Urteil vom 14.03.2018 - BVerwG 4 A 11.17

JurisdictionGermany
Judgment Date14 Marzo 2018
Neutral CitationBVerwG 4 A 11.17
ECLIDE:BVerwG:2018:140318U4A11.17.0
CitationBVerwG, Urteil vom 14.03.2018 - 4 A 11.17
Registration Date27 Junio 2018
Subject MatterRecht des Ausbaues von Energieleitungen
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
Record Number140318U4A11.17.0

BVerwG 4 A 11.17

In der Verwaltungsstreitsache hat der 4. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 1. März 2018
durch den Vorsitzenden Richter am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Rubel und die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Gatz, Petz, Dr. Decker und Prof. Dr. Külpmann
für Recht erkannt:

  1. Die Klagen werden abgewiesen.
  2. Die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen tragen die Klägerin zu 1 zu 5/7 sowie die Klägerinnen zu 2 und 3 zu je 1/7.
Gründe I

1 Die Klägerinnen - Eigentümerin und Mieterinnen eines gewerblich genutzten Grundstücks - wenden sich gegen eine Höchstspannungsfreileitung.

2 Der angegriffene Planfeststellungsbeschluss der Bezirksregierung Köln vom 30. Dezember 2016 (PFB) stellt den Plan für die Errichtung und den Betrieb der 110-/380-kV-Höchstspannungsfreileitung Rommerskirchen - Sechtem, Bauleitnummer (Bl.) 4215, einschließlich der notwendigen Folgemaßnahmen an Anlagen und Verkehrswegen Dritter sowie der Anlage von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen fest. Die Leitung ist ein 34 km langes Teilstück des als Nr. 15 in den Bedarfsplan zum Energieleitungsausbaugesetz (EnLAG) aufgenommenen Vorhabens "Neubau Höchstspannungsleitung Osterath - Weißenthurm Nennspannung 380 kV".

3 Die Beigeladene beantragte die Planfeststellung im Februar 2012. Die Unterlagen wurden bis zum 22. März 2012 öffentlich ausgelegt. Die Klägerinnen erhoben, anwaltlich vertreten, fristgerecht Einwendungen, die in einem Erörterungstermin im September 2014 behandelt wurden. Die Bezirksregierung Köln übersandte den verfahrensbevollmächtigten Rechtsanwälten unter dem 24. Oktober 2014 einen Abdruck der Niederschrift über den Erörterungstermin. Das Übersendungsschreiben endete mit der Formulierung: "Meine Entscheidung wird Ihnen zu gegebener Zeit unaufgefordert zugehen." Nach Einholung weiterer Gutachten sowie Änderungen durch Deckblattverfahren stellte die Bezirksregierung Köln den Plan fest. Der Planfeststellungsbeschluss wurde nach öffentlicher Bekanntmachung bis zum 13. Februar 2017 öffentlich ausgelegt. Eine Mitteilung an die Klägerinnen oder ihre Bevollmächtigten unterblieb.

4 Während des Planfeststellungsverfahrens stellte die Beigeladene Überlegungen zum Vorhaben nach Nr. 2 der Anlage zum Bundesbedarfsplangesetz (BBPlG) ("Höchstspannungsleitung Osterath - Philippsburg; Gleichstrom"; im Folgenden: Ultranet-Leitung) an. Nach ihren Vorstellungen soll der Trassenverlauf der Ultranet-Leitung der planfestgestellten Leitung folgen und die Ultranet-Leitung auf bestehenden Masten für Wechselstromleitungen geführt werden. Auf dem planfestgestellten Vorhaben könnten bisherige Leitungen für einen Wechselstromkreis künftig für einen Gleichstromkreis der Ultranet-Leitung genutzt werden (Hybridsystem). Nachdem die Beigeladene die Träger öffentlicher Belange im Oktober 2014 informiert hatte, stellte sie im Dezember 2015 einen Antrag auf Bundesfachplanung. Die Bundesnetzagentur legte im August 2016 den Untersuchungsrahmen fest und erwartet die Vorlage der Unterlagen im 2. Quartal des Jahres 2018.

