BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 708/18 -
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn S…, |
gegen |
den Beschluss des Landgerichts Aurich vom 3. April 2018 - 12 Qs 44/18, 12 Qs 47/18 - |
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richterin Hermanns,
den Richter Müller
und die Richterin Langenfeld
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der
Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 20. September 2018 einstimmig beschlossen:
- Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen
I.
Der Beschwerdeführer wendet sich mit seiner Verfassungsbeschwerde gegen die Sicherstellung und Auswertung von bei ihm im Rahmen einer Wohnungsdurchsuchung aufgefundenen technischen Geräten und Datenträgern.
1. Im November 2017 erhielt die Polizei von einem Mitarbeiter der Betreibergesellschaft des Internetportals „www.poppen.de“ den Hinweis, dass ein Mitglied des Portals sich unter dem Pseudonym „O.“ mit anderen Mitgliedern in Chats über Sex vor und mit den eigenen minderjährigen Kindern unterhalte. Die entsprechenden Chat-Verläufe stellte der Hinweisgeber der Polizei zur Verfügung.
Danach kommunizierte unter dem genannten Pseudonym eine sich als „Paula“ vorstellende Person im November 2017 mit drei weiteren Mitgliedern des Internetportals „www.poppen.de“ und behauptete in drastischer Sprache zahlreiche sexuelle Handlungen vor und mit ihren minderjährigen Kindern und ein damit verbundenes besonderes Maß an sexueller Erregung. Bereits das Anschauen ihrer Kinder auf dem Wickeltisch habe sie als sexuell erregend empfunden. Gleiches gelte für Ihren Mann, wenn sie ihrer Tochter als kleines Mädchen Röckchen und weiße Kniestrümpfe angezogen habe.
2. Die Ermittlungen der Polizei ergaben, dass zu einer der von „O.“ genutzten dynamischen IP-Adressen bei dem Internetanbieter noch Daten gespeichert waren. Dieser ordnete sie dem Anschluss des Beschwerdeführers zu. Außerdem waren für die von „O.“ bei dem Portal „www.poppen.de“ angegebene E-Mail-Adresse bei dem E-Mail-Anbieter die Daten des Beschwerdeführers als Inhaberdaten hinterlegt. Über die persönlichen Verhältnisse des Beschwerdeführers brachte die Polizei in Erfahrung, dass er und seine Ehefrau Eltern einer im Jahr 1986 geborenen Tochter sind, die Mutter von zwei Söhnen ist und mit ihrer Familie in derselben Stadt wohnt wie ihre Eltern.
3. Mit Beschluss vom 18. Januar 2018 ordnete das Amtsgericht auf der Grundlage von § 102 StPO die Durchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers zum Zwecke der Auffindung von PCs, sonstigen Kommunikationsmitteln und Datenträgern an, „welche den Chatverlauf und den Zugang zur Internetplattform ‚poppen.de‘ sowie Hinweise auf kinderpornographische bzw. sexuelle Handlungen zum Schaden Minderjähriger enthalten“. Der Beschwerdeführer sei aufgrund der polizeilichen Ermittlungen verdächtig, Geschlechtsverkehr vor und mit Minderjährigen durchgeführt zu haben, was gemäß § 176a StGB mit Strafe bedroht sei.
4. Die Durchsuchungsanordnung wurde am 9. Februar 2018 im Wohnhaus des Beschwerdeführers vollzogen. Dabei wurden insgesamt 17 technische Geräte sichergestellt, unter anderem zwei Laptops, zwei Videokameras, zwei Smartphones sowie mehrere Datenträger wie externe Festplatten und USB-Sticks. Der Beschwerdeführer widersprach der Sicherstellung, woraufhin das Amtsgericht auf Antrag der Staatsanwaltschaft die Beschlagnahme der im Sicherstellungsprotokoll aufgeführten Gegenstände mit Beschluss vom 13. Februar 2018 bestätigte. Zur Begründung führte es aus, dass der Beschwerdeführer verdächtig sei, zu einem bislang unbekannten Zeitpunkt in seiner Wohnung Geschlechtsverkehr vor beziehungsweise mit seiner damals elfjährigen Tochter ausgeübt zu haben.
