Beschluss vom 04. Mai 2010 - 2 BvL 8/07
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2010:ls20100504.2bvl000807 |
Citation | BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 04. Mai 2010 - 2 BvL 8/07 - Rn. (1-155), |
Date | 04 Mayo 2010 |
Judgement Number | 2 BvL 8/07 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
Leitsätze
zum Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2010
- 2 BvL 8/07 -
- 2 BvL 9/07 -
- Bundesgesetzliche Regelungen des Verwaltungsverfahrens im Bereich der Auftragsverwaltung nach Art. 85 GG bedürfen nicht der Zustimmung des Bundesrates
- Art. 87d Abs. 2 GG unterwirft nur die Übertragung von Aufgaben auf die Länder, nicht die Rückübertragung auf den Bund der Zustimmung des Bundesrates
- Änderungen in der Ausgestaltung einer bereits übertragenen Aufgabe stellen nur dann eine gemäß Art. 87d Abs. 2 GG zustimmungspflichtige neue Aufgabenübertragung dar, wenn sie der übertragenen Aufgabe eine wesentlich andere Bedeutung und Tragweite verleihen Dazu genügt es grundsätzlich nicht, dass eine Gesetzesänderung nur zu einer quantitativen Erhöhung der Aufgabenlast führt
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvL 8/07 -
- 2 BvL 9/07 -
zur verfassungsrechtlichen Prüfung,
ob § 7 Absatz 1 Nummer 4 des Luftsicherheitsgesetzes vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite 78) in Verbindung mit § 4 Absatz 1 Satz 2 Nummer 3 des Luftverkehrsgesetzes in der Fassung des Artikel 2 Nummer 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite 78) verfassungsgemäß ist
- Aussetzungs- und Vorlagebeschlüsse des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 27. Juni 2007 - 5 E 1495/06 (1) -
- 2 BvL 8/07 -
und
vom 27. Juni 2007 - 5 E 1854/06 (3) -
- 2 BvL 9/07 -
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat - unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Präsident Voßkuhle,
Broß,
Osterloh,
Di Fabio,
Mellinghoff,
Lübbe-Wolff,
Gerhardt,
Landau
am 4. Mai 2010 beschlossen:
- Die Verfahren 2 BvL 8/07 und 2 BvL 9/07 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
- § 7 Absatz 1 Nummer 4 des Luftsicherheitsgesetzes vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite 78) in Verbindung mit § 4 Absatz 1 Satz 2 Nummer 3 des Luftverkehrsgesetzes in der Fassung des Artikel 2 Nummer 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite 78) ist mit dem Grundgesetz vereinbar, soweit danach eine Zuverlässigkeitsüberprüfung erforderlich ist für Luftfahrer im Sinne des § 4 Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit § 1 Absatz 2 Nummer 1 und Nummer 4 des Luftverkehrsgesetzes.
Die Vorlagen stellen zur Prüfung, ob die näher bezeichneten, mit dem Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (BGBl I S. 78) eingeführten Regelungen zur Überprüfung der Zuverlässigkeit von Luftfahrern mit dem Grundgesetz vereinbar sind.
I.
1. Luftfahrer unterlagen unabhängig von den zunächst in § 29d Luftverkehrsgesetz (LuftVG), später in § 7 Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) vorgesehenen Regelungen zur Überprüfung der Zuverlässigkeit sicherheitsrelevanter Personenkreise bereits seit langem einer Prüfung ihrer Zuverlässigkeit im Rahmen des Verfahrens zur Erteilung der Erlaubnis, die für das Führen oder Bedienen von Luftfahrzeugen erforderlich ist (vgl. bereits § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 LuftVG in der Fassung des Gesetzes zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes vom 5. Dezember 1958, BGBl I S. 899; gegenwärtig § 4 Abs. 1 Satz 2 Nr. 3 LuftVG in der Fassung der Bekanntmachung vom 10. Mai 2007, BGBl I S. 698, zuletzt geändert durch Gesetz vom 24. August 2009, BGBl I S. 2942). Für den Fall nachträglich eingetretener Tatsachen, die auf die Unzuverlässigkeit des Luftfahrers schließen lassen, war und ist der Widerruf der Erlaubnis vorgesehen (§ 4 Abs. 3 LuftVG).
Auf die seit Beginn der siebziger Jahre vermehrt aufgetretenen kriminellen Angriffe auf Flugzeuge und Flughäfen reagierte der Gesetzgeber mit dem Gesetz zur Änderung des Luftverkehrsgesetzes (9. Änderungsgesetz) vom 18. September 1980 (BGBl I S. 1729). Der neu eingefügte § 29c LuftVG bestimmte in Abs. 1 Satz 1 - insoweit bis zum Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben unverändert - den „Schutz vor Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs, insbesondere vor Flugzeugentführungen und Sabotageakten,“ zur Aufgabe der Luftfahrtbehörden und erweiterte mit den Absätzen 2 bis 4 deren Zuständigkeiten unter anderem um Fluggast- und Gepäckkontrollen, die zuvor auf der Grundlage der Beförderungsbedingungen der Luftfahrtunternehmen durchgeführt worden waren. § 31 Abs. 2 Nr. 19 LuftVG wies gemäß der durch Art. 87d Abs. 2 GG eröffneten Möglichkeit, Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung den Ländern als Auftragsverwaltung zu übertragen, die in § 29c LuftVG bezeichnete Aufgabe des Schutzes vor Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs den Ländern zur Ausführung im Auftrag des Bundes zu.
