Beschluss vom 21. September 2018 - 2 BvR 1649/17
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2018:rk20180921.2bvr164917 |
Citation | BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 21. September 2018 - 2 BvR 1649/17 - Rn. (1-47), |
Judgement Number | 2 BvR 1649/17 |
Date | 21 Septiembre 2018 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1649/17 -
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn G..., |
gegen |
a) |
den Beschluss des Kammergerichts vom 7. Juli 2017 - 5 Ws 107-108/17 Vollz -, |
b) |
den Beschluss des Kammergerichts vom 19. Juni 2017 - 5 Ws 107-108/17 Vollz -, |
|
c) |
den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 10. Februar 2017 - 596 StVK 102/16 Vollz -, |
|
d) |
den Beschluss des Landgerichts Berlin vom 10. Februar 2017 - 596 StVK 130/16 Vollz - |
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Huber
und die Richterinnen Kessal-Wulf,
König
am 21. September 2018 einstimmig beschlossen:
- Der Beschluss des Kammergerichts vom 19. Juni 2017 - 5 Ws 107-108/17 Vollz - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes und Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes
- Der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 10. Februar 2017 - 596 StVK 102/16 Vollz - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 1 Absatz 1 des Grundgesetzes
- Der Beschluss des Landgerichts Berlin vom 10. Februar 2017 - 596 StVK 130/16 Vollz - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 6 Absatz 1 des Grundgesetzes
- Die Beschlüsse werden aufgehoben und die Sachen an das Landgericht zurückverwiesen
- Der Beschluss des Kammergerichts vom 7. Juli 2017 - 5 Ws 107-108/17 Vollz - wird damit gegenstandslos.
- Das Land Berlin hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft zwei im weiteren Verfahrensverlauf verbundene Antragsverfahren gemäß § 109 des Strafvollzugsgesetzes (StVollzG), mit denen der Beschwerdeführer, der eine zeitige Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Tegel verbüßt, sich gegen die Versagung von Vollzugslockerungen, insbesondere Ausführungen, sowie eines Langzeitbesuchs wendete.
I.
1. Der Beschwerdeführer verbüßt aufgrund von Verurteilungen wegen gefährlicher Körperverletzung eine Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und drei Monaten in der Justizvollzugsanstalt Tegel. Den Zweidrittelzeitpunkt hat er am 12. September 2017 erreicht. Das Strafzeitende ist für den 12. Februar 2020 notiert. Er ist verheiratet, und seine Ehefrau hat einen Sohn in die Beziehung eingebracht.
2. Am 3. März 2016 beantragte er bei der Justizvollzugsanstalt die „unverzügliche Einleitung von Vollzugslockerungen, namentlich Ausgang, alternativ Ausführung“. Er sei seit mehr als drei Jahren und drei Monaten inhaftiert, und Vollzugslockerungen, die dazu dienten, den schädlichen Folgen des Freiheitsentzugs entgegenzuwirken, seien nunmehr angezeigt. Die Bedingungen in der Justizvollzugsanstalt seien für ihn schwer zu ertragen. Er sei zunächst in Bayern inhaftiert gewesen und habe seine Frau und seinen Sohn in einem Jahr nur drei Mal innerhalb einer Woche im Rahmen einer Besuchsüberstellung sehen können. Seine Ehe sei dadurch erheblich belastet worden. Nach der Verlegung nach Berlin seien Besuche zwar häufiger, sie fänden aber innerhalb der beklemmenden Umgebung der Justizvollzugsanstalt statt. Dies sei für seine Frau und seinen Sohn schwer erträglich.
3. Unter dem 6. März 2016 beantragte der Beschwerdeführer zudem die Erlaubnis für einen „Langzeitsprecher“ (Langzeitbesuch).
