Urteil vom 20.09.2022 - BVerwG 9 C 4.22

JurisdictionGermany
Judgment Date20 Septiembre 2022
Neutral CitationBVerwG 9 C 4.22
ECLIDE:BVerwG:2022:200922U9C4.22.0
Record Number200922U9C4.22.0
Registration Date26 Enero 2023
Subject MatterSonstiges Abgabenrecht
CourtDas Bundesverwaltungsgericht
CitationBVerwG, Urteil vom 20.09.2022 - 9 C 4.22 -

BVerwG 9 C 4.22

  • VG Gelsenkirchen - 24.05.2019 - AZ: 2 K 1597/19
  • OVG Münster - 27.08.2020 - AZ: 14 A 2474/19

In der Verwaltungsstreitsache hat der 9. Senat des Bundesverwaltungsgerichts
auf die mündliche Verhandlung vom 14. September 2022
durch die Vorsitzende Richterin am Bundesverwaltungsgericht Prof. Dr. Bick, die Richter am Bundesverwaltungsgericht Dr. Martini und Dr. Dieterich
sowie die Richterinnen am Bundesverwaltungsgericht Sieveking und
Prof. Dr. Schübel-Pfister
am 20. September 2022 für Recht erkannt:

  1. Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. August 2020 sowie das Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 24. Mai 2019 werden geändert. Die Selbsterklärung zur Wettbürosteuer für Januar 2018 vom 7. Februar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 2019 wird aufgehoben
  2. Die Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens
Gründe I

1 Die Klägerin wendet sich gegen die Heranziehung zu einer kommunalen Wettbürosteuer.

2 Die Beklagte erhebt auf der Grundlage ihrer Vergnügungssteuersatzung vom 8. Oktober 2014 (im Folgenden: VS) eine Steuer für das Vermitteln oder Veranstalten von Pferde- und Sportwetten in Einrichtungen (Wettbüros), die neben der Annahme von Wettscheinen das Mitverfolgen der Wettereignisse ermöglichen (§ 2 VS). Die Bemessungsgrundlage richtete sich ursprünglich nach der Veranstaltungsfläche der genutzten Räume, also letztlich nach der Größe des jeweiligen Wettbüros (§ 9 VS a. F.). Nachdem der Senat diesen Steuermaßstab in seinem Urteil vom 29. Juni 2017 - 9 C 7.16 - (BVerwGE 159, 216) beanstandet hatte, änderte die Beklagte rückwirkend ihre Satzung und legte nunmehr den Brutto-Wetteinsatz des Wettkunden als Bemessungsgrundlage (Steuermaßstab) fest. Der Steuersatz beträgt 3 % des Brutto-Wetteinsatzes.

3 Die Klägerin betreibt im Stadtgebiet der Beklagten ein Wettbüro, in dem sie Sportwetten für den Wettveranstalter I. vermittelt sowie Pferdewetten selbst als Buchmacherin veranstaltet und an G. vermittelt. Sie erklärte unter dem 7. Februar 2018 für den Monat Januar 2018 einen Brutto-Wetteinsatz in Höhe von 99 628,33 € und meldete Wettbürosteuer in Höhe von 2 988,85 € an. Auf Anregung der Klägerin wertete die Beklagte deren Antrag auf Änderung der Steuerfestsetzung vom 13. Februar 2018 als Widerspruch, den sie mit Widerspruchsbescheid vom 27. Februar 2019 zurückwies. Die hiergegen gerichtete Klage wies das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen mit Urteil vom 24. Mai 2019 ab. Das Oberverwaltungsgericht wies mit Urteil vom 27. August 2020 die Berufung zurück und ließ die Revision wegen der Frage zu, ob die Wettbürosteuer nach Änderung des Steuermaßstabs der bundesrechtlichen Rennwett- und Sportwettensteuer gleichartig sei.

4 Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, es liege bereits keine örtliche Aufwandsteuer vor. Die Erhebung einer Wettbürosteuer verstoße ferner gegen das Gleichartigkeitsverbot in Art. 105 Abs. 2a GG und konterkariere das Regelungskonzept des Bundesgesetzgebers, der sich abschließend für einen einheitlich niedrigen Steuersatz von 5 % auf Sportwetten entschieden habe. Außerdem verstoße die Gleichbehandlung von Renn- und Sportwetten gegen Art. 3 GG; ihr Vortrag im Berufungsverfahren zu Unterschieden zwischen den beiden Wettarten sei gehörsverletzend nicht zur Kenntnis genommen worden.

5 Die Klägerin beantragt,
unter Aufhebung des Urteils des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 27. August 2020 sowie des Urteils des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 24. Mai 2019 die Selbsterklärung zur Wettbürosteuer für Januar 2018 vom 7. Februar 2018 in der Gestalt des Widerspruchsbescheides vom 27. Februar 2019 aufzuheben.

6 Die Beklagte beantragt,
die Revision zurückzuweisen.

7 Sie verteidigt ihre Satzung und die angegriffene Entscheidung.

8 Der Senat hat mit Beschluss vom 1. November 2021 das Verfahren wegen der zu erwartenden Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Zulässigkeit einer kommunalen Übernachtungssteuer ausgesetzt und im Hinblick auf den ergangenen Beschluss vom 22. März 2022 (- 1 BvR 2868/15 u. a. -) fortgesetzt.

II

9 Die zulässige Revision ist begründet. Das Urteil des Berufungsgerichts beruht auf der Verletzung von Bundesrecht (§ 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO). Die dem angefochtenen Steuerbescheid zugrunde liegende Wettbürosteuersatzung der Beklagten ist rechtswidrig. Zwar liegt eine örtliche Aufwandsteuer vor (1.). Die Wettbürosteuer ist jedoch den im Rennwett- und Lotteriegesetz (i. d. F. des Gesetzes zur Besteuerung von Sportwetten vom 29. Juni 2012 RennwLottG) bundesrechtlich geregelten Rennwett- und Sportwettensteuern im Sinne des Art. 105 Abs. 2a GG gleichartig, so dass die Erhebung der Steuer nicht von der Kompetenz der Beklagten gedeckt ist (2.). Danach kommt es auf weitere Einwendungen der Klägerin gegen die den Steuerbescheiden zugrunde liegende Satzung nicht mehr an (3.).

10 1. Das Berufungsgericht geht zu Recht davon aus, dass es sich bei der erhobenen Wettbürosteuer um den Typus einer örtlichen Aufwandsteuer im Sinne des Art. 105 Abs. 2a GG handelt. Aufwandsteuern sind Steuern auf die Einkommensverwendung für den persönlichen Lebensbedarf, in der die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Steuerpflichtigen zum Ausdruck kommt. Belastet werden soll der über die Befriedigung der allgemeinen Lebensführung hinausgehende Aufwand, der Teil des persönlichen Lebensbedarfs und der persönlichen Lebensführung ist (stRspr, vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 22. März 2022 - 1 BvR 2868/15 u. a. - zur Veröffentlichung in BVerfGE 161 vorgesehen Rn. 81; BVerwG, Urteil vom 29. Juni 2017 - 9 C 7.16 - BVerwGE 159, 216 Rn. 13).

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