Beschluss vom 24. Januar 2022 - 1 BvR 2380/21
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2022:rs20220124.1bvr238021 |
Citation | BVerfG, Beschluss des Ersten Senats vom 24. Januar 2022 - 1 BvR 2380/21 -, Rn. 1-41, |
Date | 24 Enero 2022 |
Judgement Number | 1 BvR 2380/21 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 1 BvR 2380/21 -
- 1 BvR 2449/21 -
über
die Verfassungsbeschwerden
I. |
1. der Frau (…), | |
2. |
der Frau (…), | |
3. |
der Frau (…), |
- Bevollmächtigter:
- (…) -
gegen |
§ 50 Absatz 2 des Gesetzes über den Verkehr mit Tierarzneimitteln und zur Durchführung unionsrechtlicher Vorschriften betreffend Tierarzneimittel (Tierarzneimittelgesetz) vom 27. September 2021 (Bundesgesetzblatt I Seite 4530) |
hier: | Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
- 1 BvR 2380/21 -,
II. |
der Frau (...), |
- Bevollmächtigte:
- (…) -
gegen |
§ 50 Absatz 2 des Gesetzes über den Verkehr mit Tierarzneimitteln und zur Durchführung unionsrechtlicher Vorschriften betreffend Tierarzneimittel (Tierarzneimittelgesetz) vom 27. September 2021 (Bundesgesetzblatt I Seite 4530) |
hier: | Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
- 1 BvR 2449/21 -
hat das Bundesverfassungsgericht - Erster Senat -
unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Präsident Harbarth,
Paulus,
Baer,
Britz,
Ott,
Christ,
Radtke,
Härtel
am 24. Januar 2022 beschlossen:
- Die Anträge auf Erlass einer einstweiligen Anordnung werden abgelehnt
I.
Die Beschwerdeführerinnen wenden sich mit ihren Anträgen auf Erlass einer einstweiligen Anordnung und den damit verbundenen Verfassungsbeschwerden als praktizierende Tierheilpraktikerinnen mit dem Therapieschwerpunkt Klassische Homöopathie gegen § 50 Abs. 2 des Gesetzes über den Verkehr mit Tierarzneimitteln und zur Durchführung unionsrechtlicher Vorschriften betreffend Tierarzneimittel (Tierarzneimittelgesetz – TAMG) vom 27. September 2021 (BGBl I S. 4530), der zum 28. Januar 2022 in Kraft treten soll.
1. Die Klassische Homöopathie ist eine Behandlungsmethode aus dem Bereich der Alternativmedizin. Ihr liegt die Überzeugung zugrunde, dass ein bestimmter Stoff, der in höherer Konzentration an Gesunden ähnliche Symptome hervorruft wie die Krankheit, in geringerer Konzentration heilende Wirkungen entfaltet. Um toxische Wirkungen auszuschließen, kommen sogenannte Hochpotenzen mit einem Mindestverdünnungsgrad von 1/10.000 (Arzneimittel-Urtinktur/Fertigprodukt) zur Anwendung, welche die Selbstheilungskräfte des Organismus anstoßen sollen. Die zur Anwendung in der Klassischen Homöopathie vorgesehenen Arzneimittel lassen sich weder einem bestimmten Anwendungsgebiet noch einer bestimmten Indikation zuordnen. Vielmehr wird jeweils auf der Grundlage einer Anamnese im Einzelfall ermittelt, welches homöopathische Arzneimittel in welcher Dosierung eingesetzt werden soll (vgl. zum Ganzen: Böttger/Kirchner, in: Fuhrmann/Klein/Fleischfresser, Arzneimittelrecht, 3. Aufl. 2020, § 4 Rn. 10-49; Schumacher, Alternativmedizin, 2017, S. 29-31).
Die im Tierarzneimittelbereich verfügbaren Homöopathika ermöglichen kein Arbeiten nach den Prinzipien der Klassischen Homöopathie. Tierheilpraktikerinnen und Tierheilpraktiker, die – wie die Beschwerdeführerinnen – ihre tierischen Patienten im Wege der Klassischen Homöopathie behandeln, greifen daher auf Humanhomöopathika zurück.
