BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1333/17 -
über
die Verfassungsbeschwerde
der Frau Dr. E…, |
- Bevollmächtigte:
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1. Prof. Dr. Dr. Günter Frankenberg,
Buchrainweg 17, 63069 Offenbach,
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2. Dr. Felix Hanschmann,
Basaltstraße 15 c, 60487 Frankfurt am Main -
1. |
unmittelbar gegen |
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den Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23. Mai 2017 - 1 B 1056/17 -, |
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2. |
mittelbar gegen |
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§ 45 Hessisches Beamtengesetz - HBG - und den Erlass des Hessischen Ministeriums der Justiz vom 28. Juni 2007 - 2220-V/A3-2007/6920-V - |
hier: | Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Präsidenten Voßkuhle,
die Richterin Kessal-Wulf
und den Richter Maidowski
gemäß § 32 Abs. 1 in Verbindung mit § 93d Abs. 2 BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung
vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473) am 27. Juni 2017 einstimmig beschlossen:
- Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Verfassungskonformität der an eine aus religiösen Gründen Kopftuch tragenden Rechtsreferendarin gerichteten Untersagung, mit Kopftuch während der Ausbildung im Gerichtssaal auf der Richterbank zu sitzen, Sitzungsleitungen oder Beweisaufnahmen durchzuführen, Sitzungsvertretungen für die Staatsanwaltschaft zu übernehmen oder während der Ausbildung in der Verwaltungsstation einen Anhörungsausschuss zu leiten.
1. Die 1982 in Frankfurt am Main geborene Beschwerdeführerin besitzt die deutsche und die marokkanische Staatsangehörigkeit. Sie ist seit dem 2. Januar 2017 Rechtsreferendarin im Land Hessen, seit Mai 2017 in der Ausbildungsstation Strafrecht. Als Ausdruck ihrer individuellen Glaubensüberzeugung trägt sie in der Öffentlichkeit ein Kopftuch.
2. Noch vor Aufnahme der Ausbildung erhielt die Beschwerdeführerin über das Oberlandesgericht ein Hinweisblatt, welches inhaltlich den Erlass des Hessischen Ministeriums der Justiz vom 28. Juni 2007 - 2220-V/A3-2007/6920-V - wiedergab. Der Erlass hat folgenden Wortlaut:
Wenn aus den Bewerbungsunterlagen für die Einstellung in den juristischen Vorbereitungsdienst erkennbar wird, dass während des Vorbereitungsdienstes ein Kopftuch getragen werden soll, sind die Bewerberinnen vor der Einstellung in den Vorbereitungsdienst dahingehend zu belehren, dass sich auch Rechtsreferendarinnen im juristischen Vorbereitungsdienst gegenüber Bürgerinnen und Bürgern politisch, weltanschaulich und religiös neutral zu verhalten haben. Das bedeutet, dass sie, wenn sie während ihrer Ausbildung ein Kopftuch tragen, keine Tätigkeiten ausüben dürfen, bei denen sie von Bürgerinnen und Bürgern als Repräsentantin der Justiz oder des Staates wahrgenommen werden oder wahrgenommen werden können.
Praktisch bedeutet dies insbesondere, dass Referendarinnen, die ein Kopftuch tragen,
- bei Verhandlungen im Gerichtssaal nicht auf der Richterbank sitzen dürfen, sondern im Zuschauerraum der Sitzung beiwohnen können,
-keine Sitzungsleitungen und/oder Beweisaufnahmen durchführen können,
-keine Sitzungsvertretungen für die Staatsanwaltschaft übernehmen können,
-während der Verwaltungsstation keine Anhörungsausschusssitzung leiten können.
Die Bewerberinnen sind darüber zu belehren, dass sich der Umstand, dass einzelne Ausbildungsleistungen nicht erbracht werden können, negativ auf die Bewertung der Gesamtleistung auswirken kann, da nicht erbrachte Regelleistungen grundsätzlich mit „ungenügend“ zu bewerten sein werden. Wie sich dies im Einzelfall auf die abschließende Bewertung der Leistung in der Ausbildungsstelle auswirkt, entscheidet die Einzelausbilderin oder der Einzelausbilder.
3. Die Beschwerdeführerin erklärte am 7. Dezember 2016 die Annahme des ihr angebotenen Ausbildungsplatzes und merkte an, das Hinweisblatt zur Kenntnis genommen zu haben.
4. Mit Schreiben vom 9. Januar 2017 legte die Beschwerdeführerin eine Beschwerde gegen die Verwaltungspraxis in Gestalt des Hinweises ein. Mit Schreiben vom 24. Januar 2017 teilte der Präsident des Landgerichts Frankfurt am Main der Beschwerdeführerin unter Hinweis auf Erlasse des Hessischen Ministeriums für Justiz vom 28. Juni 2007 und vom 21. September 2015 mit, dass er der Beschwerde nicht abzuhelfen vermöge.
5. Hiergegen stellte die Beschwerdeführerin mit Schriftsatz vom 10. Februar 2017 beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main einen Antrag auf Gewährung einstweiligen Rechtsschutzes.
