Beschluss vom 08. Oktober 1996 - 1 BvR 875/92
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:1996:rs19961008.1bvr087592 |
Judgement Number | 1 BvR 875/92 |
Date | 08 Octubre 1996 |
Citation | BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 08. Oktober 1996 - 1 BvR 875/92 - Rn. (1-47), |
Court | Constitutional Court (Germany) |
L e i t s a t z
zum Beschluß des Ersten Senats vom 8. Oktober 1996
- 1 BvR 875/92 -
- Die Auslegung des Vermögensgesetzes, daß zivilrechtliche Ansprüche ausgeschlossen sind, die auf eine unlautere Machenschaft im Sinne des § 1 Abs. 3 dieses Gesetzes gestützt werden, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 875/92 -
des Herrn Sch..., |
- Bevollmächtigte: Rechtsanwältin Silke Scheuch, Weberstraße 10, Karlsruhe -
gegen |
a) |
das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 3. April 1992 - V ZR 83/91 -, |
b) |
das Urteil des Bezirksgerichts Potsdam vom 29. Januar 1991 - 1 BZB 240/90 - |
hat das Bundesverfassungsgericht - Erster Senat - unter Mitwirkung
des Vizepräsidenten Seidl,
der Richter Grimm,
Kühling,
der Richterinnen Jaeger,
Haas
und der Richter Hömig,
Steiner
am 8. Oktober 1996 beschlossen:
A.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft das Verhältnis zwischen der Restitution nach dem Vermögensgesetz und zivilrechtlichen Rechten im Fall der Veräußerung eines Grundstücks zu dem Zweck, die Genehmigung zur Ausreise aus der Deutschen Demokratischen Republik zu erhalten.
I.
1. Wer als Bürger der Deutschen Demokratischen Republik in die Bundesrepublik Deutschland übersiedeln wollte, mußte vor Erteilung der erforderlichen Ausreisegenehmigung eine ordnungsgemäße Regelung seiner Grundstücksangelegenheiten nachweisen. Als eine solche Regelung kam nach den einschlägigen Bestimmungen der Deutschen Demokratischen Republik in Betracht, den Grundbesitz zu verkaufen, zu verschenken oder durch einen Bevollmächtigten verwalten zu lassen (vgl. § 14 Abs. 2 Buchstabe e der Verordnung über Reisen von Bürgern der Deutschen Demokratischen Republik nach dem Ausland vom 30. November 1988
Nach Art. 232 § 1 EGBGB bleibt für ein Schuldverhältnis, das vor dem Wirksamwerden des Beitritts entstanden ist, das bisher dafür geltende Recht maßgebend. Auf rechtswidriger Drohung beruhende Verträge waren nach § 70 Abs. 1 ZGB anfechtbar. Der Vertragspartner konnte der - fristgebundenen - Anfechtung widersprechen (§ 70 Abs. 2 ZGB). Der Anfechtende hatte nach § 70 Abs. 2 Satz 2 ZGB in Verbindung mit § 10 Abs. 1 Nr. 3 der Zivilprozeßordnung der Deutschen Demokratischen Republik vom 19. Juni 1975 (GBl I S. 533) die Möglichkeit, die Berechtigung der Anfechtung durch Feststellungsklage gerichtlich klären zu lassen (vgl. Kommentar zum Zivilgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik und zum Einführungsgesetz zum Zivilgesetzbuch der Deutschen Demokratischen Republik, hrsg. vom Ministerium der Justiz, 2. Aufl. 1985 - im folgenden: ZGB-Kommentar -, § 70 ZGB Anm. 2.2.). Die erfolgreiche Anfechtung des Vertrages führte zu dessen Nichtigkeit (vgl. § 70 Abs. 3 Satz 1 ZGB) und als Folge der Beseitigung des Abstraktionsprinzips durch das Zivilgesetzbuch zum Rückfall des Eigentums an den Veräußerer (vgl. ZGB-Kommentar, § 26 ZGB Anm. 1.1.).
