BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1576/13 -
über
die Verfassungsbeschwerde
1. |
des Herrn B…, |
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2. |
des Herrn Professor Dr. V…, |
- Bevollmächtigter:
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Rechtsanwalt Dr. Uwe Lipinski,
Bahnhofstraße 55 - 57, 69115 Heidelberg -
1. |
unmittelbar gegen |
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a) |
das Schreiben des Präsidenten des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs |
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b) |
die Entscheidung des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs |
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2. |
mittelbar gegen |
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a) |
die Artikel 15 Absatz 2, Artikel 18a der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern (Gemeindeordnung - GO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. August 1998 (GVBl S. 796, BayRS 2020-1-1-I), geändert durch Gesetz vom 24. Juli 2012 (GVBl S. 366) in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 Nummer 1, Absatz 2 des Gesetzes über die Wahl der Gemeinderäte, der Bürgermeister, der Kreistage und der Landräte (Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz - GLKrWG) in der Fassung der Bekanntmachung vom 7. November 2006 (GVBl S. 834, BayRS 2021-1/2-I), geändert durch Gesetz vom 16. Februar 2012 (GVBl S. 30), |
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b) |
die Artikel 11 Absatz 2, Artikel 12a der Landkreisordnung für den Freistaat Bayern (Landkreisordnung - LKrO) in der Fassung der Bekanntmachung vom 22. August 1998 (GVBl S. 826, BayRS 2020-3-1-I), geändert durch Gesetz vom 24. Juli 2012 (GVBl S. 366), in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 Nummer 1, Absatz 2 GLKrWG |
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Huber,
Müller,
Maidowski
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der
Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 31. März 2016 einstimmig beschlossen:
- Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen
I.
Die Beschwerdeführer wandten sich mit einer Popularklage gemäß Art. 98 Satz 4 der Verfassung des Freistaates Bayern (im Folgenden: BV) gegen Art. 15 Abs. 2, Art. 18a der Gemeindeordnung für den Freistaat Bayern (Gemeindeordnung, im Folgenden: GO) in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 des Gesetzes über die Wahl der Gemeinderäte, der Bürgermeister, der Kreistage und der Landräte (Gemeinde- und Landkreiswahlgesetz, im Folgenden: GLKrWG) und Art. 11 Abs. 2, Art. 12a der Landkreisordnung für den Freistaat Bayern (Landkreisordnung, im Folgenden: LKrO) in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2 GLKrWG.
1. Der am 7. Februar 1992 in Maastricht unterzeichnete Vertrag über die Europäische Union sieht das aktive und passive Wahlrecht von Unionsbürgerinnen und -bürgern bei den Kommunalwahlen in dem Mitgliedstaat, in dem sie ihren Wohnsitz haben, zu denselben Bedingungen wie für die Angehörigen des betreffenden Mitgliedstaates vor (Art. 8b Abs. 1 EGV beziehungsweise Art. 19 Abs. 1 EGV, nunmehr Art. 20 Abs. 2 Satz 2 Buchstabe b, Art. 22 Abs. 1 AEUV).
Um die innerstaatliche Verfassungsrechtslage an diese Vertragsänderung anzupassen (vgl. BTDrucks 12/3338, S. 5), wurde mit Änderungsgesetz vom 21. Dezember 1992 in Art. 28 Abs. 1 GG folgender neuer Satz 3 eingefügt (BGBl I S. 2086):
Bei Wahlen in Kreisen und Gemeinden sind auch Personen, die die Staatsangehörigkeit eines Mitgliedstaates der Europäischen Gemeinschaft besitzen, nach Maßgabe von Recht der Europäischen Gemeinschaft wahlberechtigt und wählbar.
Die Richtlinie 94/80/EG des Rates vom 19. Dezember 1994 über die Einzelheiten der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts bei den Kommunalwahlen für Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen (ABl EG Nr. L 368 vom 31. Dezember 1994, S. 38 ff.), legt die Einzelheiten fest (vgl. Art. 22 Abs. 1 Satz 1 AEUV), nach denen Unionsbürger in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen, das aktive und passive Wahlrecht bei den Kommunalwahlen ausüben können (vgl. Art. 1 Abs. 1 der Richtlinie 94/80/EG des Rates vom 19. Dezember 1994 über die Einzelheiten der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts bei den Kommunalwahlen für Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen). Als Kommunalwahlen definiert die Richtlinie die allgemeinen, unmittelbaren Wahlen, die darauf abzielen, die Mitglieder der Vertretungskörperschaft und gegebenenfalls gemäß den Rechtsvorschriften jedes Mitgliedstaates den Leiter und die Mitglieder des Exekutivorgans einer lokalen Gebietskörperschaft der Grundstufe zu bestimmen (Art. 2 Abs. 1 Buchst. b der Richtlinie 94/80/EG des Rates vom 19. Dezember 1994 über die Einzelheiten der Ausübung des aktiven und passiven Wahlrechts bei den Kommunalwahlen für Unionsbürger mit Wohnsitz in einem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen).
