Abs. 1,VwGO § 47 Abs. 5 Satz 2,StVG § 6a Abs. 5a,KSG §§ 1, 13 Abs. 1,ParkgebVO § 1 Abs. 1 Satz 1 und 2, Abs. 2 Satz 1 und 2 Nr. 1,BewParkgebS § 4 Abs. 1 bis 3, § 5 Abs. 1 bis 3,GebOSt Nr. 265 der Anlage zu § 1

BVerwG 9 CN 2.22

  • VGH Mannheim - 13.07.2022 - AZ: 2 S 808/22

In der Normenkontrollsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 13. Juni 2023
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Bick,
die Richter am Bundesverwaltungsgericht Steinkühler, Dr. Martini und
Dr. Dieterich sowie die Richterin am Bundesverwaltungsgericht Sieveking
für Recht erkannt:

  1. Das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 13. Juli 2022 wird geändert. Die Satzung der Stadt Freiburg im Breisgau über die Erhebung von Bewohnerparkgebühren (Bewohnerparkgebührensatzung) vom 14. Dezember 2021 wird für unwirksam erklärt
  2. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens
Gründe I

1 Der Normenkontrollantrag richtet sich gegen die Satzung der Antragsgegnerin über die Erhebung von Bewohnerparkgebühren (Bewohnerparkgebührensatzung - BewParkgebS) vom 14. Dezember 2021.

2 Der Antragsteller wohnt in einem städtischen Quartier der Antragsgegnerin mit erheblichem Parkraummangel, das gemäß § 45 Abs. 1b Nr. 2a StVO als Bewohnerparkgebiet ausgewiesen ist. Er ist Halter eines Kraftfahrzeugs, das er mangels eines privaten Stellplatzes regelmäßig auf parkraumbewirtschafteten öffentlichen Verkehrsflächen parkt. Bereits in der Vergangenheit war er deshalb Inhaber eines Bewohnerparkausweises, für dessen Ausstellung die Antragsgegnerin bisher nach Nr. 265 der Anlage zu § 1 Abs. 1 der Gebührenordnung für Maßnahmen im Straßenverkehr (GebOSt) vom 25. Januar 2011 (BGBl. I S. 98) eine jährliche Gebühr von 30 € erhoben hat.

3 Auf der Grundlage des durch Art. 2 Nr. 1 des Achten Gesetzes zur Änderung des Bundesfernstraßengesetzes und zur Änderung weiterer Vorschriften vom 29. Juni 2020 (BGBl. I S. 1528) in das Straßenverkehrsgesetz eingefügten § 6a Abs. 5a StVG und des § 1 der Delegationsverordnung der baden-württembergischen Landesregierung zur Erhebung von Parkgebühren (ParkgebVO) vom 14. Juli 2021 (GBl. BW S. 605) erließ die Antragsgegnerin die Bewohnerparkgebührensatzung vom 14. Dezember 2021, die am 1. April 2022 in Kraft trat. Danach werden für das Ausstellen eines Bewohnerparkausweises für ein Jahr nunmehr je nach Fahrzeuglänge Gebühren in Höhe von 240 €, 360 € oder 480 € erhoben, die für bestimmte Personengruppen ermäßigt oder vollständig erlassen werden. Die betreffenden Regelungen lauten:
§ 4 Gebührenhöhe
(1) Für ein Jahr beträgt die Höhe der Gebühr für die Ausstellung 360 Euro.
(2) Misst das Fahrzeug, für das der Bewohnerparkausweis beantragt wird, in der Länge weniger als 4,21 m, so beträgt abweichend von Abs. 1 die Höhe der einjährigen Gebühr 240 Euro.
(3) Misst das Fahrzeug, für das der Bewohnerparkausweis beantragt wird, in der Länge mehr als 4,70 m, so beträgt abweichend von Abs. 1 die Höhe der einjährigen Gebühr 480 Euro.
(4) Für sechs Monate beträgt die Höhe der Gebühr für die Ausstellung die Hälfte der in den Absätzen 1 bis 3 festgelegten Gebührenhöhen.
...
§ 5 Gebührenermäßigung
(1) Für Personen, die Leistungen nach SGB II, SGB XII, Kriegsopferfürsorge (Bundesversorgungsgesetz) und AsylbLG sowie Personen, die Wohngeld erhalten, wird eine Gebühr in Höhe von 25 % der in § 4 Abs. 1 bis 4 genannten Gebührenhöhe festgesetzt. Die Leistungsberechtigung ist mit dem Antrag nachzuweisen.
(2) Für Personen mit einem Grad der Behinderung von mindestens 50 (Merkzeichen unerheblich) sowie Inhaber_innen einer Parkerleichterung für besondere Gruppen schwerbehinderter Menschen ("orangefarbener Parkausweis") gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO (Ausnahmegenehmigung und Erlaubnis) wird eine Gebühr in Höhe von 25 % der in § 4 Abs. 1 bis 4 genannten Gebührenhöhe festgesetzt. Die Berechtigung zur Ermäßigung ist mit dem Antrag nachzuweisen.
(3) Personen, die im Besitz einer Parkerleichterung für Menschen mit schweren Behinderungen ("blauer Parkausweis") gemäß § 46 Abs. 1 Nr. 11 StVO (Ausnahmegenehmigung und Erlaubnis) sind, wird die Gebühr für die Ausstellung eines Bewohnerparkausweises erlassen.
...