2.a) Nach bisheriger und bis zum Ablauf des 27. Januar 2022 geltender Rechtslage ist auch Personen, die nicht Tierärztinnen oder Tierärzte sind, die Anwendung nicht-verschreibungspflichtiger Humanarzneimittel bei Tieren, die nicht der Gewinnung von Lebensmitteln dienen, gestattet. Dies ergibt sich – im Umkehrschluss – aus § 57a, § 58 Abs. 1 Arzneimittelgesetz (AMG). Verschreibungspflichtig sind grundsätzlich Arzneimittel, welche die in der Anlage 1 zur Arzneimittelverschreibungsverordnung (AMVV) bestimmten Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen enthalten (vgl. § 1 AMVV). Nach § 5 AMVV gilt dies allerdings nicht für Arzneimittel, die nach einer homöopathischen Verfahrenstechnik hergestellt sind, wenn die Endkonzentration dieser Arzneimittel im Fertigprodukt die vierte Dezimalpotenz nicht übersteigt, also das Fertigprodukt nicht mehr als 1/10.000 der Arzneimittel-Urtinktur enthält. Diese Voraussetzung erfüllen registrierte Humanhomöopathika (vgl. § 39 Abs. 2 Nr. 5b AMG), welche die Beschwerdeführerinnen ausschließlich anwenden.
b) Ab dem 28. Januar 2022 gilt in der Europäischen Union für Tierarzneimittel die Verordnung (EU) 2019/6 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 11. Dezember 2018 über Tierarzneimittel und zur Aufhebung der Richtlinie 2001/82/EG. Dies veranlasste den deutschen Gesetzgeber, ein Tierarzneimittelgesetz als eigenständiges Stammgesetz zur Durchführung der Verordnung (EU) 2019/6 zu erlassen und im Arzneimittelgesetz die bisher dort auf Tierarzneimittel bezogenen Regelungen zum 28. Januar 2022 aufzuheben.
Der angegriffene § 50 Abs. 2 TAMG, der am 28. Januar 2022 in Kraft treten soll, hat folgenden Wortlaut:
Tierhalterinnen und Tierhalter sowie andere Personen, die nicht Tierärztinnen oder Tierärzte sind, dürfen verschreibungspflichtige Tierarzneimittel und veterinärmedizintechnische Produkte sowie Arzneimittel nach § 2 Absatz 1, 2 und 3a des Arzneimittelgesetzes bei Tieren nur anwenden, soweit
1. diese von einer Tierärztin oder einem Tierarzt verschrieben oder abgegeben worden sind, bei der oder dem sich die Tiere in Behandlung befinden, und
2. die Anwendung gemäß einer tierärztlichen Behandlungsanweisung, die die Tierärztin oder der Tierarzt für den betreffenden Fall ausgehändigt hat, erfolgt.
§ 2 AMG („Arzneimittelbegriff“), auf den die angegriffene Norm verweist, hat in der ab dem 28. Januar 2022 gültigen Fassung folgenden Wortlaut:
(1) 1 Arzneimittel im Sinne dieses Gesetzes sind Arzneimittel, die zur Anwendung bei Menschen bestimmt sind. 2 Dies sind Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen,
1. die zur Anwendung im oder am menschlichen Körper bestimmt sind und als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder Linderung oder zur Verhütung menschlicher Krankheiten oder krankhafter Beschwerden bestimmt sind oder
2. die im oder am menschlichen Körper angewendet oder einem Menschen verabreicht werden können, um entweder
a) die physiologischen Funktionen durch eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Wirkung wiederherzustellen, zu korrigieren oder zu beeinflussen oder
b) eine medizinische Diagnose zu erstellen.
(2) Als Arzneimittel gelten Gegenstände, die ein Arzneimittel nach Absatz 1 enthalten oder auf die ein Arzneimittel nach Absatz 1 aufgebracht ist und die dazu bestimmt sind, dauernd oder vorübergehend mit dem menschlichen Körper in Berührung gebracht zu werden.
(3) Arzneimittel im Sinne dieses Gesetzes sind nicht
1. - 8. …
(3a) Arzneimittel sind auch Erzeugnisse, die Stoffe oder Zubereitungen aus Stoffen sind oder enthalten, die unter Berücksichtigung aller Eigenschaften des Erzeugnisses unter eine Begriffsbestimmung des Absatzes 1 fallen und zugleich unter die Begriffsbestimmung eines Erzeugnisses nach Absatz 3 fallen können.
(4) …
Nach § 4 Abs. 26 AMG sind auch Humanhomöopathika Arzneimittel im Sinne des Arzneimittelgesetzes und fallen daher unter die angegriffene Vorschrift des § 50 Abs. 2 TAMG.
Zweck der angegriffenen Regelung ist ausweislich der Gesetzentwurfsbegründung die Sicherstellung eines hohen Schutzniveaus bei der Anwendung von Tier- und Humanarzneimitteln bei Tieren, weil diese Auswirkungen auf die Lebensmittelkette, die Beschaffenheit von Lebensmitteln tierischen Ursprungs, die Umwelt, die Tiergesundheit und über die Entstehung und Ausbreitung von Antibiotikaresistenzen auch auf die öffentliche Gesundheit haben könne (vgl. BTDrucks 19/28658, S. 109, 128).
