Beschluss vom 20. November 2014 - 2 BvR 1820/14
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2014:rk20141120.2bvr182014 |
Date | 20 Noviembre 2014 |
Judgement Number | 2 BvR 1820/14 |
Citation | BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats vom 20. November 2014 - 2 BvR 1820/14 - Rn. (1-32), |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 1820/14 -
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn F… |
- Bevollmächtigter:
-
Rechtsanwalt Oliver Wallasch,
Fichardstraße 30, 60322 Frankfurt am Main -
gegen |
den Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main |
|
vom 5. August 2014 - 2 Ausl A 218/13 - |
und | Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung |
hat die 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
die Richter Huber,
Müller,
Maidowski
am 20. November 2014 einstimmig beschlossen:
- Der Beschluss des Oberlandesgerichts Frankfurt am Main vom 5. August 2014 - 2 Ausl A 218/13 - verletzt den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 3 Absatz 1 des Grundgesetzes
- Die Entscheidung wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen
- Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung
- Das Land Hessen hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Die mit einem Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung verbundene Verfassungsbeschwerde betrifft die Auslieferung des Beschwerdeführers an die Vereinigten Staaten von Amerika zur Strafverfolgung.
I.
Der Beschwerdeführer ist türkischer Staatsangehöriger. Er befindet sich seit Dezember 2013 in Auslieferungshaft.
1. Dem Auslieferungsersuchen liegen eine beim Bundesgericht der Vereinigten Staaten von Amerika (USA) für den östlichen Gerichtsbezirk des Staates New York eingereichte Anklageschrift und ein Festnahmeersuchen auf der Grundlage eines Haftbefehls vom 25. Juli 2013 zugrunde. Dem Beschwerdeführer wird vorgeworfen, zwischen Januar 2010 und Juli 2013 zusammen mit anderen an einer „Verschwörung“ zum Angriff auf Computernetzwerke von zumindest drei Finanzdienstleistern in den USA und andernorts beteiligt gewesen zu sein. Die Beteiligten hätten Zugriff auf die Netzwerke von Zahlungsabwicklungsfirmen genommen und den Verfügungsrahmen von Prepaid-Debitkarten erhöht, um ungerechtfertigte Abhebungen zu ermöglichen. Am 27. und 28. Februar 2011 sollen in 18 Ländern über 15.000 Transkationen durchgeführt worden sein, die zu Abhebungen von etwa 14 Millionen US-Dollar geführt hätten. Am 21. und 22. Dezember 2012 seien bei rund 5.700 Transaktionen in etwa 20 Ländern circa fünf Millionen US-Dollar und zwischen dem 19. und 20. Februar 2013 über zwölf Konten weitere rund 40 Millionen US-Dollar abgehoben worden. Ein erheblicher Teil der Erlöse sei dem Beschwerdeführer ausgehändigt worden. Die Anklage umfasst insgesamt 18 Anklagepunkte, für die das US-Strafrecht - ausweislich der Anklageschrift - Freiheitsstrafen zwischen bis zu fünf und bis zu 30 Jahren vorsieht.
2. Der Beschwerdeführer hat der Auslieferung widersprochen. Da er zeitweise als meistgesuchter Computerhacker der Welt gegolten habe, müsse damit gerechnet werden, dass der nach amerikanischem Recht für die angeklagten Taten mögliche Strafrahmen von bis zu 247,5 Jahren Freiheitsstrafe ausgeschöpft werde. Das käme einer lebenslangen Freiheitsstrafe gleich und sei mit dem im Auslieferungsrecht geltenden ordre public-Vorbehalt nicht vereinbar. Zwar habe das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass eine Auslieferung auch bei drohender lebenslanger Freiheitsstrafe ohne die Möglichkeit der vorzeitigen Entlassung zulässig sein kann, sofern eine theoretische Möglichkeit bestehe, die Freiheit wiederzuerlangen; diese Möglichkeit gebe es in den Vereinigten Staaten. Die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beziehe sich jedoch auf Auslieferungen werden Mordverdachts und betreffe damit einen Tatvorwurf, für den auch das deutsche Recht die lebenslange Freiheitsstrafe vorsehe. Insofern habe das Bundesverfassungsgericht erklärt, dass die lebenslange Freiheitsstrafe für schwerste Rechtsverletzungen mit dem verfassungsrechtlichen Gebot des sinn- und maßvollen Strafens vereinbar sei. Bei Vermögensdelikten sei dagegen zu berücksichtigen, dass das deutsche Strafrecht Freiheitsstrafen von höchstens 15 Jahren vorsehe. Um die Zulässigkeit der Auslieferung beurteilen zu können, müsse das Oberlandesgericht zumindest eine Auskunft der Vereinigten Staaten über die den Beschwerdeführer realistischerweise erwartende Strafe einholen.
3. Mit Beschluss vom 5. August 2014 hat das Oberlandesgericht Frankfurt am Main die Auslieferung für zulässig erklärt. Die Voraussetzungen der Auslieferung nach dem Auslieferungsvertrag zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika vom 20. Juni 1978 in der Fassung von Art. 1a) des Zusatzvertrags vom 21. Oktober 1986 sowie des Zweiten Zusatzvertrags vom 18. April 2006 (Auslieferungsvertrag) seien erfüllt (a). Der Auslieferung entgegenstehende Gründe seien nicht ersichtlich (b).
a) Das Auslieferungsersuchen betreffe auslieferungsfähige Straftaten. Die gemäß Art. 2 des Auslieferungsvertrags erforderliche beiderseitige Strafbarkeit liege vor. Die Strafbarkeit nach amerikanischem Recht ergebe sich aus den im Auslieferungsersuchen genannten Strafvorschriften des US-Strafgesetzes. Auch die Strafbarkeit nach deutschem Recht sei gegeben. Dies gelte nicht nur für die in den Anklagepunkten 2 - 4, 7 und 9 - 14 angeführten, nach deutschem Recht gemäß §§ 202a, 263a StGB in Verbindung mit § 25 Abs. 2 StGB strafbaren Taten, sondern auch für die Vorwürfe der Verschwörung zum Zugriff auf Computer (Anklagepunkt 1), Verschwörung zum Betrug (Anklagepunkt 5), Verschwörung zum Bankbetrug (Anklagepunkt 6) und Verschwörung zum Begehen von Betrug mittels Zugriffsvorrichtung (Anklagepunkt 8). Ein solcher dauerhafter Zusammenschluss mit anderen Personen sei als Bildung einer kriminellen Vereinigung von § 129 Abs. 1 StGB erfasst.
Dass es nach deutschem Recht an einer Strafbarkeit der Anklagepunkte 17 (Verschwörung zur Behinderung der Justiz) und 18 (Behinderung der Justiz) sowie möglicherweise auch der Anklagepunkte 15 (Verschwörung zur Geldwäsche) und 16 (Geldwäsche) fehle, sei unerheblich. Bei den angeklagten Taten handele es sich um einen einheitlichen Sachverhalt, nämlich der Bildung einer kriminellen Vereinigung im Sinne von § 129 Abs. 1 StGB, deren Zweck die Begehung von Straftaten war, die auch nach deutschem Recht strafbar seien. Dies treffe jedenfalls auf die Anklagepunkte 2 - 4, 7 und 9 - 14 zu. Eine vollständige Identität der materiellen Beurteilung in beiden Rechtsordnungen sei für die Annahme der beiderseitigen Strafbarkeit nicht erforderlich.
b) Gründe im Sinne der Art. 2, 4 ff. oder 12 des Auslieferungsvertrags, die der Auslieferung entgegenstehen könnten, seien nicht...
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