5. Der Beschwerdeführer legte am 16. Februar 2018 Beschwerde gegen die Durchsuchungsanordnung vom 18. Januar 2018 ein. Mit Schriftsatz vom 5. März 2018 begründete er die Beschwerde und erstreckte sie auf den Beschluss des Amtsgerichts vom 13. Februar 2018. Er machte insbesondere geltend, dass es an einem Anfangsverdacht für die ihm vorgeworfene Tat fehle, und verwies insoweit auf eidesstattliche Versicherungen seiner Tochter, seiner Ehefrau und seines Schwiegersohns, die er bereits zuvor vorgelegt hatte. Seine Tochter hatte darin unter anderem angegeben, dass sie von ihrem Vater weder im Alter von elf Jahren an dessen Geburtstag im Jahr 1997 noch jemals davor oder danach sexuell belästigt, genötigt oder in unangemessener Weise angefasst oder gar vergewaltigt worden sei. Niemals habe es sexuelle Kontakte zwischen ihr und ihrem Vater gegeben. Der Beschwerdeführer machte weiter geltend, dass die angegriffenen Beschlüsse jedenfalls unverhältnismäßig seien. Vor einer Wohnungsdurchsuchung hätten die Ermittlungsbehörden unschwer zunächst seine Tochter zu den angeblichen Übergriffen befragen können. Zudem sei er als freier Journalist Berufsgeheimnisträger und auf den sichergestellten Datenträgern befänden sich Berichte über seine Tätigkeit für einen Landtagsabgeordneten, weswegen ein besonderer Schutz gelte.
6. Das Amtsgericht half der Beschwerde mit Beschluss vom 9. März 2018 nicht ab. Die Staatsanwaltschaft beantragte, die Beschwerde als unbegründet zurückzuweisen, und führte unter anderem aus, dass angesichts des „extrem sexualisierten und pervertierten“ Wortlauts der Chats aufgrund kriminalistischer Erfahrung die begründete Aussicht bestehe, dass sich auf den beschlagnahmten Datenträgern verbotene Inhalte im Sinne von Kinderpornographie befänden.
7. Mit angegriffenem Beschluss vom 3. April 2018 stellte das Landgericht fest, dass die Durchsuchungsanordnung rechtswidrig sei, verwarf aber die Beschwerde gegen den die Sicherstellung bestätigenden Beschluss vom 13. Februar 2018.
Das Landgericht bejahte aufgrund der Chat-Korrespondenz einen Anfangsverdacht wegen sexuellen Missbrauchs von Kindern gemäß § 176 StGB in der im Jahr 1997 gültigen Fassung. Weiter ging das Landgericht von einem Anfangsverdacht gegen den Beschwerdeführer wegen des Besitzes kinderpornographischer Schriften aus. Zwar sei im Rahmen der bisher ausgewerteten Korrespondenz über das Portal „www.poppen.de“ nicht explizit über derartige Schriften kommuniziert worden; insbesondere seien dort solche Schriften weder angeboten noch sei über ihren Empfang gesprochen worden. Gleichwohl ergebe sich aufgrund kriminalistischer Erfahrung eine auf Tatsachen gründende Wahrscheinlichkeit, dass derartige Schriften vorhanden seien und bei einer Durchsuchung aufgefunden werden könnten.
Das Landgericht kam zu dem Schluss, dass die Durchsuchungsanordnung nur bezüglich des Tatvorwurfs des sexuellen Missbrauchs von Kindern den formalen Anforderungen an einen Durchsuchungsbeschluss genüge, während der Tatvorwurf des Besitzes kinderpornographischer Schriften weder benannt noch hinreichend konkret umschrieben werde. Im Hinblick auf den deshalb allein maßgeblichen Vorwurf des sexuellen Missbrauchs von Kindern sei der mit der Durchsuchung verbundene Eingriff in das Grundrecht des Beschwerdeführers aus Art. 13 GG allerdings unverhältnismäßig. Denn die in Rede stehende Tat liege gut 20 Jahre zurück, so dass heute keine Nachweise mehr aufzufinden sein dürften. Es komme hinzu, dass als milderes Mittel eine Vernehmung der Tochter des Beschwerdeführers in Betracht gekommen wäre.
Die Voraussetzungen für eine Beschlagnahme lägen hingegen vor. Den bei dem Beschwerdeführer aufgefundenen Gegenständen komme angesichts des bestehenden Tatverdachts des Besitzes kinderpornographischer Schriften potenzielle Beweisbedeutung zu. Die rechtswidrige Durchsuchungsanordnung führe nicht zu einem Beweisverwertungsverbot, da der Richtervorbehalt beachtet worden sei und der Anordnung keine schwerwiegende Rechtsverletzung zugrunde liege. Es könne darauf abgestellt werden, dass die beschlagnahmten Beweismittel auch bei einem hypothetisch rechtmäßigen Ermittlungsverlauf gewonnen worden wären. Die journalistische Tätigkeit des Beschwerdeführers begründe kein Beschlagnahmeverbot, da er selbst Tatverdächtiger sei. Eine mögliche Beschlagnahmefreiheit aufgrund seiner Tätigkeit als Mitarbeiter eines Landtagsabgeordneten erstrecke sich allenfalls auf einzelne Inhalte, was bei der Auswertung der Datenträger zu berücksichtigen sei.
II.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde greift der Beschwerdeführer den Beschluss des Landgerichts vom 3. April 2018 an und wendet sich konkret gegen die Bestätigung der Sicherstellung der bei ihm aufgefundenen Datenträger als Grundlage für deren Auswertung. Die Sicherstellung und Auswertung verletze ihn in seinem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG. ...