BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 895/16 -
über
die Verfassungsbeschwerde
der A., vertreten durch B., |
||
diese vertreten durch die Geschäftsführer, |
- Bevollmächtigte:
-
Rechtsanwälte Redeker, Sellner, Dahs,
Partnerschaftsgesellschaft mbB,
Leipziger Platz 3, 10117 Berlin -
gegen |
1. |
§ 5 Absatz 1 Nummer 1, § 6 Absatz 1, Absatz 2 Nummer 1, |
§ 18 Absatz 2 Satz 1 in Verbindung mit Satz 2 Nummer 3 |
||
des Gesetzes über Tabakerzeugnisse und verwandte |
||
Erzeugnisse (Tabakerzeugnisgesetz - TabakerzG) |
||
vom 4. April 2016 (Bundesgesetzblatt Seite 569 ff.), |
||
2. |
§§ 12 bis 16 der Verordnung zur Umsetzung der Richtlinie |
|
über Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse |
||
(Tabakerzeugnisverordnung - TabakerzV) vom 27. April 2016 |
||
(Bundesgesetzblatt Seite 980 ff.) |
hier: | Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
hat die 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Gaier,
Schluckebier,
Paulus
gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 18. Mai 2016 einstimmig beschlossen:
- Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt
I.
Die Beschwerdeführerin, die verschiedene Tabakerzeugnisse herstellt, wendet sich mit ihrer Verfassungsbeschwerde gegen einzelne Regelungen des Gesetzes über Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse (Tabakerzeugnisgesetz - TabakerzG) vom 4. April 2016 (BGBl I S. 569) und der Verordnung zur Umsetzung der Richtlinie über Tabakerzeugnisse und verwandte Erzeugnisse (Tabakerzeugnisverordnung - TabakerzV) vom 27. April 2016 (BGBl I S. 980). Sie beanstandet unter anderem die Vorschriften zur verpflichtenden Gestaltung von Verpackungen und Außenverpackungen mit erweiterten gesundheitsbezogenen Warnhinweisen („Schockfotos“; § 6 Abs. 1 TabakerzG, §§ 12 bis 16 TabakerzV), zum Verbot des Inverkehrbringens von Zigaretten und Tabaken zum Selbstdrehen mit charakteristischen Aromen (§ 5 Abs. 1 TabakerzG), soweit es sich auf mentholisierten Tabak zum Selbstdrehen erstreckt, sowie zum Verbot irreführender werblicher Informationen auf Packungen, Außenverpackungen oder Tabakerzeugnissen, die sich auf Geschmack, Geruch, Aromastoffe und sonstige Zusatzstoffe oder deren Fehlen beziehen (§ 18 Abs. 2 Satz 1, Satz 2 Nr. 3 TabakerzG). Zugleich beantragt sie, im Wege der einstweiligen Anordnung das Inkrafttreten dieser Bestimmungen zum 20. Mai 2016 für einen näher bezeichneten Zeitraum auszusetzen.
1. Die Beschwerdeführerin ist ihrem Vortrag zufolge ein […]unternehmen mit […] Mitarbeitern. Sie bezieht Tabake aus der ganzen Welt, die sie hauptsächlich an ihrem deutschen Produktionsstandort verarbeitet. Vornehmlich produziert sie für den deutschen Markt. Rund […] % ihrer Produkte exportiert sie in insgesamt […] Länder innerhalb und außerhalb Europas. Der Schwerpunkt der Produktion liegt in der Herstellung sogenannter Feinschnitttabake (Tabak zum Selbstdrehen) und von Pfeifentabaken. Daneben produziert die Beschwerdeführerin Wasserpfeifentabak mit unterschiedlichen Geschmacksrichtungen und in geringem Umfang auch Zigarillos und Raucherzubehör. Zu ihren Produkten gehört ferner eine kleine Serie verschiedener aromatisierter Zigaretten.
Zu den erfolgreichen Pfeifentabakmischungen der Beschwerdeführerin gehören aromatisierte Tabake, die seit den 1960er Jahren am deutschen Markt etabliert sind. Die Beschwerdeführerin und ihre verbundenen Unternehmen haben im Bereich der Pfeifentabake in Deutschland derzeit einen Marktanteil von rund […] % und sind Inhaber von rund […] geschützten Marken. In den letzten Jahrzehnten hat daneben die Produktion von Feinschnitttabaken an Bedeutung gewonnen, mit deren Handel die Beschwerdeführerin mittlerweile rund […] % ihres Umsatzes erzielt. Mit ihrem Feinschnittangebot konkurriert die Beschwerdeführerin mit den vollständig industriell gefertigten Zigaretten von Großanbietern. Während jene den internationalen und nationalen Zigarettenmarkt klar dominieren, behaupten sich auch mittelständische Unternehmen wie sie bei den Alternativprodukten zur Zigarette wie dem Tabak zum Selbstdrehen. Eine besondere Spezialität der Beschwerdeführerin ist der Menthol-Feinschnitt, also mentholisierter Tabak zum Selbstdrehen von Zigaretten. Anders als bei anderen Wettbewerbern hat er für sie eine besonders große wirtschaftliche Bedeutung. Er macht rund […] % des Umsatzes des von ihr vertriebenen Feinschnitts aus.
Bei den für die Herstellung und Verpackung von Feinschnitt und Pfeifentabaken eingesetzten Maschinen handelt es sich nach den Angaben der Beschwerdeführerin um Spezialmaschinen, die weltweit nur in sehr kleinen Stückzahlen produziert werden. Gerade die älteren Anlagen sind Einzelstücke, die nur von wenigen Technikern gewartet und überholt werden können.