4 Am 1. April 2022 beantragte der Antragsteller beim Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg, die Bewohnerparkgebührensatzung für unwirksam zu erklären. Sein gleichzeitig gestellter Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 47 Abs. 6 VwGO blieb ohne Erfolg (VGH Mannheim, Beschluss vom 24. Juni 2022 - 2 S 809/22 - juris).

5 Mit Urteil vom 13. Juli 2022 lehnte der Verwaltungsgerichtshof den Normenkontrollantrag ab. Die Bewohnerparkgebührensatzung sei formell und materiell rechtmäßig. § 6a Abs. 5a StVG und § 1 ParkgebVO, die die Antragsgegnerin zum Erlass einer Gebührenordnung ermächtigten, seien mit höherrangigem Recht vereinbar. Die Bewohnerparkgebührensatzung sei von dieser Ermächtigungsgrundlage gedeckt. Sie sei auch hinsichtlich der Gebührenbemessung, der Gebührenermäßigungen und des Gebührenerlasses rechtlich nicht zu beanstanden. Insbesondere verstoße sie weder gegen das Äquivalenzprinzip noch gegen den Gleichheitssatz.

6 Zur Begründung seiner vom Verwaltungsgerichtshof zugelassenen Revision führt der Antragsteller sinngemäß aus: Der Bewohnerparkgebührensatzung fehle die Rechtsgrundlage. § 1 Abs. 1 Satz 2 ParkgebVO sei unwirksam, soweit die Gemeinden danach die Gebührenordnung als Satzung auszugestalten hätten. Art. 80 Abs. 1 GG ermächtige auch im Falle der Subdelegation nur zum Erlass einer Rechtsverordnung. Auch § 1 Abs. 2 Satz 2 ParkgebVO sei unwirksam. Er sei mit § 6a Abs. 5a Satz 3 StVG nicht vereinbar, weil danach bei der Gebührenbemessung neben den Kosten der Ausweisausstellung nur Bedeutung, wirtschaftlicher Wert und sonstiger Nutzen der Parkmöglichkeiten berücksichtigt werden dürften. Eine Berücksichtigung von Gesichtspunkten des Klimaschutzes sei hingegen nicht vorgesehen. Die Gebührenhöhe nach § 4 BewParkgebS verletze das Äquivalenzprinzip und lasse sich nicht durch den Verweis auf die Kosten anderer Parkmöglichkeiten rechtfertigen. Die Gebührenstaffelung nach der Fahrzeuglänge verstoße gegen das Gebot der Belastungsgleichheit. Die Grenzen zulässiger Pauschalierung seien überschritten. Die Ermäßigungen und der Gebührenerlass nach § 5 BewParkgebS seien durch die nach § 6a Abs. 5a Satz 3 StVG berücksichtigungsfähigen Kriterien nicht gedeckt und mit dem Grundsatz der Privilegienfeindlichkeit des Straßenverkehrsrechts nicht vereinbar.