6. Anlässlich des verwaltungsgerichtlichen Eilverfahrens überprüfte das Justizprüfungsamt die Erlasslage und das Hinweisblatt. Mit Schreiben vom 6. März 2017 teilte das Justizprüfungsamt dem Präsidenten des Oberlandesgerichts mit, der Erlass vom 28. Juni 2007 werde insbesondere bezüglich der Bewertung nicht erbrachter Ausbildungsleistungen nicht mehr aufrechterhalten. Eine nicht erbrachte Regelleistung als Folge einer Weigerung, dabei auf das Tragen eines Kopftuches aus religiösen Gründen zu verzichten, solle sich nicht negativ auf die Gesamtnote in der Ausbildungsstation auswirken, sondern durch andere Leistungen kompensiert werden können.
7. Mit Beschluss vom 12. April 2017 hat das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main das Land Hessen verpflichtet sicherzustellen, dass die Beschwerdeführerin vorläufig ihre Ausbildung als Rechtsreferendarin vollumfänglich mit Kopftuch wahrnehmen kann, und sie insbesondere nicht den Beschränkungen unterliegt, die sich aus dem Erlass des Hessischen Ministeriums der Justiz vom 28. Juni 2007 ergeben.
Für das Kopftuchverbot bei Rechtsreferendaren fehle es an einer ausreichenden Rechtsgrundlage. Zudem sei es aufgrund der Unterschiede in der Amtsführung, bei den Anforderungen an das Amt und den sich aus der Verfassung und dem Gesetz ergebenden Amtspflichten zwischen einem Beamten beziehungsweise einer Beamtin, respektive einem Richter beziehungsweise einer Richterin und einem Rechtsreferendar beziehungsweise einer Rechtsreferendarin im Hinblick auf die Glaubens- und Gewissensfreiheit und den Stellenwert der Berufswahlfreiheit - auch in der Ausprägung eines ungeschmälerten Ausbildungsumfanges - unverhältnismäßig, Referendaren und Referendarinnen in religiös-weltanschaulicher Hinsicht die gleichen Verhaltenspflichten aufzuerlegen wie der dauerhaft tätigen Beamten- und Richterschaft.
8. Auf die Beschwerde des Landes Hessen hat der Hessische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 23. Mai 2017 den Beschluss des Verwaltungsgerichts Frankfurt am Main vom 12. April 2017 aufgehoben.
Zur Begründung führte der Hessische Verwaltungsgerichtshof aus, eine hinreichende gesetzliche Grundlage sei für die Anordnung eines solchen Kopftuchverbots für Rechtsreferendarinnen mit § 27 Abs. 1 Satz 2 Gesetz über die juristische Ausbildung (Juristenausbildungsgesetz - JAG) in Verbindung mit § 45 Satz 1 HBG gegeben. Der Wille des Gesetzgebers, dass gerade auch § 45 HBG für Rechtsreferendare Geltung haben solle, sei zweifelsfrei erkennbar. Es bestünden entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts auch keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die Zulässigkeit der durch § 27 Abs. 1 Satz 2 JAG vorgenommenen dynamischen Verweisung unter anderem auf § 45 HBG.
Der Hessische Staatsgerichtshof habe in seinem Urteil vom 10. Dezember 2007 - P.St. 2016 - entschieden, dass § 27 Abs. 1 Satz 2 in Verbindung mit § 45 Satz 1 und 2 HBG mit der Hessischen Landesverfassung vereinbar seien und in diesem Zusammenhang auch die hinreichende Bestimmtheit bestätigt.
Die Glaubensfreiheit der Beschwerdeführerin sei nicht grenzenlos gewährleistet, sondern werde durch kollidierende Grundrechte anderer Personen und sonstige Verfassungsgüter - namentlich die negative Glaubens- und Bekenntnisfreiheit der Verfahrensbeteiligten und das staatliche Neutralitätsgebot als Gemeinschaftswert von Verfassungsrang - eingeschränkt. Die Abwägung dieser Positionen führe dazu, dass § 27 Abs. 1 Satz 2 JAG in Verbindung mit § 45 Satz 1 und Satz 2 HBG seitens des Landes Hessen verfassungskonform ausgelegt worden sei und die Beschwerdeführerin die genannten Tätigkeiten nicht durchführen könne.
9. Am 23. Mai 2017 nahm die Beschwerdeführerin an einem Lehrgang zur Vorbereitung auf die Sitzung für die Amtsanwaltschaft teil. Am Ende sei ihr mitgeteilt worden, dass ihr Sitzungstermin auf den 6. Juli 2017 angesetzt sei.
10. Mit E-Mail vom 2. Juni 2017 bot das Rechtsamt - 30.1 Zivilrecht - der Stadt Frankfurt am Main der Beschwerdeführerin ein Referendariat im Rahmen der Verwaltungsstation ab September 2017 an und schlug ein Vorstellungsgespräch für den 9. Juni 2017 vor.
11. Mit Schriftsatz vom 6. Juni 2017 hat die Beschwerdeführerin Klage beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main erhoben, über die – soweit ersichtlich – noch nicht entschieden worden ist.
II.
Mit ihrer Verfassungsbeschwerde wendet sich die Beschwerdeführerin unmittelbar gegen den Beschluss des Hessischen Verwaltungsgerichtshofs vom 23. Mai 2017 und mittelbar gegen § 45 HBG und den Erlass des Hessischen Ministeriums der Justiz vom 28. Juni 2007 - 2220-V/A3-2007/6920-V -. Sie beantragt zudem den Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Die Beschwerdeführerin rügt eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG, Art. 4 Abs. 1 und 2 GG, Art. 2 Abs. 1 in...