Urteil vom 19. September 2018 - 2 BvF 1/15
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2018:fs20180919.2bvf000115 |
Citation | BVerfG, Urteil des Zweiten Senats vom 19. September 2018 - 2 BvF 1/15 - Rn. (1-357), |
Judgement Number | 2 BvF 1/15 |
Date | 19 Septiembre 2018 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
Leitsätze
zum Urteil des Zweiten Senats vom 19. September 2018
2 BvF 1/15
2BvF 2/15
- Eine staatliche Volkszählung durch Auswertung vorhandener Register und ergänzende Individualbefragungen fällt unter Art. 73 Abs. 1 Nr. 11 GG. (145)
- Soweit das Grundgesetz unmittelbar an die Zahl der Einwohner anknüpft, muss der Gesetzgeber ihre realitätsgerechte Ermittlung sicherstellen. (166)
- Bei der Regelung des Erhebungsverfahrens verfügt der Gesetzgeber über einen Gestaltungs- und Entscheidungsspielraum. Er muss den an eine „gültige“ Prognose zu stellenden Anforderungen genügen. Weitergehende prozedurale Anforderungen an das Gesetzgebungsverfahren bestehen hingegen nicht. (170)
- Soweit Rechtsstellung, Finanzkraft und Finanzbedarf der Kommunen von ihrer Einwohnerzahl beeinflusst werden, beruht dies typischerweise auf landesrechtlichen Regelungen des Kommunal- oder Kommunalfinanzverfassungsrechts. Ein dem Bund zurechenbarer Eingriff in ihre Rechtsstellung liegt darin nicht. (184)
- Das Bundesstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 1 GG) und die Garantie der kommunalen Selbstverwaltung (Art. 28 Abs. 2 GG) in Verbindung mit dem Rechtsstaatsgebot (Art. 20 Abs. 3, Art. 28 Abs. 1 Satz 1 GG) verpflichten den Gesetzgeber grundsätzlich zu einer Gleichbehandlung nachgeordneter Hoheitsträger. Für den Bund gilt in Bezug auf die Länder insoweit ein föderatives, für Bund und Länder hinsichtlich der Kommunen ein interkommunales Gleichbehandlungsgebot. (210) Gegen Beeinträchtigungen ihrer Rechtspositionen durch den Bund sind Ländern und Kommunen grundsätzlich Rechtsschutzmöglichkeiten eröffnet
- Da es zum Wesen der Statistik gehört, dass die Daten nach einer statistischen Aufbereitung für die verschiedensten, nicht von vornherein bestimmbaren Aufgaben verwendet werden, gelten für Volkszählungen Ausnahmen von den Erfordernissen einer konkreten Zweckumschreibung, vom Verbot, personenbezogene Daten auf Vorrat zu sammeln, sowie von den Anforderungen für Weitergabe und Verwertung (vgl. BVerfGE 65, 1 ). (223)
- Der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit erfordert die Prüfung, ob aufgrund der Fortentwicklung der statistischen Wissenschaft Möglichkeiten einer grundrechtsschonenderen Datenerhebung bestehen. (226)
Verkündet
am 19. September 2018
Fischböck
Amtsinspektorin
als Urkundsbeamtin
der Geschäftsstelle
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvF 1/15 -
- 2 BvF 2/15 -
1. |
dass § 7 Absatz 1 und Absatz 2 des Gesetzes über den registergestützten Zensus im Jahre 2011 (Zensusgesetz 2011) vom 8. Juli 2009 (BGBl I S. 1781) sowie § 2 Absatz 2 und Absatz 3 der Verordnung über Verfahren und Umfang der Haushaltsbefragung auf Stichprobenbasis zum Zensusgesetz 2011 (Stichprobenverordnung Zensusgesetz 2011) vom 25. Juni 2010 (BGBl I S. 830) mit Artikel 80 Absatz 1 Satz 1, Satz 2 und Satz 4 in Verbindung mit Artikel 20 Absatz 1, Absatz 2 Satz 2 und Absatz 3, Artikel 19 Absatz 4 Satz 1, Artikel 103 Absatz 1, Artikel 28 Absatz 2 Satz 1, Artikel 3 Absatz 1 und Artikel 107 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig sind, |
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2. |
