Beschluss vom 28. Juli 2022 - 2 BvR 1814/21
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2022:rk20220728.2bvr181421 |
Date | 28 Julio 2022 |
Judgement Number | 2 BvR 1814/21 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1814/21 -
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn (…), |
gegen |
den Beschluss des Landgerichts Regensburg - auswärtige Strafvollstreckungskammer bei dem Amtsgericht Straubing - vom 3. September 2021 - SR StVK 430/21 - |
hat die 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Vizepräsidentin König
und die Richter Müller,
Maidowski
am 28. Juli 2022 einstimmig beschlossen:
- Der Beschluss des Landesgerichts Regensburg - SR StVK 430/21 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Regensburg zurückverwiesen.
- Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen für das Verfassungsbeschwerdeverfahren zu erstatten.
Der inhaftierte Beschwerdeführer wendet sich gegen die Ablehnung seines Antrags auf Prozesskostenhilfe in einem Strafvollzugsverfahren.
I.
1. Der Beschwerdeführer verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Straubing (Bayern). Er bezieht Taschengeld und ernährt sich vegetarisch. In der Vergangenheit erhielt er für einen gewissen Zeitraum ohne Vorankündigung seitens der Justizvollzugsanstalt fleischhaltige Kost. Wegen Arbeitsverweigerung in Reaktion darauf erhielt er eine Disziplinarstrafe. Auf einen Brief des Beschwerdeführers unbekannten Inhalts vom 13. Februar 2020 hin teilte der Anstaltsarzt einer Vollzugsinspektorin am 28. Februar 2020 unter Bezugnahme auf eine E-Mail aus dem Jahr 2018 mit, es seien keine „Stoffwechselkrankheit oder Verdauungsbeschwerden“ des Beschwerdeführers bekannt, aus denen sich das Erfordernis einer strikt vegetarischen Ernährung ergebe. Er sei deshalb durch die „Koständerungsverspätung“ keinem gesundheitlichen Schaden ausgesetzt gewesen. Der Beschwerdeführer habe außer einem „rheumatischen Wirbelsäulenschaden (Bechterew-Krankheit) sonst keine relevanten gesundheitlichen Beeinträchtigungen bis auf seine immer wegen Lappalien beschwerende und alles hinterfragende Persönlichkeitsstörung, was er unter viel Freizeit ohne Arbeit in der Haft gut entfalten kann“.
2. Mit Schreiben vom 14. Dezember 2020 beantragte der Beschwerdeführer Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts. Der Anstaltsarzt habe durch das Schreiben an die Vollzugsinspektorin gegen die ärztliche Schweigepflicht und gegen sein informationelles Selbstbestimmungsrecht verstoßen, indem er ohne seine Kenntnis und Zustimmung und ohne Notwendigkeit Daten über seine Gesundheit an Dritte weitergegeben habe. Der Anstaltsarzt habe eine „psychologische Krankheit“ attestiert und „in den rechtsverbindlichen Umlauf gegeben“. Als Allgemeinmediziner fehle ihm insoweit die Kompetenz. Ferner habe er gegen seine Fürsorgepflicht verstoßen und seine Kompetenzen überschritten, indem er seine persönliche Meinung „in seiner Funktion als Anstaltsarzt mit seinem Schreiben in den Rechtsverkehr“ gegeben habe, worin grobe Amtspflichtverletzungen lägen. Dass er ohne Vorankündigung eine Woche lang fleischhaltige Kost erhalten habe, obwohl der Anstaltsarzt für die ärztliche Überwachung der Gefangenenkost zuständig sei, stelle einen Verstoß gegen Art. 23 und Art. 58 Abs. 1 des Gesetzes über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der Jugendstrafe (Bayerisches Strafvollzugsgesetz, im Folgenden: BayStVollzG) dar. Zudem habe der Arzt mitgeteilt, dass dem Beschwerdeführer durch den einwöchigen Erhalt von fleischhaltiger Kost kein Schaden entstanden sei. Infolge des Fehlens vegetarischer Kost habe er eine Disziplinarstrafe wegen Arbeitsverweigerung erhalten und Lohnausfall gehabt, weswegen weitere Schadensersatzansprüche bestünden. Angesichts des gewichtigen Grundrechtseingriffs, der Wiederholungsgefahr und des Rehabilitationsinteresses bestehe ein Feststellungsinteresse.
3. Auf eine Verfügung des Amtsgerichts vom 21. Dezember 2020 hin, mit der zur Feststellung des zuständigen Gerichts hinsichtlich verschiedener Aspekte um Klarstellung gebeten wurde, führte der Beschwerdeführer mit Schreiben vom 23. Dezember 2020 aus, er habe einen Antrag auf Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts gestellt. Die vom Anstaltsarzt offenbarten Daten unterlägen der Geheimhaltung. Zwar komme dem Gericht, nicht aber den Vollzugsbediensteten eine Offenbarungsbefugnis zu. Er bat um Hinweis, wie er dem Gericht die angeforderten Informationen zukommen lassen könne, ohne dass die Gerichtspost von den Vollzugsbediensteten eingesehen werde. Ob der Anstaltsarzt persönlich in Anspruch genommen werde, sei durch das Land Bayern zu entscheiden.
4. Mit Verfügung des Landgerichts vom 12. April 2021 wurde der Beschwerdeführer aufgefordert mitzuteilen, ob er Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Schadensersatzklage nach § 839 des Bürgerlichen Gesetzbuches (im Folgenden: BGB) oder für einen beabsichtigten Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit begehre; letzterenfalls werde das Verfahren an die Strafvollstreckungskammer abgegeben. Das Verfahren sei vom Landgericht Regensburg zunächst übernommen worden, da eine sachliche Zuständigkeit des Amtsgerichts jedenfalls nicht bestehe. Bislang fehle es jenseits der vorgelagerten Frage, ob der Beschwerdeführer überhaupt Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Schadensersatzklage nach § 839 BGB beantrage, an einem schlüssigen Vortrag für einen Anspruch aus § 839 BGB.
5. Mit Schreiben vom 29. April 2021 teilte der Beschwerdeführer mit, er beantrage Prozesskostenhilfe für einen beabsichtigten Antrag auf Feststellung der Rechtswidrigkeit nach § 109 des Gesetzes über den Vollzug der Freiheitsstrafe und der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung (Strafvollzugsgesetz; im Folgenden: StVollzG). Ein eventueller Antrag auf Schadensersatz werde gegebenenfalls nach der Feststellung noch eingereicht, sodass auch angesichts möglicher Schadensersatz-, Amtshaftungs- und Folgenbeseitigungsansprüche ein Feststellungsinteresse bestehe.
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Beschluss vom 03.03.2023 - BVerwG 5 PKH 1.22
...zu ermöglichen (stRspr, vgl. etwa BVerfG, Kammerbeschlüsse vom 27. Dezember 2022 - 1 BvR 1791/22 - juris Rn. 16 und vom 28. Juli 2022 - 2 BvR 1814/21 - StV 2023, 45 Rn. 19). Von einem anwaltlich vertretenen Beteiligten ist aber auch bei Anlegung des danach in Bezug auf die Darlegungsanforde......
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