7 Der Antragsteller beantragt,
das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 13. Juli 2022 aufzuheben und die Satzung der Stadt Freiburg im Breisgau über die Erhebung von Bewohnerparkgebühren vom 14. Dezember 2021 für unwirksam zu erklären.

8 Die Antragsgegnerin beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

9 Sie hält die Satzungsermächtigung nach § 1 Abs. 1 Satz 2 ParkgebVO für mit Art. 80 Abs. 1 GG und § 6a Abs. 5a StVG vereinbar. Im Übrigen verteidigt sie das angefochtene Urteil.

II

10 Die zulässige Revision ist begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO) und stellt sich nicht aus anderen Gründen als richtig dar (§ 144 Abs. 4 VwGO). Die Bewohnerparkgebührensatzung der Antragsgegnerin vom 14. Dezember 2021 ist ungültig und deshalb unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils nach § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO für unwirksam zu erklären.

11 Zwar bejaht der Verwaltungsgerichtshof die Verfassungsmäßigkeit von § 6a Abs. 5a StVG, der die Landesregierungen zum Erlass von Gebührenordnungen für das Ausstellen von Bewohnerparkausweisen ermächtigt, im Ergebnis zu Recht (1.). § 1 der landesrechtlichen Delegationsverordnung (ParkgebVO), der die Ermächtigung auf die unteren und örtlichen Straßenverkehrsbehörden weiter überträgt, steht aber mit Bundesrecht nicht im Einklang, soweit die als örtliche und untere Straßenverkehrsbehörden zuständigen Gemeinden die Gebührenordnungen nach § 1 Abs. 1 Satz 2 ParkgebVO als Satzungen ausgestalten müssen (2.). Damit ist die Bewohnerparkgebührensatzung schon mangels Satzungsermächtigung ungültig; darüber hinaus verstoßen die Gebührenstaffelung nach § 4 BewParkgebS sowie die Gebührenermäßigungen und der Gebührenerlass nach § 5 BewParkgebS gegen Art. 3 Abs. 1 GG (3.). Das Bundesverwaltungsgericht kann nach § 144 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 VwGO in der Sache selbst entscheiden (4.).

12 1. Der Verwaltungsgerichtshof geht im Ergebnis ohne Verstoß gegen Bundesrecht von der Verfassungsmäßigkeit der bundesrechtlichen Ermächtigungsnorm (§ 6a Abs. 5a StVG) aus.

13 Dem Bund steht nach Art. 84 Abs. 1 i. V. m. Art. 74 Abs. 1 Nr. 22 GG die Gesetzgebungskompetenz für § 6a Abs. 5a StVG zu, nach dessen Absatz 1 die nach Landesrecht zuständigen Behörden Gebühren für das Ausstellen von Parkausweisen für Bewohner städtischer Quartiere mit erheblichem Parkraummangel erheben können. Hierbei handelt es sich allerdings entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichtshofs schon nach dem insoweit eindeutigen Wortlaut nicht um Straßenbenutzungs-, sondern um Verwaltungsgebühren, die nicht an die Benutzung der Straßenfläche zum Parken, sondern an die im Ausstellen des Bewohnerparkausweises liegende Amtshandlung anknüpfen. Dass die Gesetzesbegründung des Ausschusses für Verkehr und digitale Infrastruktur von einer "Gebühr für eine Flächennutzung" spricht (BT-Drs. 19/19132 S. 12), ist unbeachtlich, da es für die Auslegung auf den objektivierten Willen des Gesetzgebers, nicht jedoch auf die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder ankommt (vgl. nur BVerfG, Kammerbeschluss vom 31. März 2016 - 2 BvR 1576/13 - NVwZ-RR 2016, 521 Rn. 63; BVerwG, Urteil vom 14...

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