Art. 1 Voraussetzungen des Wahlrechts
(1) Wahlberechtigt bei Gemeinde- und Landkreiswahlen sind alle Deutschen im Sinn des Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes sowie alle Staatsangehörigen der übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union (Unionsbürger), die am Wahltag
1. das 18. Lebensjahr vollendet haben,
2. sich seit mindestens drei Monaten in der Gemeinde, bei Landkreiswahlen im Landkreis, mit dem Schwerpunkt ihrer Lebensbeziehungen aufhalten. Dieser Aufenthalt wird dort vermutet, wo die Person gemeldet ist. Ist eine Person in mehreren Gemeinden gemeldet, wird der Schwerpunkt der Lebensbeziehungen dort vermutet, wo sie mit der Hauptwohnung gemeldet ist,
3. nicht nach Art. 2 vom Wahlrecht ausgeschlossen sind.
Art. 1 Wahlrecht
(1) Wahlberechtigt bei Gemeinde- und Landkreiswahlen sind alle Personen, die am Wahltag
1. Unionsbürger sind,
2. das 18. Lebensjahr vollendet haben,
3. sich seit mindestens zwei Monaten im Wahlkreis mit dem Schwerpunkt ihrer Lebensbeziehungen aufhalten,
4. nicht nach Art. 2 vom Wahlrecht ausgeschlossen sind.
(2) Unionsbürger sind alle Deutschen im Sinn des Art. 116 Abs. 1 des Grundgesetzes sowie die Staatsangehörigen der übrigen Mitgliedstaaten der Europäischen Union.
[…]
Durch einen Volksentscheid vom 1. Oktober 1995 wurden in Bayern auf Gemeinde- und Landkreisebene Bürgerbegehren und Bürgerentscheide eingeführt (Gesetz vom 27. Oktober 1995, GVBl S. 730). Art. 7 BV erhielt durch die Änderung seines Absatzes 2 folgende Fassung:
(1) Staatsbürger ist ohne Unterschied der Geburt, der Rasse, des Geschlechts, des Glaubens und des Berufs jeder Staatsangehörige, der das 18. Lebensjahr vollendet hat.
(2) Der Staatsbürger übt seine Rechte aus durch Teilnahme an Wahlen, Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden sowie Volksbegehren und Volksentscheiden.
(3) Die Ausübung dieser Rechte kann von der Dauer eines Aufenthalts bis zu einem Jahr abhängig gemacht werden.
Art. 12 BV wurde um folgenden Absatz 3 ergänzt:
(3) Die Staatsbürger haben das Recht, Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises der Gemeinden und Landkreise durch Bürgerbegehren und Bürgerentscheid zu regeln. Das Nähere regelt ein Gesetz.
Zudem wurden durch den Volksentscheid Regelungen zum Bürgerbegehren und Bürgerentscheid in die Gemeinde- (Art. 18a GO) und Landkreisordnung (Art. 12a LKrO) aufgenommen. Danach steht die Teilnahme an Bürgerbegehren und -entscheiden, die auf Angelegenheiten des eigenen Wirkungskreises beschränkt sind, allen Gemeinde- (vgl. Art. 18a Abs. 1, 5, 6 und 10 Satz 3 GO) beziehungsweise Kreisbürgern (Art. 12a Abs. 1, 5 Satz 1 und 2, Abs. 6, 7 Satz 1 und 2 und Abs. 10 Satz 3 LKrO) offen. Gemeinde- beziehungsweise Kreisbürger sind gemäß Art. 15 Abs. 2 GO beziehungsweise Art. 11 Abs. 2 LKrO alle Gemeinde- beziehungsweise Kreisangehörigen, die bei den jeweiligen Kommunalwahlen wahlberechtigt sind. Daher sind in Bayern auch Unionsbürger anderer Mitgliedstaaten zur Teilnahme an Bürgerbegehren und -entscheiden berechtigt. Gemäß Art. 18a Abs. 13 Satz 1 GO beziehungsweise Art. 12a Abs. 12 Satz 1 LKrO hat ein Bürgerentscheid die Wirkung eines Beschlusses des Gemeinderats beziehungsweise Kreistags.
2. Mit ihrer Popularklage rügten die Beschwerdeführer, dass die Mitwirkung von Unionsbürgern anderer Mitgliedstaaten an kommunalen Bürgerbegehren und -entscheiden gegen Art. 2, Art. 7 Abs. 2, Art. 12 Abs. 3 und Art. 101 BV verstoße.
Mit Beschluss vom 12. Juni 2013 (Vf. 11-VII-11) hat der Bayerische Verfassungsgerichtshof festgestellt, dass die landesgesetzlichen Regelungen, die Unionsbürgern anderer Mitgliedstaaten das Recht zur Teilnahme an kommunalen Bürgerbegehren und Bürgerentscheiden einräumen, verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden sind.
a) Ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip (Art. 3 Abs. 1 Satz 1 BV) unter dem Gesichtspunkt der Verletzung bundesrechtlicher Vorschriften, hier des Art. 28 Abs. 1 Satz 3 GG, sei nicht gegeben. Prüfungsmaßstab im Popularklageverfahren sei allein die Bayerische Verfassung. Verstoße eine Vorschrift des Landesrechts gegen Bundesrecht, könne dies im Popularklageverfahren nur insoweit entscheidungserheblich werden, als darin zugleich ein Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip des Art. 3 Abs. 1...