3. Die Beschwerdeführerinnen tragen vor, dass sie seit vielen Jahren hauptberuflich als Tierheilpraktikerinnen arbeiten und vor allem Hunde, Katzen und Pferde, zum Teil auch Kleintiere behandeln. Mit den Einnahmen aus ihrer Praxistätigkeit bestritten sie jedenfalls einen Großteil ihres Lebensunterhalts. Sie arbeiteten therapeutisch ausschließlich oder nahezu ausschließlich klassisch homöopathisch unter Verwendung hochpotenzierter registrierter Humanhomöopathika. Die Beschwerdeführerin zu II.) gibt an, dass sie daneben privat zwei Hunde und zwei Pferde hält, die sie als Tierhalterin bei Bedarf mit diesen Arzneimitteln behandelt.
4. Die Beschwerdeführerinnen zu I.) rügen eine Verletzung ihrer Berufsfreiheit, die Beschwerdeführerin zu II.) zusätzlich eine Verletzung von Art. 3 Abs. 1 GG und – als Tierhalterin – eine Verletzung ihrer allgemeinen Handlungsfreiheit, soweit die angegriffene Norm Tierheilpraktikerinnen und Tierheilpraktikern sowie Tierhalterinnen und Tierhaltern...
Um weiterzulesen
FORDERN SIE IHR PROBEABO AN-
Urteil vom 22.11.2022 - BVerwG 3 CN 1.21
...und dem verfolgten Ziel sowie der zu erwartenden Zielerreichung herzustellen (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. September 2022 - 1 BvR 2380/21 u. a. - juris Rn. 119 m. w. N.). Davon ist auch das Oberverwaltungsgericht ausgegangen (UA Rn. 49 i. V. m. Rn. 48 ). 76 bb) Danach ist es nicht......
-
Urteil vom 15.06.2023 - BVerwG 3 C 5.22
...Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG. Zwar liegt ein Eingriff in dieses Grundrecht vor (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. September 2022 - 1 BvR 2380/21 u. a. - juris Rn. 71 ff.), er ist aber gerechtfertigt, insbesondere verhältnismäßig. Der Arztvorbehalt dient dem legitimen Zweck der Gewähr......
-
Beschluss vom 23.02.2023 - BVerwG 3 B 4.22
...- 1 BvR 2306/96 u. a. - BVerfGE 98, 265 ; Beschlüsse vom 11. Februar 1992 - 1 BvR 1531/90 - BVerfGE 85, 248 und vom 29. September 2022 - 1 BvR 2380/21 u. a. - juris Rn. 77, 83, 111, 115, 119, jeweils m. w. N.; Kammerbeschlüsse vom 22. April 2009 - 1 BvR 121/08 - juris Rn. 40 und vom 28. Apr......
-
Urteil vom 15.06.2023 - BVerwG 3 C 3.22
...Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG. Zwar liegt ein Eingriff in dieses Grundrecht vor (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. September 2022 - 1 BvR 2380/21 u. a. - juris Rn. 71 ff.), er ist aber gerechtfertigt, insbesondere verhältnismäßig. Der Arztvorbehalt dient dem legitimen Zweck der Gewähr......
-
Urteil vom 22.11.2022 - BVerwG 3 CN 1.21
...und dem verfolgten Ziel sowie der zu erwartenden Zielerreichung herzustellen (stRspr, vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. September 2022 - 1 BvR 2380/21 u. a. - juris Rn. 119 m. w. N.). Davon ist auch das Oberverwaltungsgericht ausgegangen (UA Rn. 49 i. V. m. Rn. 48 ). 76 bb) Danach ist es nicht......
-
Urteil vom 15.06.2023 - BVerwG 3 C 5.22
...Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG. Zwar liegt ein Eingriff in dieses Grundrecht vor (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. September 2022 - 1 BvR 2380/21 u. a. - juris Rn. 71 ff.), er ist aber gerechtfertigt, insbesondere verhältnismäßig. Der Arztvorbehalt dient dem legitimen Zweck der Gewähr......
-
Beschluss vom 23.02.2023 - BVerwG 3 B 4.22
...- 1 BvR 2306/96 u. a. - BVerfGE 98, 265 ; Beschlüsse vom 11. Februar 1992 - 1 BvR 1531/90 - BVerfGE 85, 248 und vom 29. September 2022 - 1 BvR 2380/21 u. a. - juris Rn. 77, 83, 111, 115, 119, jeweils m. w. N.; Kammerbeschlüsse vom 22. April 2009 - 1 BvR 121/08 - juris Rn. 40 und vom 28. Apr......
-
Urteil vom 15.06.2023 - BVerwG 3 C 3.22
...Berufsfreiheit gemäß Art. 12 Abs. 1 GG. Zwar liegt ein Eingriff in dieses Grundrecht vor (vgl. BVerfG, Beschluss vom 29. September 2022 - 1 BvR 2380/21 u. a. - juris Rn. 71 ff.), er ist aber gerechtfertigt, insbesondere verhältnismäßig. Der Arztvorbehalt dient dem legitimen Zweck der Gewähr......