BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 965/15 -
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn F…,
- Bevollmächtigter:
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Rechtsanwalt Oliver Wallasch,
in Sozietät Rechtsanwälte Wallasch & Koch,
Fichardstraße 30, 60322 Frankfurt am Main -
gegen |
den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main |
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vom 22. Mai 2015 - 2 Ausl A 218/13 - |
und | Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Huber,
Müller,
Maidowski
gemäß § 93b in Verbindung mit § 93a BVerfGG in der Fassung der Bekanntmachung vom 11. August 1993 (BGBl I S. 1473)
am 9. Juni 2015 einstimmig beschlossen:
- Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen
- Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
Die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde betrifft die Bewilligung der Auslieferung des Beschwerdeführers an die Vereinigten Staaten von Amerika zum Zweck der Strafverfolgung und das Einverständnis des Auswärtigen Amtes mit seiner Weiterlieferung in die Republik Türkei.
I.
1. Die Vereinigten Staaten von Amerika ersuchen um Auslieferung des Beschwerdeführers zum Zweck der Strafverfolgung. Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger. Ihm wird vorgeworfen, zwischen 2010 und 2013 zusammen mit anderen an einer „Verschwörung“ zum Angriff auf Computernetzwerke von zumindest drei Finanzdienstleistern in den Vereinigten Staaten und andernorts beteiligt gewesen zu sein. Die Republik Türkei ersucht ebenfalls um die Auslieferung des Beschwerdeführers, allerdings zur Strafvollstreckung eines rechtskräftigen Urteils des 11. Landgerichts in Ankara. In diesem wird ihm vorgeworfen, eine kriminelle Vereinigung gegründet und diese bis zum 21. August 2008 geleitet zu haben. Der Beschwerdeführer hat einer Auslieferung in die Republik Türkei zugestimmt.
a) Mit Beschluss vom 5. August 2014 erklärte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main die Auslieferung des Beschwerdeführers in die Vereinigten Staaten von Amerika für zulässig. Auf seine Verfassungsbeschwerde hin hob die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts mit Beschluss vom 20. November 2014 den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main auf und verwies die Sache an das Oberlandesgericht zurück (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. November 2014 - 2 BvR 1820/14 -, WM 2015, S. 65 ff.).
b) Mit Beschluss vom 25. März 2015 erklärte das Oberlandesgericht Frankfurt am Main die Auslieferung sodann erneut für zulässig. Die hiergegen gerichtete Verfassungsbeschwerde nahm das Bundesverfassungsgericht durch unbegründeten Beschluss vom 16. April 2015 nicht zur Entscheidung an (BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 16. April 2015 - 2 BvR 585/15 -).
c) Durch Verbalnote vom 12. Mai 2015 teilte das Auswärtige Amt der Botschaft der Vereinigten Staaten von Amerika mit, dass die Regierung der Bundesrepublik Deutschland die Auslieferung des Beschwerdeführers in die Vereinigten Staaten bewilligt habe. Außerdem wurde erklärt, dass einer eventuellen Weiterlieferung des Beschwerdeführers zur Strafvollstreckung aus den Vereinigten Staaten in die Republik Türkei wegen der in dem Vollstreckungshaftbefehl des 11. Kriminalgerichts in Ankara aufgeführten Freiheitsstrafen bereits jetzt zugestimmt werde.
d) Der Beschwerdeführer wandte sich mit einem Antrag auf gerichtliche Entscheidung zum Oberlandesgericht Frankfurt am Main gegen die Bewilligung und beantragte, diese aufzuheben und der Bewilligungsbehörde aufzugeben, die Auslieferung des Verfolgten in die Republik Türkei zu bewilligen.
e) Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main verwarf den Antrag mit Beschluss vom 22. Mai 2015 als unzulässig, weil unstatthaft.
aa) Aus § 79 IRG ergebe sich die erforderliche Rechtsgrundlage nicht. Die Vorschrift sei lediglich auf den Auslieferungsverkehr mit Mitgliedstaaten der Europäischen Union anwendbar und regele auch in diesem Zusammenhang in ihrem Absatz 2 lediglich die Überprüfbarkeit der beabsichtigten Nichtgeltendmachung fakultativer Bewilligungshindernisse im Rahmen des Zulässigkeitsverfahrens, nicht jedoch die - zusätzliche - gerichtliche Überprüfung der abschließenden Bewilligungsentscheidung.
Eine Anfechtbarkeit gemäß §§ 23 ff. EGGVG scheide aus, weil die Bewilligungsbehörde keine Justizverwaltungsbehörde sei. Für eine analoge Anwendung des § 29 IRG oder des § 33 IRG sei kein Raum, weil es an einer unbewussten Regelungslücke fehle. Nachdem das erste Gesetz zur Umsetzung des Rahmenbeschlusses über den Europäischen Haftbefehl durch das Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt worden sei (BVerfGE 113, 273 ff.), wobei das Gericht unter anderem den ausdrücklichen Ausschluss der Anfechtbarkeit der Bewilligungsentscheidung in § 74b IRG a.F. beanstandet gehabt habe, habe der Gesetzgeber mit § 79 Abs. 2 IRG n.F. zwar eine vermittelnde Teilregelung für den Auslieferungsverkehr in der Europäischen Union getroffen, von einer weitergehenden Rechtsgestaltung aber bewusst abgesehen. Sollte so für den Auslieferungsverkehr innerhalb der Europäischen Union weder kategorisch die Unanfechtbarkeit der Bewilligungsentscheidung festgeschrieben noch umgekehrt eine Anfechtbarkeit ausdrücklich normiert werden, gelte insbesondere Letzteres nicht minder für den Auslieferungsverkehr mit Drittstaaten. Dass dem Gesetzgeber entgangen sein sollte, dass eine im Achten Teil des Gesetzes über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen regelungsbedürftige Problematik auch im Zweiten Teil...