dass § 19 des Gesetzes über den registergestützten Zensus im Jahre 2011 (Zensusgesetz 2011) vom 8. Juli 2009 (BGBl I S. 1781) mit Artikel 19 Absatz 4 Satz 1 in Verbindung mit Artikel 103 Absatz 1, Artikel 28 Absatz 2 Satz 1, Artikel 3 Absatz 1 und Artikel 107 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig ist. |
Antragsteller: |
Senat von Berlin, vertreten durch den Regierenden Bürgermeister, Senatskanzlei, Jüdenstraße 1, 10178 Berlin, |
- Bevollmächtigte:
Rechtsanwälte Dr. Reiner Geulen und Dr. Remo Klinger,
Schaperstaße 15, 10719 Berlin -
- 2 BvF 1/15 -,
1. |
dass § 7 Absatz 1 und Absatz 2 des Gesetzes über den registergestützten Zensus im Jahre 2011 (Zensusgesetz 2011) vom 8. Juli 2009 (BGBl I S. 1781) mit Artikel 20 Absatz 1, Absatz 2 Satz 2, Absatz 3, Artikel 80 Absatz 1 Satz 1 und Satz 2, Artikel 28 Absatz 2 Satz 1 und Satz 3, Artikel 84 Absatz 2, Artikel 106 Absatz 5 bis Absatz 7, Artikel 107 Absatz 1 Satz 4 und Absatz 2, Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig ist, |
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2. |
dass § 2 Absatz 2 und Absatz 3 und § 3 Absatz 2 der Verordnung über Verfahren und Umfang der Haushaltsbefragung auf Stichprobenbasis zum Zensusgesetz 2011 (Stichprobenverordnung Zensusgesetz 2011) vom 25. Juni 2010 (BGBl I S. 830) mit Artikel 20 Absatz 1 und Absatz 3, Artikel 80 Absatz 1 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig sind, |
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3. |
dass § 19 und § 8 Absatz 3 des Gesetzes über den registergestützten Zensus im Jahre 2011 (Zensusgesetz 2011) vom 8. Juli 2009 (BGBl I S. 1781), ferner § 15 des Gesetzes zur Vorbereitung eines registergestützten Zensus einschließlich einer Gebäude- und Wohnungszählung 2011 (Zensusvorbereitungsgesetz 2011) vom 8. Dezember 2007 (BGBl I S. 2808) mit Artikel 20 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 107 Absatz 1 Satz 4, Absatz 2 Sätze 1 bis 3, Artikel 28 Absatz 2 Satz 1 und Satz 3 in Verbindung mit Artikel 106 Absatz 5 bis Absatz 7, Artikel 107 Absatz 2 Satz 1 und Artikel 20 Absatz 3 des Grundgesetzes unvereinbar und nichtig sind, |
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4. |
dass § 15 Absatz 2 und Absatz 3 des Gesetzes über den registergestützten Zensus im Jahre 2011 (Zensusgesetz 2011) vom 8. Juli 2009 (BGBl I S. 1781) mit Artikel 20 Absatz 1 und Artikel 28 Absatz 2 Satz 1 des Grundgesetzes, jeweils in Verbindung mit Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes, unvereinbar und nichtig ist. |
Antragsteller: |
Senat der Freien und Hansestadt Hamburg, vertreten durch den Ersten Bürgermeister, Senatskanzlei, Rathausmarkt 1, 20095 Hamburg, |
- Bevollmächtigter:
Prof. Dr. Stefan Korioth,
Himmelreichstraße 2, 80538 München -
- 2 BvF 2/15 -
hat das Bundesverfassungsgericht - Zweiter Senat -
unter Mitwirkung der Richterinnen und Richter
Präsident Voßkuhle,
Huber,
Hermanns,
Müller,
Kessal-Wulf,
König
aufgrund der mündlichen Verhandlung vom 24. Oktober 2017 durch
für Recht erkannt:
- Die Verfahren werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
- § 7 Absätze 1 bis 3, § 8 Absatz 3, § 15 Absätze 2 und 3 und § 19 des Gesetzes über den registergestützten Zensus im Jahre 2011 (Zensusgesetz 2011) vom 8. Juli 2009 (BGBl I S. 1781) sowie § 15 des Gesetzes zur Vorbereitung eines registergestützten Zensus einschließlich einer Gebäude- und Wohnungszählung 2011 (Zensusvorbereitungsgesetz 2011) vom 8. Dezember 2007 (BGBl I S. 2808) sind mit dem Grundgesetz vereinbar.