4. Die Anträge wurden im Rahmen der Vollzugsplanfortschreibung, die dem Beschwerdeführer am 20. April 2016 ausgehändigt wurde, abschlägig beschieden. Allgemein wurde ausgeführt, der Beschwerdeführer sei einschlägig wegen Gewaltstraftaten vorbelastet. Sein Bundeszentralregisterauszug weise 14 Eintragungen auf. Schwerpunktmäßig seien dies gewalttätige Auseinandersetzungen, Widerstandshandlungen und Betrug. Diese Straftaten gäben alle Hinweise auf ein mangelndes Selbstwertgefühl. Der Beschwerdeführer habe in zwei Fällen gegen vorherige Bezahlung sexuelle Handlungen mit Prostituierten vorgenommen, und als er Erektionsprobleme gehabt habe, sein Geld zurückverlangt. Als ihm dies jedenfalls teilweise verweigert worden sei, habe er die Prostituierten gewürgt und das Geld an sich genommen. Auch habe der Beschwerdeführer während der Untersuchungshaft einen Mitgefangenen verletzt, indem er ihn in den Schwitzkasten genommen, ihn mindestens zweimal mit der Faust ins Gesicht und auf den Kopf geschlagen und ihn zu Boden geworfen habe. Dabei habe er ihm den Kehlkopf mindestens eine halbe Minute fest zugedrückt, so dass der Mitgefangene zu röcheln begonnen habe. Aufgrund der hohen und wiederholten Gewalttätigkeiten seien die Prognoseparameter Anlassdelikt und Kriminalitätsentwicklung als ungünstig einzuschätzen. Da sich der Beschwerdeführer mit seinen Straftaten nicht auseinandersetze, weil er eigenen Angaben zufolge ein Wiederaufnahmeverfahren anstrebe und die Taten jedenfalls zum Teil bestreite, sei auch dies als ungünstig zu bewerten. Zwar verfüge der Beschwerdeführer über soziale Kompetenzen, die sich günstig auf die Prognose auswirkten, seine Persönlichkeitsstruktur sei aber angesichts seiner aggressiven Angespanntheit ungünstig. Der soziale Empfangsraum sei nicht einschätzbar. Der Beschwerdeführer gebe zwar an, verheiratet zu sein und, wie auch seine Ehefrau, ein Kind aus früherer Beziehung zu haben. Allerdings ergäben sich aus der familiären Einbindung keine Hinweise, dass diese „protektiv“ wirke. Es sei ungeklärt, ob die Ehefrau vollumfänglich über das Ausmaß der Straftaten des Beschwerdeführers Bescheid wisse oder ob dessen Tatleugnung womöglich darin begründet liege, dass er die Beziehung zu seiner Ehefrau erhalten wolle. Darüber hinaus zeige er im Vollzug querulatorische Verhaltensweisen, sei uneinsichtig und rechthaberisch, was sich mit zunehmendem Aufenthalt aber etwas gebessert habe. Disziplinarwürdig sei sein Verhalten bislang nicht gewesen. Dennoch sei davon auszugehen, dass der Beschwerdeführer seine Strafe werde voll verbüßen müssen. Er verfüge über gute Ressourcen im Leistungsbereich und wolle ein Studium aufnehmen, was im Vollzug jedoch nicht möglich sei. Er sei nicht in Haft, um seine Berufschancen, sondern um sein Sozialverhalten zu verbessern. Die Prognose insgesamt sei negativ, denn der Beschwerdeführer habe insoweit nicht an sich gearbeitet. An Behandlungsmaßnahmen zur Verbesserung seiner Legalprognose, wie etwa einer Sozialtherapie, habe er nicht teilgenommen. Ein Interesse zur Persönlichkeitsveränderung sei nicht ersichtlich. Die Begründung seiner Weigerungshaltung (angestrebtes Wiederaufnahmeverfahren) wirke konstruiert.
