Beschluss vom 20. März 2013 - 2 BvF 1/05
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2013:fs20130320.2bvf000105 |
Citation | BVerfG, Beschluss des Zweiten Senats vom 20. März 2013 - 2 BvF 1/05 - Rn. (1-90), |
Judgement Number | 2 BvF 1/05 |
Date | 20 Marzo 2013 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvF 1/05 -
über den Antrag festzustellen, dass
die Vorschriften der §§ 13 bis 15 des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG) in der Fassung des Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (BGBl I S. 78) wegen Verstoßes gegen Art. 87a Abs. 2 in Verbindung mit Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG sowie die Vorschriften des § 16 Abs. 2 und Abs. 3 Satz 2 und 3 LuftSiG in der Fassung des Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben und des Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben wegen Verstoßes gegen Art. 87d Abs. 2 GG in Verbindung mit dem Grundsatz des bundesfreundlichen Verhaltens mit dem Grundgesetz unvereinbar und nichtig sind,
Antragstellerinnen: | 1. | Bayerische Staatsregierung, vertreten durch den Ministerpräsidenten, Franz-Josef-Strauß-Ring 1, 80539 München |
2. | Hessische Landesregierung, vertreten durch den Ministerpräsidenten, Bierstadter Straße 2, 65189 Wiesbaden |
Rothenberg Süd 4, 82431 Kochel -
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat - unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Präsident Voßkuhle,
Lübbe-Wolff,
Gerhardt,
Landau,
Huber,
Hermanns,
Müller,
Kessal-Wulf
am 20. März 2013 beschlossen:
- Soweit der Antrag sich auf § 14 Absatz 3 des Luftsicherheitsgesetzes in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite 78) bezog, wird das Verfahren eingestellt.
- § 13 Absatz 3 Satz 2 und 3 des Luftsicherheitsgesetzes in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite 78) ist mit Artikel 35 Absatz 3 Satz 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig.
- Im Übrigen sind die §§ 13 bis 15 des Luftsicherheitsgesetzes in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite 78), geändert durch Artikel 7 Nummer 2 des Gesetzes zur Errichtung eines Bundesaufsichtsamtes für Flugsicherung und zur Änderung und Anpassung weiterer Vorschriften vom 29. Juli 2009 (Bundesgesetzblatt I Seite 2424) - soweit nicht als Folge der Nichtigerklärung des § 14 Absatz 3 des Luftsicherheitsgesetzes durch das Urteil des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Februar 2006 - 1 BvR 357/05 - gegenstandslos geworden (§ 14 Absatz 4 Satz 1 Luftsicherheitsgesetz und die in § 15 Absatz 1 und 2 Luftsicherheitsgesetz enthaltenen Bezugnahmen auf § 14 Absatz 3 Luftsicherheitsgesetz) - in den genannten Fassungen mit dem Grundgesetz vereinbar.
- § 16 Absatz 2 und Absatz 3 Satz 2 und 3 des Luftsicherheitsgesetzes in der Fassung des Artikels 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (Bundesgesetzblatt I Seite 78) sowie Artikel 2 Nummer 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben sind mit dem Grundgesetz vereinbar.
Der Antrag im Verfahren der abstrakten Normenkontrolle betrifft die Vorschriften des Luftsicherheitsgesetzes (LuftSiG) zur Verwendung der Streitkräfte bei einem besonders schweren Unglücksfall (Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG), der von einem Luftfahrzeug ausgeht (§§ 13 bis 15 LuftSiG), sowie die gesetzlichen Bestimmungen, die es dem Bund erlauben, Luftsicherheitsaufgaben, die den Ländern zur Ausführung in Auftragsverwaltung übertragen sind (§ 16 Abs. 2 LuftSiG), durch Entscheidung des Bundesministeriums des Innern wieder an sich zu ziehen (§ 16 Abs. 3 Satz 2 und 3 i.V.m. § 16 Abs. 2 LuftSiG, Art. 2 Nr. 10 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005
I.
1. Das Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005 (BGBl I S. 78) und - als dessen Artikel 1 - das Luftsicherheitsgesetz traten am 15. Januar 2005 in Kraft (zu den Hintergründen BVerfGE 115, 118 ). Die im Antrag genannten Bestimmungen sind in der damaligen Fassung zur Prüfung gestellt. In dieser Fassung haben sie folgenden Wortlaut:
§ 13 LuftSiG
Entscheidung der Bundesregierung
(1) Liegen auf Grund eines erheblichen Luftzwischenfalls Tatsachen vor, die im Rahmen der Gefahrenabwehr die Annahme begründen, dass ein besonders schwerer Unglücksfall nach Artikel 35 Abs. 2 Satz 2 oder Abs. 3 des Grundgesetzes bevorsteht, können die Streitkräfte, soweit es zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist, zur Unterstützung der Polizeikräfte der Länder im Luftraum zur Verhinderung dieses Unglücksfalles eingesetzt werden.
(2) Die Entscheidung über einen Einsatz nach Artikel 35 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes trifft auf Anforderung des betroffenen Landes der Bundesminister der Verteidigung oder im Vertretungsfall das zu seiner Vertretung berechtigte Mitglied der Bundesregierung im Benehmen mit dem Bundesminister des Innern. Ist sofortiges Handeln geboten, ist das Bundesministerium des Innern unverzüglich zu unterrichten.