2. Für Grundstücksveräußerungen, die auf unlauteren Machenschaften beruhen, sind öffentlichrechtliche Regelungen im Gesetz zur Regelung offener Vermögensfragen - im folgenden: Vermögensgesetz (VermG) - enthalten, das als Anlage II Kapitel III Sachgebiet B Abschnitt I Nr. 5 zum Einigungsvertrag noch als Recht der Deutschen Demokratischen Republik in Kraft trat (vgl. Verfassungsgesetz der Deutschen Demokratischen Republik vom 20. September 1990
3. Wie sich die Regelungen des Vermögensgesetzes über die Rückübertragung von Vermögenswerten im Fall unlauterer Machenschaften zu der zivilrechtlichen Vertragsanfechtung nach § 70 ZGB verhalten, ist im Vermögensgesetz nicht ausdrücklich geregelt. Im Schrifttum werden hierzu unterschiedliche Meinungen vertreten (vgl. etwa Adlerstein/Adlerstein, DtZ 1991, S. 417; Raabe/Niewald, NJ 1992, S. 71; Göhring/Lübchen, NJ 1992, S. 73; Grün, VIZ 1992, S. 319; dies., ZIP 1993, S. 170; Leipold, JZ 1993, S. 703; Wasmuth, in: Rechtshandbuch Vermögen und Investitionen in der ehemaligen DDR, Bd. II, Einf VermG Rn. 224 f.
II.
1. Der Beschwerdeführer verkaufte im September 1989 durch notariell beurkundeten Vertrag sein in der Deutschen Demokratischen Republik belegenes Grundstück an die Beklagten des Ausgangsverfahrens, weil ihm - nach seinem Vortrag - die beantragte Ausreise von der zuständigen Stelle nur unter der Voraussetzung gestattet worden war, daß er sein Grundvermögen veräußere. Anschließend übersiedelte der Beschwerdeführer in die Bundesrepublik Deutschland, von wo er Ende November 1989 in die Deutsche Demokratische Republik zurückkehrte.
2. Mit seiner den Beklagten am 4. April 1990 zugestellten Klage beantragte der Beschwerdeführer, die Nichtigkeit des Grundstückskaufvertrags wegen rechtswidriger Drohung (§ 70 ZGB) festzustellen und die Beklagten zur Räumung und zur Herausgabe des Grundstücks an ihn zu verurteilen.
a) Das Kreisgericht hat der Klage - noch vor dem Beitritt - stattgegeben. Dagegen hat das Bezirksgericht die Klage auf die Berufung der Beklagten als unzulässig abgewiesen. Im anhängigen Verfahren gehe es um die Anfechtung und Rückabwicklung eines Grundstückskaufvertrags, der nach den Darlegungen des Beschwerdeführers durch unlautere Machenschaften der damaligen Staatsorgane zustande gekommen sei. Ein derartiger Vertrag könnte unter den Voraussetzungen des § 70 ZGB durch das Zivilgericht für nichtig erklärt werden. Nach den - inzwischen in Kraft getretenen - Vorschriften der Verordnung über die Anmeldung vermögensrechtlicher Ansprüche vom 11. Juli 1990 (GBl I S. 718) und des Vermögensgesetzes könnten Vermögensansprüche aufgrund unlauterer Machenschaften jedoch nur im Rahmen dieser Bestimmungen und nicht auf dem ordentlichen Gerichtsweg geklärt werden.
b) Die vom Beschwerdeführer gegen dieses Urteil eingelegte Revision hat der Bundesgerichtshof zurückgewiesen. Der vorliegende Rechtsstreit gehöre vor die Verwaltungsgerichte. Das Vermögensgesetz habe für vermögensrechtliche Ansprüche, die auf eine Nötigung von seiten staatlicher Stellen zur Veräußerung von Grundbesitz zurückzuführen seien, einen ausschließlichen öffentlichrechtlichen Rückübertragungsanspruch geschaffen und jeden Rechtsstreit hierüber den Verwaltungsgerichten zugewiesen.
Für die Wiedergutmachung von Teilungsunrecht habe die Gemeinsame Erklärung der beiden deutschen Regierungen zur Regelung offener Vermögensfragen vom 15. Juni 1990 (BGBl II S. 1237) den Leitgedanken des sozial verträglichen Ausgleichs vorgegeben. Dem folgend habe sich das Vermögensgesetz von der Möglichkeit abgekehrt, nach § 70 ZGB durch Vertragsanfechtung den Rechtserwerb aufgrund unlauterer Machenschaften ohne Rücksicht auf die Redlichkeit des Erwerbs rückgängig zu machen, und der Redlichkeit des Erwerbs den Vorrang vor dem...
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