- § 2 Absätze 2 und 3 und § 3 Absatz 2 der Verordnung über Verfahren und Umfang der Haushaltsbefragung auf Stichprobenbasis zum Zensusgesetz 2011 (Stichprobenverordnung Zensusgesetz 2011) vom 25. Juni 2010 (BGBl I S. 830) sind mit dem Grundgesetz vereinbar.
- Die einstweilige Anordnung vom 26. August 2015, zuletzt verlängert durch Beschluss des Senats vom 14. Mai 2018, wird damit gegenstandslos.
Inhaltsverzeichnis | |
Rn. | |
A. Sachbericht | 1 |
I. Sachverhalt | 2 |
1. Hintergrund | 2 |
2. Zensustest | 5 |
a) Rechtsgrundlage | 6 |
b) Ergebnisse | 7 |
c) Untersuchung | 10 |
d) Bewertung | 11 |
aa) Vergleich der Modellvarianten | 12 |
bb) Berechnungen zur Belastung der Bevölkerung | 16 |
cc) Empfehlungen der amtlichen Statistik | 19 |
e) Weitere Aufklärung | 21 |
f) Entscheidung für registergestützten Zensus / Zensuskommission | 23 |
3. Zensusvorbereitungsgesetz 2011 | 24 |
a) Gegenstand und Begründung | 25 |
b) Vorschriften | 27 |
c) Nicht aufgegriffener Änderungsvorschlag | 28 |
4. Relevante Vorschriften des Unionsrechts | 29 |
5. Zensusgesetz 2011 | 30 |
a) Vorschriften | 31 |
b) Gesetzesbegründung | 32 |
aa) Haushaltsstichprobe, § 7 ZensG 2011 | 33 |
(1) Allgemeine Vorgaben, Zufallsfehler | 33 |
(2) Stichprobenumfang | 37 |
(3) Stichprobenverfahren | 40 |
bb) Mehrfachfallprüfung. | 41 |
cc) Löschungsvorschriften | 42 |
c) Nicht aufgegriffene Änderungsvorschläge | 43 |
6. Stichprobenforschungsprojekt | 45 |
7. Stichprobenverordnung | 54 |
a) Ergebnisse des Forschungsprojekts | 55 |
b) Regelungen | 56 |
c) Begründung | 57 |
8. Ausführungsgesetze der Länder | 61 |
9. Vollzug | 62 |
a) Ablauf der Haushaltsstichprobe, Befragung zur Klärung von Unstimmigkeiten | 63 |
b) Ergebnis | 72 |
aa) Berlin | 73 |
bb) Hamburg | 74 |
cc) Erläuternder Inhalt der Feststellungsbescheide | 75 |
dd) Fehlende Einhaltung der Prognose zum Stichprobenzufallsfehler. | 76 |
II. Anträge | 77 |
1. Antragsteller zu I. | 77 |
a) § 7 Abs. 1 und Abs. 2 ZensG 2011 | 78 |
b) § 19 ZensG 2011 | 81 |
c) StichprobenV | 82 |
2. Antragsteller zu II. | 86 |
a) § 7 Abs. 1 und 2 ZensG 2011 in Verbindung mit § 2 Abs. 2 und 3 StichprobenV | 87 |
b) Ungleichbehandlung durch die Mehrfachfallprüfung. | 91 |
c) Rechtsschutzbeeinträchtigungen durch § 8 Abs. 3, § 19 ZensG 2011; § 15 ZensVorbG 2011 | 92 |
d) Verfassungswidrigkeit der StichprobenV | 93 |
III. Stellungnahmen | 94 |
1. Bundesregierung | 94 |
a) Allgemeine Ausführungen | 95 |
b) |
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