Beschluss vom 19. Januar 2017 - 2 BvR 476/16
ECLI | ECLI:DE:BVerfG:2017:rk20170119.2bvr047616 |
Citation | BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 19. Januar 2017 - 2 BvR 476/16 - Rn. (1-19), |
Judgement Number | 2 BvR 476/16 |
Date | 19 Enero 2017 |
Court | Constitutional Court (Germany) |
BUNDESVERFASSUNGSGERICHT
- 2 BvR 476/16 -
über
die Verfassungsbeschwerde
des Herrn R..., |
gegen |
a) |
den Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 5. Februar 2016 - 2 Ws 784/15 -, |
b) |
den Beschluss des Landgerichts Regensburg - auswärtige kleine Strafvollstreckungskammer bei dem Amtsgericht Straubing - vom 16. November 2015 - SR StVK 676/15 - |
hat die 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts durch
den Richter Huber
und die Richterinnen Kessal-Wulf,
König
am 19. Januar 2017 einstimmig beschlossen:
- Der Beschluss des Landgerichts Regensburg - auswärtige kleine Strafvollstreckungskammer bei dem Amtsgericht Straubing - vom 16. November 2015 - SR StVK 676/15 - und der Beschluss des Oberlandesgerichts Nürnberg vom 5. Februar 2016 - 2 Ws 784/15 - verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes
- Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht Regensburg zurückverwiesen
- Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Frage des Vorliegens einer Maßnahme zur Regelung einzelner Angelegenheiten gemäß §§ 109 ff. StVollzG.
I.
1. Der Beschwerdeführer verbüßt eine lebenslange Freiheitsstrafe in der Justizvollzugsanstalt Straubing. Im Jahre 2012 hatte er einen Bandscheibenvorfall erlitten. Vom 29. September 2015 bis zum 4. November 2015 war ihm ein Arbeitsplatz in der Druckerei der Anstalt zugewiesen. Mit Schreiben vom 5. November 2015 beantragte er bei dem Landgericht Regensburg die Feststellung, dass „es ärztlicherseits rechtswidrig“ gewesen sei, ihn „wochenlang in einer Beschäftigung zu halten“, die bei ihm körperliche Beschwerden verursache.
Während der Tätigkeit in der Druckerei habe der Beschwerdeführer täglich acht Stunden sitzen müssen. Die Justizvollzugsanstalt habe ihm nur einen provisorischen Arbeitsplatz eingerichtet, an dem ein ergonomisches Sitzen nicht möglich gewesen sei, da er die Füße nicht auf dem Boden habe abstellen können. Infolge der dauerhaften Belastung seines Rückens habe er erneut Bandscheibenbeschwerden entwickelt. Er habe sich daraufhin zur Krankenstation begeben, die Umstände geschildert und um Abhilfe gebeten, aber lediglich Medikamente zur Bekämpfung der Symptome erhalten. Da die Beschwerden angedauert hätten, habe man ihm ermöglicht, die Arbeit auch im Stehen zu verrichten, wodurch das Problem jedoch nicht gelöst worden sei. Er habe täglich den Anstaltsarzt aufgesucht und vorgetragen, dass er weder sitzen noch stehen könne, sondern laufen oder liegen müsse. Am 5. Oktober 2015 habe ihn der Sportarzt schließlich für eine Woche krankgeschrieben. Ab dem 12. Oktober 2015 habe der Beschwerdeführer wieder arbeiten müssen. Er habe sich täglich zur Krankenstation begeben und seine Beschwerden vorgetragen. Daraufhin habe der Anstaltsarzt den Arbeitsplatz in Augenschein genommen, jedoch nichts veranlasst. Am 30. Oktober 2015 sei bei einer MRT-Untersuchung festgestellt worden, dass sich der Zustand seiner Bandscheiben verschlechtert habe. Daraufhin sei er zunächst krankgeschrieben und am 4. November 2015 endgültig von der Arbeit abgelöst worden.
Der Beschwerdeführer rügte, dass der Anstaltsarzt rechtswidrig unterlassen habe, ihn früher aus dem Betrieb zu nehmen. Gemäß Art. 43 BayStVollzG sei er verpflichtet gewesen, die ihm von der Anstalt zugewiesene Arbeit auszuüben. An die Anstaltsleitung habe er sich nicht gewandt, weil diese ihn nur an den Anstaltsarzt verwiesen hätte. Es liege Wiederholungsgefahr vor.
2. Mit Beschluss vom 16. November 2015 verwarf das Landgericht den Antrag ohne vorherige Anhörung der Justizvollzugsanstalt als unzulässig, weil sich der Antrag nicht gegen eine Maßnahme im Sinne der §§ 109 ff. StVollzG richte. Es fehle an einem tauglichen Antragsgegenstand, weil der Beschwerdeführer selbst eingeräumt habe, dass er keinen Antrag auf Ablösung von der Arbeit gestellt habe. Mithin liege keine Entscheidung der Justizvollzugsanstalt vor. Soweit der Beschwerdeführer bei seinen täglichen Arztbesuchen lediglich gehofft habe, von der Arbeit abgelöst zu werden, ergebe sich hieraus keine mit einem Feststellungsbegehren angreifbare Maßnahme. Die täglichen Arztbesuche seien vielmehr im Zusammenhang mit dem Anspruch auf...
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