5 Die Klägerin zu 1 ist Eigentümerin eines 8 363 qm großen, mit einem Büro- und Lagergebäude bebauten Grundstücks (Gemarkung B., Flur ..., Flurstück ...). Die Klägerinnen zu 2 und 3 betreiben dort einen Elektrofachgroßhandel. Derzeit verläuft neben dem Grundstück, dieses wenige Meter überspannend, die 220-kV-Freileitung Brauweiler-Pkt. Neuenahr (Bl. 4501). Nach dem Planfeststellungsbeschluss soll künftig 10 m östlich des Grundstücks der Mast 31 errichtet werden. Die neue Leitung soll auf etwa 30 m die südöstliche, unbebaute Ecke des Grundstücks überspannen, das Grundstück mit einem Schutzstreifen von 2 777 qm belegt werden. Innerhalb des Schutzstreifens liegen Gebäudeteile, welche die Klägerin zu 2 als Lager nutzt. Die bisherige Leitung Bl. 4501 soll demontiert und auf dem Gestänge der neuen Leitung geführt werden. Die auf das Grundstück einwirkenden Felder prognostiziert die Beigeladene für die am stärksten betroffene Stelle des Grundstücks mit 2,0 kV/m und 10 µT im Bestand und 0,6 kV/m und 5,6 µT im Planungsfall, für die Außenkante des Gebäudes mit 0,3 kV/m und 7,5 µT im Bestand und 0,3 kV/m und 5 µT im Planungsfall.

6 Die Klägerinnen haben am 26. Mai 2017 Klage erhoben und Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist beantragt. Einer ihrer Prozessbevollmächtigten habe am 18. Mai 2017 anlässlich einer Mandatsanfrage erstmals von dem Planfeststellungsbeschluss erfahren. Die Geschäftsführer der Klägerinnen haben jeweils eidesstattlich versichert, vom Erlass des Planfeststellungsbeschlusses nichts gewusst zu haben; sie hätten nach dem Schreiben der Bezirksregierung Köln vom 24. Oktober 2014 auf eine persönliche Zustellung vertraut. Die Klägerinnen sehen durch den Planfeststellungsbeschluss ihre Rechte verletzt. Insbesondere habe es einer einheitlichen Planfeststellung mit der Ultranet-Leitung bedurft, die Umweltverträglichkeitsprüfung hätte sich auf die Auswirkungen der Ultranet-Leitung erstrecken müssen. Den Anforderungen des § 4 Abs. 2 Satz 1 der 26. BImSchV sei nicht genügt. Sollte die Leitung errichtet werden, sei ein Verbleib ihrer Betriebe auf dem Grundstück unzumutbar. Die Klägerin zu 1 verlangt daher die Übernahme ihres Grundstücks.

7 Die Klägerinnen beantragen, ihnen wegen der Versäumung der Klagefrist Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, den Planfeststellungsbeschluss der Bezirksregierung Köln vom 30. Dezember 2016 für die Errichtung und den Betrieb der 110-/380-kV-Höchstspannungsfreileitung Rommerskirchen - Sechtem, Bauleitnummer 4215 - einschließlich der notwendigen Folgemaßnahmen an Anlagen und Verkehrswegen Dritter sowie der Anlage von Ausgleichs- und Ersatzmaßnahmen - aufzuheben, hilfsweise, den Beklagten zu verpflichten, der Beigeladenen aufzuerlegen, a) den Klägerinnen zu 1, 2 und 3 eine angemessene Entschädigung nach den Grundsätzen des Gesetzes über die Enteignung und Entschädigung des Landes Nordrhein-Westfalen (Landesenteignungs- und -entschädigungsgesetz) zu gewähren und b) in diesem Rahmen der Klägerin zu 1 die Entschädigung durch Übernahme des Grundstücks in der Gemarkung B., Flur ..., Flurstück ... (... P.-B., C.-F.-G.-Straße ...) unter Vergütung des Verkehrswertes des Grundstücks und der aufstehenden Gebäude zu gewähren.