(3) Die Entscheidung über einen Einsatz nach Artikel 35 Abs. 3 des Grundgesetzes trifft die Bundesregierung im Benehmen mit den betroffenen Ländern. Ist eine rechtzeitige Entscheidung der Bundesregierung nicht möglich, so entscheidet der Bundesminister der Verteidigung oder im Vertretungsfall das zu seiner Vertretung berechtigte Mitglied der Bundesregierung im Benehmen mit dem Bundesminister des Innern. Die Entscheidung der Bundesregierung ist unverzüglich herbeizuführen. Ist sofortiges Handeln geboten, sind die betroffenen Länder und das Bundesministerium des Innern unverzüglich zu unterrichten.
(4) Das Nähere wird zwischen Bund und Ländern geregelt. Die Unterstützung durch die Streitkräfte richtet sich nach den Vorschriften dieses Gesetzes.
§ 14 LuftSiG
Einsatzmaßnahmen, Anordnungsbefugnis
(1) Zur Verhinderung des Eintritts eines besonders schweren Unglücksfalles dürfen die Streitkräfte im Luftraum Luftfahrzeuge abdrängen, zur Landung zwingen, den Einsatz von Waffengewalt androhen oder Warnschüsse abgeben.
(2) Von mehreren möglichen Maßnahmen ist diejenige auszuwählen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Die Maßnahme darf nur so lange und so weit durchgeführt werden, wie ihr Zweck es erfordert. Sie darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht.
(3) Die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt ist nur zulässig, wenn nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Luftfahrzeug gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll, und sie das einzige Mittel zur Abwehr dieser gegenwärtigen Gefahr ist.
(4) Die Maßnahme nach Absatz 3 kann nur der Bundesminister der Verteidigung oder im Vertretungsfall das zu seiner Vertretung berechtigte Mitglied der Bundesregierung anordnen. Im Übrigen kann der Bundesminister der Verteidigung den Inspekteur der Luftwaffe generell ermächtigen, Maßnahmen nach Absatz 1 anzuordnen.
§ 15 LuftSiG
Sonstige Maßnahmen
(1) Die Maßnahmen nach § 14 Abs. 1 und 3 dürfen erst nach Überprüfung sowie erfolglosen Versuchen zur Warnung und Umleitung getroffen werden. Zu diesem Zweck können die Streitkräfte auf Ersuchen der für die Flugsicherung zuständigen Stelle im Luftraum Luftfahrzeuge überprüfen, umleiten oder warnen. Ein generelles Ersuchen ist zulässig. Die Voraussetzungen für ein Tätigwerden werden in diesem Fall durch vorherige Vereinbarung festgelegt.
(2) Der Bundesminister der Verteidigung kann den Inspekteur der Luftwaffe generell ermächtigen, Maßnahmen nach Absatz 1 anzuordnen. Der Inspekteur der Luftwaffe hat den Bundesminister der Verteidigung unverzüglich über Situationen zu informieren, die zu Maßnahmen nach § 14 Abs. 1 und 3 führen könnten.
(3) Die sonstigen Vorschriften und Grundsätze der Amtshilfe bleiben unberührt.
§ 16 LuftSiG
Zuständigkeiten
(1) ...
(2) Die Aufgaben der Luftsicherheitsbehörden nach diesem Gesetz und nach der Verordnung (EG) Nr. 2320/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Festlegung gemeinsamer Vorschriften für die Sicherheit in der Zivilluftfahrt (ABl. EG Nr. L 355 S. 1) werden von den Ländern im Auftrage des Bundes ausgeführt, soweit in den Absätzen 3 und 4 nichts anderes bestimmt ist.
(3) ... Im Übrigen können die Aufgaben der Luftsicherheitsbehörden nach diesem Gesetz in bundeseigener Verwaltung ausgeführt werden, wenn dies zur Gewährleistung der bundeseinheitlichen Durchführung der Sicherheitsmaßnahmen erforderlich ist. In den Fällen des Satzes 2 werden die Aufgaben von der vom Bundesministerium des Innern bestimmten Bundesbehörde wahrgenommen; das Bundesministerium des Innern macht die Übernahme von Aufgaben sowie die zuständigen Bundesbehörden im Bundesanzeiger bekannt.
(4) ...
Art. 2 Nr. 10 Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben
Änderung des Luftverkehrsgesetzes
Das Luftverkehrsgesetz in der Fassung der Bekanntmachung vom 27. März 1999 (BGBl. I S. 550), zuletzt geändert durch Artikel 2 des Gesetzes vom 6. April 2004 (BGBl. I S. 550, 1027), wird wie folgt geändert:
...
10. § 31 Abs. 2 wird wie folgt geändert:
a) In Nummer 18 wird das Semikolon am Ende durch einen Punkt ersetzt.
b) Nummer 19 wird aufgehoben.
...
Bei dem gemäß Buchstabe b) dieser Bestimmung aufgehobenen § 31 Abs. 2 Nr. 19 des LuftVG a.F. handelte es sich um die frühere Regelung zur Art und Weise der Ausführung von Aufgaben des Schutzes vor Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs. Für diese Aufgaben war danach grundsätzlich die Ausführung durch die Länder im Auftrage des Bundes vorgesehen und die Möglichkeit der...
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