2. Mit dem Tabakerzeugnisgesetz und der Tabakerzeugnisverordnung setzt der Bundesgesetzgeber die Richtlinie 2014/40/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 3. April 2014 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Herstellung, die Aufmachung und den Verkauf von Tabakerzeugnissen und verwandten Erzeugnissen und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/37/EG (im Folgenden: EU-Tabakproduktrichtlinie II - EUTPD II, ABl Nr. L 127 vom 29. April 2014, S. 1) in deutsches Recht um. Die Richtlinie sieht unter anderem Verbote vor, die das Inverkehrbringen von Tabakerzeugnissen mit einem charakteristischen Aroma sowie von solchen Produkten betreffen, deren Bestandteile Aromastoffe enthalten, mit denen sich Geruch, Geschmack oder Rauchintensität verändern lassen (Art. 7 Abs. 1, Abs. 7 EUTPD II). Weiter beinhaltet sie Verbote von Elementen oder Merkmalen auf der Packung, der Außenverpackung oder dem Tabakerzeugnis selbst, die sich auf Geschmack, Geruch, eventuelle Aromastoffe oder sonstige Zusatzstoffe oder deren Fehlen beziehen (Art. 13 Abs. 1 Buchst. c EUTPD II). Sie enthält außerdem die Vorgabe, dass Packungen und Außenverpackungen von Rauchtabakerzeugnissen allgemeine und kombinierte gesundheitsbezogene Warnhinweise tragen müssen (Art. 8 Abs. 1 i.V.m. Art. 9 und 10 EUTPD II). Die Richtlinie schreibt eine Umsetzungsfrist bis zum 20. Mai 2016 vor (Art. 29 Abs. 1 EUTPD II). Übergangsweise dürfen die Mitgliedstaaten unter anderem das Inverkehrbringen von nach Maßgabe der bisherigen Vorschriften hergestellten Tabakerzeugnissen bis zum 20. Mai 2017 zulassen (sog. Abverkaufsregelung, Art. 30 Buchst. a EUTPD II). Darüber hinaus gilt das Verbot des Inverkehrbringens für Tabakerzeugnisse mit einem charakteristischen Aroma, deren unionsweite Verkaufsmengen 3 % oder mehr einer bestimmten Erzeugniskategorie darstellen, erst ab dem 20. Mai 2020 (Art. 7 Abs. 14 EUTPD II). Die Festlegung der genauen Anordnung des allgemeinen Warnhinweises (Art. 9 Abs. 6 EUTPD II) sowie der technischen Spezifikationen für Layout, Gestaltung und Form der kombinierten Warnhinweise (Art. 10 Abs. 4 EUTPD II) sind der Kommission vorbehalten. Die entsprechenden Durchführungsbeschlüsse der Kommission datieren vom 24. September 2015 und vom 9. Oktober 2015. Sie wurden am 29. September 2015 (ABl Nr. L 252, S. 49) und am 14. Oktober 2015 (ABl Nr. L 267, S. 5) veröffentlicht.
Mit dem Tabakerzeugnisgesetz werden die grundlegenden Vorgaben der EU-Tabakproduktrichtlinie II auf Gesetzesebene umgesetzt, während die Tabakerzeugnisverordnung eher technische Detailregelungen enthält, die sowohl auf vom jeweils aktuellen Stand wissenschaftlicher Entwicklung abhängigen Parametern als auch auf den konkretisierenden Rechtsakten der Kommission basieren (Gesetzesbegründung, BRDrucks 630/15 vom 18. Dezember 2015, S. 36). Die Bundesregierung hat dem Bundesrat den Entwurf des Tabakerzeugnisgesetzes am 18. Dezember 2015 unter Hinweis auf die besondere Eilbedürftigkeit zugeleitet (BRDrucks 630/15). Die Übermittlung der Tabakerzeugnisverordnung erfolgte am 12. Januar 2016 (BRDrucks 17/16). Nach Stellungnahme des Bundesrates wurde der Gesetzentwurf am 11. Januar 2016 dem Deutschen Bundestag übermittelt (BTDrucks 18/7218). Der Deutsche Bundestag hat das Tabakerzeugnisgesetz am 25. Februar 2016 verabschiedet (BRDrucks 95/16). Der Bundesrat hat dem Tabakerzeugnisgesetz und der Tabakerzeugnisverordnung am 18. März 2016 zugestimmt und seine Zustimmung mit der Aufforderung an die Bundesregierung verbunden, sich gegenüber der Kommission für angemessene Übergangsvorschriften für die im Zusammenhang mit der Anbringung der neuen Warnhinweise notwendigen Produktionsumstellungen einzusetzen (BRDrucks 95/16 [B]; BRDrucks 17/16 [B]).
Die angegriffenen Vorschriften setzen die Vorgaben der Richtlinie der Stellungnahme des Nationalen Normenkontrollrates zufolge „eins zu eins“ um (BRDrucks 630/15 vom 18. Dezember 2015, Anlage S. 1 und 6). § 5 Abs. 1 Nr. 1 TabakerzG verbietet das Inverkehrbringen von Zigaretten und Tabaken zum Selbstdrehen, die ein charakteristisches Aroma haben oder Aromastoffe in ihren Bestandteilen enthalten oder sonstige technische Merkmale aufweisen, mit denen sich der Geruch oder Geschmack oder die Rauchintensität verändern lassen. Für Zigaretten und Tabake zum Selbstdrehen mit einem charakteristischen Aroma, deren unionsweite Verkaufsmengen 3 % oder mehr einer bestimmten Erzeugniskategorie ausmachen, gilt das Verbot des Inverkehrbringens erst ab dem 20. Mai 2020 (§ 47 Abs. 4 TabakerzG). Nach § 18 Abs. 2 Satz 1 TabakerzG ist es verboten,...