Das Gesetz zur Übertragung der Aufgaben der Bahnpolizei und der Luftsicherheit auf den Bundesgrenzschutz vom 23. Januar 1992 (BGBl I S. 178) räumte den Luftfahrtbehörden in einem neu gefassten § 29d LuftVG die Befugnis ein, unter anderem Personen, denen zur Ausübung einer beruflichen Tätigkeit nicht nur gelegentlich Zugang zu nicht allgemein zugänglichen oder sicherheitsempfindlichen Bereichen und Anlagen zu erteilen ist, sowie sicherheitsrelevantes Personal der Flugplatz- und der Luftfahrtunternehmen einer Zuverlässigkeitsüberprüfung zu unterziehen.
Zugleich wurde § 31 Abs. 2 Nr. 19 LuftVG wie folgt neu gefasst:
„§ 31 LuftVG
(1) ...
(2) Die Länder führen nachstehende Aufgaben dieses Gesetzes im Auftrage des Bundes aus:
...
19. den Schutz vor Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs (§§ 29c, 29d). Auf Antrag eines Landes kann der Bund diese Aufgaben in bundeseigener Verwaltung ausführen. In diesem Fall werden die Aufgaben von der vom Bundesminister des Innern bestimmten Bundesgrenzschutzbehörde wahrgenommen; § 29c Abs. 1 Satz 3 bleibt unberührt.“
Mit dem Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus (Terrorismusbekämpfungsgesetz) vom 9. Januar 2002 (BGBl I S. 361) wurde § 29d LuftVG unter Erweiterung des Kreises der zu Überprüfenden dahingehend verschärft, dass die zuvor fakultative Zuverlässigkeitsüberprüfung zwingend wurde.
§ 29d LuftVG in der vor Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben geltenden, gegenüber der Fassung vom 9. Januar 2002 nur
in einer sprachlichen Einzelheit veränderten Fassung vom 21. August 2002 (BGBl I S. 3355) hatte folgenden Wortlaut:
„§ 29d LuftVG
(1) Zum Schutz vor Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs (§ 29c Abs. 1 Satz 1) hat die Luftfahrtbehörde die Zuverlässigkeit folgender Personen zu überprüfen:
1. Personen, denen zur Ausübung einer beruflichen Tätigkeit nicht nur gelegentlich Zugang zu nicht allgemein zugänglichen Bereichen (§ 19b Abs. 1 Satz 1 Nr. 3, § 20a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2) gewährt werden soll,
2. Personal der Flugplatz- und Luftfahrtunternehmen sowie des Flugsicherungsunternehmens, das aufgrund seiner Tätigkeit Einfluss auf die Sicherheit des Luftverkehrs hat; sofern sich Flugplatz-, Luftfahrt- oder Flugsicherungsunternehmen zur Wahrnehmung ihrer Aufgaben des Personals anderer Unternehmen bedienen, steht dieses eigenem Personal gleich,
3. Personen, die nach § 29c Abs. 1 Satz 3 als Hilfsorgane eingesetzt oder nach § 31b Abs. 1 Satz 2 mit Aufgaben nach § 27c Abs. 2 beauftragt werden.
Die Überprüfung bedarf der Zustimmung des Betroffenen. Sie entfällt, wenn der Betroffene im Inland innerhalb der letzten zwölf Monate einer zumindest gleichwertigen Überprüfung unterzogen worden ist und keine Anhaltspunkte für eine Unzuverlässigkeit des Betroffenen vorliegen oder der Betroffene der erweiterten Sicherheitsüberprüfung nach § 9 des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes oder der erweiterten Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen nach § 10 des Sicherheitsüberprüfungsgesetzes unterliegt.
(2) Zur Überprüfung der Zuverlässigkeit darf die Luftfahrtbehörde folgende Maßnahmen treffen:
1. Prüfung der Identität des Betroffenen,
2. Anfragen bei den Polizei- und Verfassungsschutzbehörden der Länder sowie, soweit im Einzelfall erforderlich, dem Bundeskriminalamt, dem Bundesamt für Verfassungsschutz, dem Bundesnachrichtendienst, dem Militärischen Abschirmdienst und dem Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik nach vorhandenen, für die Beurteilung der Zuverlässigkeit bedeutsamen Informationen,
3. Einholung einer unbeschränkten Auskunft aus dem Bundeszentralregister,
4. soweit im Einzelfall erforderlich, Anfragen bei den Flugplatz-, Luftfahrt- und Flugsicherungsunternehmen sowie dem gegenwärtigen Arbeitgeber des Betroffenen nach dort vorhandenen, für die Beurteilung der Zuverlässigkeit bedeutsamen Informationen.
(3) Bei Zweifeln an der Zuverlässigkeit des Betroffenen darf die Luftfahrtbehörde außerdem zur Behebung dieser Zweifel erforderliche Auskünfte von Strafverfolgungsbehörden einholen.
(4) Die Luftfahrtbehörde gibt dem Betroffenen vor ihrer Entscheidung Gelegenheit, sich zu den eingeholten Auskünften zu äußern, soweit diese Zweifel an seiner Zuverlässigkeit begründen und Geheimhaltungspflichten nicht entgegenstehen. Stammen die Erkenntnisse von einer der in Absatz 2 Nr. 2 genannten Stellen, ist diese vorher zu hören. Der Betroffene ist verpflichtet, wahrheitsgemäße Angaben zu machen und ihm nachträglich bekannt werdende, für die Überprüfung bedeutsame Tatsachen unverzüglich anzuzeigen. Er kann Angaben verweigern, die für ihn, eine der in § 52 Abs. 1 der Strafprozessordnung genannten Personen oder den Lebensgefährten die Gefahr strafrechtlicher Verfolgung oder...
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