Für die Überstellung in den offenen Vollzug erfülle der Beschwerdeführer die charakterlichen Anforderungen nicht, zumal es erheblich an der Vereinbarungsfähigkeit mangele. Die konkrete Gefahr von Gewaltstraftaten dauere angesichts der nicht aufgearbeiteten Gewaltproblematik, die auch aus seinen Vorstrafen erkennbar sei, an. Für Vollzugslockerungen seien die Missbrauchsbefürchtungen deckungsgleich. Unbegleitete Lockerungen kämen angesichts des defizitären Behandlungsstandes nicht in Betracht. Dies gelte auch für Ausführungen. Das Auftreten des Gefangenen biete jederzeit Konfliktpotenzial, und er lasse im geschlossenen Vollzug keine Möglichkeit der Provokation oder Konfrontation aus. Das führe dazu, dass kein Bediensteter freiwillig die Begleitung einer Ausführung des Beschwerdeführers übernehmen wolle. Im Falle des Beschwerdeführers komme hinzu, dass Ausführungen Vorkehrungen erforderten, die „jedem sozialen Erleben entgegenstünden“. Wolle er zu einer Universität ausgeführt werden, um seinem Wunsch nach einem externen Studium nachzugehen, so scheide dies ganz offensichtlich aus, denn seine Ausführung bedürfte der Begleitung durch (bewaffnete) Bedienstete. Die sozialen Kontakte seien daher durch Besuche in der Justizvollzugsanstalt sicherzustellen.
Auch der Antrag auf einen Langzeitbesuch seiner Ehefrau sei abzulehnen. Zwar sei die Beziehung förderungswürdig und der Beschwerdeführer zeige keine disziplinarischen Auffälligkeiten, sondern verhalte sich hausordnungsgemäß, zwei der Anlassstraftaten seien jedoch in Zusammenhang mit sexuellem Versagen impulsiv geschehen. Es sei angesichts der Tatleugnung des Beschwerdeführers unbekannt, inwieweit die Ehefrau die Risiken eines gänzlich unbewachten Besuchs objektiv einschätzen könne. Bei einem solchen Besuch könne sich die Besucherin in einer Situation wiederfinden, die mit der Ausgangssituation der Anlasstaten vergleichbar sei. Ein Gespräch mit der Ehefrau zur Sachverhaltsaufklärung scheide aus. Überdies fehle es dem Beschwerdeführer an dem für einen Langzeitbesuch hinreichenden Maß an Verlässlichkeit und Vereinbarungsfähigkeit.
5. Am 25. April 2016 beantragte der Beschwerdeführer die gerichtliche Entscheidung hinsichtlich der versagten Vollzugslockerungen mit dem Antrag, die Ablehnung aufzuheben und die Justizvollzugsanstalt Tegel zu verpflichten, ihn „zu lockern, namentlich [...] auszuführen“ beziehungsweise ihm „Ausgang zu gewähren“. Die Justizvollzugsanstalt Tegel stelle ihn völlig falsch dar und habe entscheidungsrelevante Informationen nicht ermittelt. Die in der Vollzugsplanfortschreibung enthaltenen Darstellungen seiner Person seien nicht korrekt. Legte man die Schilderung der Justizvollzugsanstalt zugrunde, erscheine es unerklärlich, dass sein Verhalten trotz seiner angeblichen Aggressivität nie disziplinarwürdig gewesen sei. Zutreffend sei, dass er eine Sozialtherapie ablehne. Dies sei...
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Beschluss vom 18. September 2019 - 2 BvR 681/19
...dem Zweck dient, einer Fluchtgefahr entgegenzuwirken (vgl. BVerfG, Beschlüsse der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 21. September 2018 - 2 BvR 1649/17 -, Rn. 33; und vom 15. Mai 2018 - 2 BvR 287/17 -, Rn. 39; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. Juni 2012 - 2 BvR 865/11 -, Rn. ......
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Beschluss vom 07. Februar 2023 - 2 BvR 1057/22
...erreicht ist (vgl. BVerfGK 13, 181 ; 13, 409 ; 19, 157 ; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 21. September 2018 - 2 BvR 1649/17 -, Rn. 23; vgl. dazu auch Henke, in: Burkiczak/Dollinger/Schorkopf, BVerfGG, 2. Aufl. 2022, § 90 Rn. 169). 2. Die Verfassungsbeschwerde ist offe......
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Beschluss vom 18. Februar 2020 - 2 BvR 986/19
...Therapiebedürftigkeit versagt worden ist (vgl. zuletzt BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 21. September 2018 - 2 BvR 1649/17 -, Rn. 25 ff. m.w.N.) und der Beschwerdeführer insoweit auch über ein Feststellungsinteresse verfügte. Von einer weiteren Begründung wird nach § 9......
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