8 Der Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

9 Die Beigeladene beantragt, die Klage abzuweisen.

10 Sie verteidigen jeweils den angegriffenen Planfeststellungsbeschluss.

II

11 Für das Verfahren ist das Bundesverwaltungsgericht erst- und letztinstanzlich zuständig nach § 50 Abs. 1 Nr. 6 VwGO i.V.m. § 1 Abs. 3 und Nr. 15 der Anlage des Gesetzes zum Ausbau von Energieleitungen (Energieleitungsausbaugesetz - EnLAG) vom 21. August 2009 (BGBl. I S. 2870), zuletzt geändert durch Gesetz vom 22. Dezember 2016 (BGBl. I S. 3106).

12 Die Klagen bleiben erfolglos.

13 A. Die Klagen sind zulässig.

14 I. Die Klägerinnen können geltend machen, durch den Planfeststellungsbeschluss in eigenen Rechten verletzt zu sein, und sind daher klagebefugt nach § 42 Abs. 2 VwGO.

15 Die Klägerin zu 1 kann eine Verletzung ihres Rechtes aus Art. 14 Abs. 1 GG geltend machen, weil ihr Grundeigentum für den Schutzstreifen teilweise in Anspruch genommen werden soll und sie daher von der enteignungsrechtlichen Vorwirkung des Planfeststellungsbeschlusses aus § 45 Abs. 2 Satz 1 EnWG betroffen wird. Die Klägerinnen zu 2 und 3 können jedenfalls als Rechtsverletzung geltend machen, dass ihre aus dem Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb folgenden schutzwürdigen Belange bei der Planfeststellung nicht gesehen oder jedenfalls nicht ihrem Gewicht entsprechend in die fachplanerische Abwägung nach § 43 Satz 4 EnWG einbezogen worden sind (BVerwG, Urteile vom 9. Juni 2004 - 9 A 16.03 - juris Rn. 25 und vom 21. Juni 2006 - 9 A 28.05 - BVerwGE 126, 166 Rn. 13). Eine solche Rechtsverletzung scheidet nicht offensichtlich und nach jeder Betrachtungsweise aus (stRspr, vgl. BVerwG, Urteile vom 10. Oktober 2002 - 6 C 8.01 - BVerwGE 117, 93 und vom 10. Oktober 2012 - 6 C 36.11 - BVerwGE 144, 284 Rn. 17).

16 II. Die Klägerinnen haben die einmonatige Klagefrist nach § 74 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. § 68 Abs. 1 Satz 2 VwGO, § 43 Satz 9 EnWG, § 74 Abs. 1 Satz 2 und § 70 VwVfG NRW versäumt. Denn der Planfeststellungsbeschluss galt ihnen gegenüber nach § 43 Satz 9 EnWG i.V.m. § 74 Abs. 5 Satz 3 Halbs. 1 VwVfG NRW am 13. Februar 2017 als zugestellt, so dass die Klagefrist nach § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 13. März 2017 endete. Nach § 60 Abs. 1 VwGO ist den Klägerinnen aber Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, weil sie ohne Verschulden verhindert waren, die gesetzliche Klagefrist einzuhalten.

17 Verschuldet ist eine Fristversäumnis, wenn der Betroffene nicht die Sorgfalt walten lässt, die für einen gewissenhaften, seine Rechte und Pflichten sachgerecht wahrnehmenden Beteiligten geboten und ihm nach den gesamten Umständen zuzumuten ist (BVerwG, Beschluss vom 23. Februar 1996 - 8 B 28.96 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 204; vgl. auch BVerwG, Urteil vom 27. Februar 1976 - 4 C 74.74 - BVerwGE 50, 248 und Beschluss vom 5. Februar 1990 - 9 B 506.89 - Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 168). Dabei ist eine subjektive Betrachtungsweise gefordert, die an Rechtsanwälte höhere Anforderungen als an juristische Laien stellt (Bier/Steinbeiß-Winkelmann, in: Schoch/Schneider/Bier, VwGO, Stand Juni 2017, § 60 Rn. 19 f. m.w.N.). Verschulden eines Verfahrensbevollmächtigten...

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